Название: Gesammelte Werke
Автор: Isolde Kurz
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962812515
isbn:
Gott war im Laufe der Äonen seiner wandellos vollkommenen Engelscharen und des ewig gleichen Ganges aller Dinge müde geworden. Jetzt lüstet ihn nach dem Unvollkommenen, nach Werden, Wachsen und Vergehen, er schafft die Pflanzenwelt und alles Getier der Erde, aber sie befriedigen nicht seine Sehnsucht nach einem Wesen, das wie er das All in der Brust trüge und würdig wäre sein Gefährte zu sein. So bildet er aus einem Erdenkloß den Menschen und gibt ihm den holdesten seiner Geister, die lichte, leichte, mit Sternen wie mit Seifenblasen spielende Lilith zur Gefährtin, dass sie mit tausend Lieblichkeiten und Launen den erdenschweren Adam zu schöpferischem Tun ansporne. Aus dem täglichen verliebten Zwist und der Wiederversöhnung der beiden entstehen die Anfänge der Kunst, und es scheint, als sollte der Mensch das Ziel der göttlichen Absicht im Fluge erreichen. Aber mit der von Gott nicht gewollten Eva tritt ihm ein Hemmnis in den Weg, das den Entwicklungsplan durchkreuzt. Als ein Stück von Adams Körper, dem er gezwungen ist, anzuhangen, zieht sie ihn in seine sinnliche Trägheit zurück und zerstört den ersten jugendholden Liebesbund. Lilith, an dem entarteten Adam verzweifelnd, entflieht, und Eden, die Stätte ihrer jungen Seligkeit, geht in Flammen auf. Der Mensch, auf die Erde verbannt, muss mit der Menschin ein sinnliches, wölfisches Geschlecht erzeugen, in dem sich Schuld und Strafe unauflöslich weiter verketten, bis der Schöpfer seinen Plan auf langen Umwegen durch die Nachkommen der Lilith doch ans Ziel führt. Ihr im Paradiese geborener, durch Seraphim aufgezogener Sohn ist es, den Gott je und je in neuer Verkörperung als Führer seiner geringeren Brüder zur Erde schickt, gegen den sich aber auch die Kinder der Eva im voraus zusammenrotten: »Er ist Einer und wir sind viele«.
Ich konnte die Dichtung eben noch unter Dach bringen, bevor das irrende Leben wieder begann. Und es war hohe Zeit, denn schon hatte mein Mütterlein, dessen Ungeduld nicht warten konnte, bis mir der Augenblick reifte, begonnen, den Stoff, wie ich ihn mir umgeformt hatte, unter die Menschen zu tragen und zu seiner Bearbeitung anzuregen. Sie hatte sich sogar schon selber in ihrer feurigen Art daran versucht, wenn auch in anderem Sinne als dem von mir geplanten, indem sie den Widerstreit zwischen den Liebenden als Kampf der Geschlechter um das gleiche Recht auffasste, was an meiner Absicht nebenaus ging. Ich musste mich also sputen, wollte ich nicht zu spät kommen und meine Erfindung durch vorangegangene fremde Bearbeitungen gar als Nachahmung gestempelt sehen. Freund Kröner, der ja ein Verleger von höherer Art war und dem Poetischen gegenüber nie versagte, nahm sich des Gedichtes mit größter Wärme an und brachte es auch gleich in ansprechender, nicht veraltender Ausstattung heraus.
Aber ich hatte wieder einmal ahnungslos in ein Wespennest gestochen. Ich wusste ja gar nicht, dass die Wespen der rückständigen Männlichkeit noch soviel Gift in ihren Stacheln hatten. Die männliche Bequemlichkeit, die in dem Evastyp über Küche und Alkoven ihre Bedürfnisse erfüllt sah, schnob vor Entrüstung; meine erstaunten Ohren konnten sogar aus sonst verständigem Munde die Behauptung hören, dass es gerade die dumpfe, erdgebundene Frau sei, die den Mann zum größten Aufschwung beflügle, – schauerlicher Irrtum gleich dem des Alkoholikers, der zu schweben glaubt, während er taumelt. Andere zeigten sich beleidigt, da für sie doch ein für allemal das »Er soll dein Herr sein« zu gelten hatte. So wenig war noch in den Durchschnittsgehirnen der Sinn für Nietzsches »Übersichhinaufbauen« gereift. Ein Schulmann, der als Kritiker Ansehen genoss, schrieb in hämischem Tone eine von unbegreiflichen Gehässigkeiten strotzende Besprechung. Ein großes Blatt, das eben erst aus bedeutender Frauenfeder eine warme Anzeige gebracht hatte, fiel um und druckte nun diese, »damit auch eine andere Stimme zu Wort komme«. Der dem Buch zugefügte Schaden wurde noch größer durch den Umstand, dass auch Heyse sich mit leidenschaftlicher Heftigkeit dagegen wandte. Er hatte selbst in seinen »Mythen und Märchen« eine ganz im alten Sinne des Talmud gefasste »Lilith« gedichtet, Spätling einer müde gewordenen Feder, aber ihm vielleicht gerade deshalb besonders ans Herz gewachsen; so konnte er nicht wohl unbefangen urteilen. Er erklärte die Poesie für nicht berechtigt, eine Sagengestalt in ihr völliges Gegenteil umzudeuten, was sich durch den bloßen Hinweis auf Euripides widerlegen ließ, der es hatte wagen dürfen, seinen Griechen die Ehebrecherin Helena als ein Muster der Gattentreue vorzuführen. Mein Rückschluss aus der »Frau Venus« als mittelalterlicher Teufelinne auf eine ähnliche Verzerrung der Lilith ins Dämonische goss nur Öl ins Feuer, weil man damals nicht gewohnt war, festgestellte Männermeinungen durch eine Frau sachlich widerlegen zu hören. Diese Gegnerschaften gereichten dem Buch zum dauernden Schaden, den auch der größte private Beifall zuständiger Richter nicht ausgleichen konnte, denn was sich zu seinen Gunsten in der Öffentlichkeit regen wollte, wurde abgeblasen und das Gedicht dem Totschweigen überantwortet.
Ich hatte keine Zeit mich über das böse Schicksal eines meiner Lieblingskinder zu härmen, denn gleich setzte der kalte Sturmwind meines Lebens, der mich unaufhörlich in meinem Inferno umhertrieb, wieder ein. Wer je erfahren hat, was es heißt, an jedem Morgen beim Erwachen nach dem Nachbarbett hinüberzuhorchen, ob der geliebteste Mund noch atme oder ob die Stille, die eben von dort herüberweht, schon die letzte sei, wird mich verstehen.
So wurden die »Kinder der Lilith« die letzte größere Arbeit, die ich zu Lebzeiten meines Mütterleins fertigbrachte, abgesehen von den »Florentinischen Erinnerungen«, die ein Jahr später erschienen, aber zum größeren Teil schon früher in der glücklichen Via de’ Bardi geschrieben waren. Auch entstand noch ab und zu in Pausen der Krankheit etwas Kürzeres, aber ich war doch wie ein Schwimmer, der nur einen Arm gebrauchen kann, weil den anderen eine geliebte Last an der Bewegung hindert. Dass ich nur unter dem unmittelbaren Zwang der Eingebung schreiben konnte, machte jede gewollte Ausschlachtung der erlangten Gewandtheit, die notwendig den Druck des Augenblicks hätte zeigen müssen, unmöglich. Das war in jedem höheren Sinne mein Glück: »es hasset СКАЧАТЬ