Название: Kult-Krimis: 26 Romane & Detektivgeschichten
Автор: Friedrich Glauser
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788075834973
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Studer schritt hin und wieder, blieb beim Büchergestell stehen, zog ein Buch heraus, dessen Rücken ein wenig vorstand, blätterte darin, las eine angestrichene Stelle: »… die psychogenreaktiven Symptome, die z. T. eine sekundäre Determination der primären Prozeßsymptome, etwa der Parästhesien…«, übersprang ein paar Worte dann: »… katatone Haltungen, Stereotypien, Halluzinationen, Dissoziationen…« – Das war chinesisch!… – blätterte weiter, fand eine andere Stelle, die angestrichen war. Der Wachtmeister begann zu lesen, wurde aufmerksam, hielt das Buch nahe an seine Augen, setzte sich. Er las die Stelle einmal, las sie ein zweites Mal, sah nach dem Titel des Buches und las die angestrichene Stelle zum drittenmal; diesmal murmelte er die Worte, die er las, vor sich hin, wie ein Schüler der ersten Klasse, der noch Mühe hat, das gedruckte Wortbild in seiner Bedeutung zu erfassen:
»Der Psychotherapeut ist gefühlsmäßig am Schicksal seines Patienten beteiligt; daraus entsteht die Gefahr einer zu lebhaften Gegenbindung an den Patienten. Das Verhältnis Arzt-Patient kann sich auf die Ebene einer Freundschaft verschieben; geschieht dies, so hat der Arzt sein Spiel verloren. Denn es darf nie vergessen werden, daß jede seelische Behandlung sich in Form eines Kampfes abspielt. Eines Kampfes zwischen dem Arzt und der Krankheit. Soll dieser Kampf siegreich enden, so darf der Arzt nicht helfender Freund, er muß dauernd Führer bleiben; dies wiederum ist nur möglich bei Innehaltung einer Distanz…«
Studer klappte das Buch zu…
Distanz!
Das hieß: drei Schritt vom Leib! dachte er… Wie macht man das? Man will helfen, aber man muß sich selber immer auf die Finger sehen, damit die Finger hübsch brav bleiben und nicht freundschaftlich tun… Studer schnaubte.
Was die Menschen doch alles fanden! Da gab es: Eheberater, bestallte Psychologen, Psychotherapeuten, Fürsorger; es waren erbaut worden: Trinkerheilanstalten, Erholungsheime und Erziehungsanstalten… All dies wurde eifrig und bürokratisch betrieben… Aber viel eifriger noch und weniger bürokratisch wurden fabriziert: Gasbomben, Flugzeuge, Panzerkreuzer, Maschinengewehre… Um sich gegenseitig umzubringen… Es war wirklich eine kohlige Sache um den Fortschritt… Man war human, mit dem Hintergedanken, sich so schnell als möglich aus der Welt zu schaffen… Chabis! Auf was für Gedanken man kam, wenn man eine Untersuchung in einer Heil- und Pflegeanstalt zu führen hatte, wenn man sich also in jenem Reiche befand, in dem Matto regierte…
Distanz!
Hatte Dr. Laduner immer Distanz gewahrt! Anscheinend nicht, warum hätte er sonst die Stelle angestrichen? Und während diese Gedanken durch seinen Kopf gingen, wollte der Wachtmeister das Buch an seinen Platz stellen. Aber es gelang ihm nicht. Er griff mit der Rechten hinter die Bücher, faßte einen weichen ledernen Gegenstand, erschrak ein wenig, zog ihn dann hervor…
Da hatte man die Bescherung!… Eine Brieftasche… Eine Tausendernote… Zwei Hunderternoten… Ein Paß: Name: Borstli. Vorname: Ulrich. Beruf: Arzt. Geboren:… Doch wozu weiterlesen? Es war klar, klar wie Quellwasser.
Unmöglich zu beantworten aber war die Frage, wie die Brieftasche des alten Direktors sich ausgerechnet hinter den Büchern des Dr. Ernst Laduner versteckt hatte.
Und da die Frage nicht zu beantworten war, beschloß Wachtmeister Studer, sich Zeit zu lassen. Er steckte die Brieftasche ein, ging ans Telephon und ließ sich durch den Portier Dreyer mit dem kantonalen Polizeidirektor verbinden. Die Nummer des II. Arztes war ja rot und hatte somit Anschluß nach auswärts…
–… Studer solle nur ruhig in Randlingen bleiben, solange er es für nötig finde… Im Büro sei er doch nicht zu brauchen. Ja, er habe erfahren, daß der Direktor Borstli tot sei… So? Studer habe ihn gefunden?… Eine blinde Henne finde manchmal auch ein Korn… Das Signalement des Pieterlen? Ja, das habe er erhalten. Es sei schon telephonisch durchgegeben worden, und heute mittag komme es im Radio… Wiederluege…
Zwei kleine Belastungsproben
Der Entschluß, sich Zeit zu lassen, wurde an diesem Morgen zwei Belastungsproben unterworfen. Die dritte Belastungsprobe erfolgte erst am Nachmittag.
Nachdem das Summen des Staubsaugers verstummt war, kam Frau Laduner den Wachtmeister holen. Er könne jetzt ruhig in sein Zimmer gehen und etwas abliegen. Niemand werde ihn stören.
Als Studer den Sandsack aus seinem Koffer nehmen wollte, um ihn noch einmal zu untersuchen – denn im Laufe des Morgens hatte er gedacht, ein wenig zu mikroskopieren – war der Sandsack verschwunden. Er hatte sich nicht zwischen der Wäsche verborgen – er war fort, verschwunden…
Das konnte vorkommen. Studer machte gute Miene zu bösem Spiel, legte sorgfältig den Inhalt seines Koffers auf den Tisch, fand auf dem Boden der Handtasche etwas körnigen Sand, der von nichts anderem als vom Sandsack herrühren konnte, sammelte ihn in eine Enveloppe und zeichnete diese.
Dann trat er ans Fenster und blickte über den Hof.
Der Ebereschenbaum mit den gelben Blättern… Sonst war der Hof grau und leer.
Und da hatte er die zweite Belastungsprobe zu bestehen:
Er sah zwei Männer mit weißen Schürzen, die ganz am Ende des Hofes eine Bahre trugen mit einem Sarg darauf. Er wartete, sie kamen wieder, betraten das U 1. Nach einer Weile traten sie heraus mit einem zweiten Sarg. Im Gleichschritt, ein wenig wiegend, gingen sie auf ein Gebäude zu, das am Ende des Hofes lag, in der Nähe des großen Kamins, halb verdeckt vom Küchengebäude…
Letzte Nacht einen Toten… Diese Nacht zwei… Bohnenblust hatte recht behalten… Aber, war das nicht eine Sache, die das ärztliche Gewissen anging?… Schließlich, nicht jede chirurgische Operation gelingt… Warum sollte es bei seelischen Erkrankungen nicht auch einmal auf Leben und Tod gehen?… Dr. Laduner hatte recht, was ging das einen Laien an?
Am besten, man legte sich etwas hin und dachte nach… Sollte man vielleicht nach dem Gilgen schauen? Ihn trösten?…
Studer schnellte auf…
Das Mädchen machte gerade das Eßzimmer.
»Loset, Jungfer!« rief Studer sie leise an. Und ob sie heut morgen den Pfleger Gilgen direkt ins Arbeitszimmer geführt habe? – Nein. Er habe gesagt, er habe gestern nachmittag im Zimmer des Herrn Studer etwas vergessen, und sie habe ihn hingeführt… Ob der Herr Wachtmeister etwas vermisse?
– Nei, nei… Und es sei alles in Ordnung…
Dann lag Studer wieder auf dem Bett und überlegte sich, was zu tun sei… Den rothaarigen Gilgen ein wenig über Kreuzfragen rösten?… Eine unangenehme Beschäftigung!… Immerhin: Gilgen im Arbeitszimmer – und im Arbeitszimmer war die Brieftasche des Direktors hinter den Büchern versteckt… Gilgen im Zimmer des Wachtmeisters – und der Sandsack verschwand, und nur einem Zufall war es zu verdanken, daß die erste Enveloppe – die mit dem Haarstaub – unversehrt zurückgeblieben war…
Gilgen, der jeden Sonntag mit Pieterlen spazieren ging… Was hatten die beiden auf ihren Wanderungen b'rchtet?… Aber Gilgen hatte Sorgen, Gilgen hatte eine kranke Frau in Heiligenschwendi…
Es war СКАЧАТЬ