Kult-Krimis: 26 Romane & Detektivgeschichten. Friedrich Glauser
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Читать онлайн книгу Kult-Krimis: 26 Romane & Detektivgeschichten - Friedrich Glauser страница 78

Название: Kult-Krimis: 26 Romane & Detektivgeschichten

Автор: Friedrich Glauser

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788075834973

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СКАЧАТЬ unten im ersten Stock, das aufgeschlagene Buch auf dem Schreibtisch, die Kognakflasche und die Photographien der Kinder und Enkel, das große Bild der ersten Frau…

      Die Einsamkeit…

      Von der Einsamkeit wußten die Zeitungsleute nichts… Sie kannten nur die ›eiserne Pflichterfüllung‹…

      In der Dunkelheit abgestürzt?… Aber die Lampe brannte ja in der Heizung! Die Lampe brannte!… – Ich hab' ja selber den Schalter gedreht, um zu löschen! dachte Studer…

      Natürlich konnte Dr. Laduner nichts von der brennenden Lampe wissen, er wußte ja auch nichts von dem Totschläger auf dem Absatz…

      Der Wachtmeister fragte ruhig:

      »Was hat die Sektion eigentlich ergeben?«

      »Nichts Besonderes«, antwortete Dr. Laduner. »Unglücksfall… Wie ich es der Presse mitgeteilt habe…«

      »Dann«, sagte Studer, »wäre meine Mission eigentlich beendigt. Das Verschwinden des Direktors ist aufgeklärt und sonst… Der entwichene Patient Pieterlen wird auch ohne meine Hilfe wieder eingebracht werden…«

      Bei den letzten Worten blickte Studer auf und dem Arzte fest in die Augen. Dr. Laduner hatte sein Maskenlächeln aufgesetzt.

      »Warum brüskieren, Studer?« fragte er. Es sollte herzlich klingen, aber schwang da nicht ein anderer Ton mit? – »Wie mir gemeldet worden ist, haben Sie ja schon Vorzügliches geleistet: Sie haben aufklären können, auf welche Weise der Patient Pieterlen hat entweichen können, Sie haben den Direktor entdeckt… Aber es wird Ihnen nicht entgangen sein, daß noch etliche Unklarheiten bestehen: Ich habe erfahren, daß dem verstorbenen Direktor am Mittwochmorgen eine größere Summe ausbezahlt worden ist. Wohin ist diese Summe verschwunden? Die Taschen des Toten waren leer, daran werden Sie sich erinnern… wo ist das Geld hingekommen?… Hat Pieterlen den Direktor getroffen? Hat er ihn hinuntergestoßen? – Wissen Sie, die von mir inspirierte Zeitungsnotiz ist eine reine Beruhigungsmaßnahme, eine Tarnung, um ein heute viel gebrauchtes Wort zu verwenden. Aber was ist in Wirklichkeit geschehen?… Dies herauszufinden ist Ihre Sache, obwohl Sie keinen Ruhm ernten werden… Offiziell wird der Direktor immer einem Unglücksfall zum Opfer gefallen sein. Aber ich meine, es kann nichts schaden, wenn wir die Wahrheit entdecken… Denn die Wahrheit – Sie wissen, Studer, was ich meine – rein vom wissenschaftlichen Standpunkte aus wäre es von Interesse…«

      Am liebsten hätte Studer folgendes erwidert:

      ›Mein lieber Doktor, warum ist Ihre Rede nicht mehr geistreich und witzig? Sie verhaspeln sich ja! Sie sind unsicher! Was ist mit Ihnen los? Mann! Sie haben ja Angst!‹

      Aber von all dem sagte er nichts, denn er sah in Dr. Laduners Augen, sah, wie der Blick sich veränderte – zwar die Maske, das Lächeln, blieb –, aber nun war es kein unkontrollierbarer Eindruck, jetzt war es festzustellen, jetzt war es zum Greifen deutlich: Dr. Laduner hatte Angst! Jawohl, Angst!… Wovor? Man durfte nicht fragen…

      Den Wachtmeister Studer von der Fahndungspolizei überkam ein seltsames Gefühl. In seinem langen Leben war es ihm nie eingefallen, über seine Gefühlsregungen nachzudenken. Meist handelte er nach dem Instinkt oder dann nach den Prinzipien der Kriminologie, wie sie seine Lehrer in Lyon und in Graz festgelegt hatten. Aber jetzt versuchte er sich Rechenschaft zu geben über das Gefühl, das er diesem Dr. Laduner entgegenbrachte; und er stellte fest, daß es Mitleid war. Vielleicht war der Aufenthalt in einer Anstalt an dieser Klarheit schuld – denn beschäftigte man sich hier nicht ausschließlich mit den Regungen des Gefühls- und Seelenlebens? Färbte das nicht ab? Genug: er fühlte Mitleid; aber eine besondere Art Mitleid. Es ließ sich schwer in Worte fassen…

      Brüderliches Mitleid war es, das man zu dem sonderbaren Menschen Laduner fühlte, fast eine Liebe, am ehesten jener zu vergleichen, die ein älterer Bruder, der wenig Erfolg gehabt im Leben, für seinen Benjamin fühlt, der klüger ist und groß und berühmt. Eben deshalb aber ist er von Gefahren bedroht, die gebannt werden müssen…

      Vor allem, und das sollte man festhalten, hatte Dr. Laduner sicher Angst vor einem Skandal, denn ein Skandal würde seine Wahl zum Direktor vereiteln…

      Studer lächelte, sagte tröstend:

      »Also: die Wahrheit suchen… Gut, Herr Doktor… Die Wahrheit für uns

      Und er betonte das ›uns‹.

      Es klopfte. Ein junges Mädchen meldete, der Pfleger Gilgen lasse fragen, ob er den Herrn Doktor sprechen könne… Sie habe ihn ins Arbeitszimmer geführt.

      »Gut«, sagte Laduner. Und er komme gleich.

      Dann blickte er einige Zeit in seine leere Tasse, als wolle er, wie eine Wahrsagerin, die Zukunft aus dem Kaffeesatz deuten, schließlich hob er wieder die Augen, sein Blick war ruhig. Und um seinen Mund lag der gleiche weiche Ausdruck wie am Abend zuvor, da er vom Demonstrationsobjekt Pieterlen gesprochen hatte…

      »Sie sind ein komischer Kerl, Studer«, sagte er. »Und Sie scheinen nicht vergessen zu haben, daß ich Ihnen Brot und Salz geboten habe…«

      »Vielleicht«, meinte Studer und blickte weg, denn er haßte gefühlvolles Gehaben. Darum begann er auch sogleich vom Pfleger Gilgen zu sprechen, der ihn gebeten hätte, beim Herrn Doktor ein gutes Wort für ihn einzulegen, da er entlassen werden solle…

      »Das kommt doch gar nicht in Frage!« sagte Laduner erstaunt. »Ist der Mann verrückt geworden? Mit dem Jutzeler ist der Gilgen mein bester Pfleger – ich möchte sogar sagen, der Gilgen ist der bessere… Der hat die Prüfung schlecht bestanden, aber was hat das zu sagen? Er kann mit den Leuten umgehen, er weiß mehr mit dem Instinkt als wir mit all unserer Wissenschaft… Das will ich ehrlich zugeben… Sie hätten den kleinen Gilgen sehen sollen, wie er einmal einen erregten Katatoniker beruhigt hat, der um zwei Köpfe größer war als er. Ganz allein. Ich bin zufällig dazugekommen… Sie haben doch schon Melker gesehen, die mit dem störrischsten Stier umzugehen wissen… Der Muni senkt die Hörner und will auf sie los, und sie locken. Ssä, ssä, ssä… Der kleine Gilgen sagte auch ssä, ssä zu dem Katatoniker… Und der Erregte wurde ruhig, er ließ sich ins Bad führen, und Gilgen blieb ganz allein bei ihm und redete mit ihm, obwohl der andere katzsturm war… Aber das störte den Gilgen nicht. Es gibt so Menschen, die ein Gefühl haben für Kranke… Nein, den Gilgen wollen wir behalten… Ich hab da dunkle Andeutungen gehört, er soll Patientenwäsche getragen haben, der Direktor war wütend letzte Woche, und der Jutzeler hat sich für seinen Kollegen eingesetzt – obwohl die Kollegialität hier unter den Pflegern ein Kapitel für sich ist… Schade, daß der kleine Gilgen Sorgen hat… Ich will mit ihm sprechen gehen…«

      Studer blieb sitzen, ließ sich von Frau Laduner bedienen, war zerstreut und hörte nur mit halbem Ohre zu. – Auf morgen sei das Begräbnis festgesetzt, nachher werde es ein wenig stiller, erzählte die Frau Doktor, und das werde gut sein für ihren Mann, der sei dermaßen überarbeitet…

      Aber, unterbrach sie sich, der Herr Studer sei sicher müde, sie habe so lachen müssen heute morgen, daß er im Bad eingeschlafen sei, ihrem Manne sei das auch schon zweimal passiert – und ob er nicht noch ein wenig abliegen wolle? Sie wolle schnell go luege, ob das Meitschi das Zimmer schon gemacht habe, inzwischen könne er ja ins Arbeitszimmer hinübergehen. Ihr Mann sei wahrscheinlich zum Rapport gegangen – sie stand auf, öffnete die Tür zum Nebenzimmer –,ja, Studer solle nur hineingehen, sich in einen bequemen Stuhl setzen, Bücher habe es genug… Und sein Zimmer werde bald fertig sein… Bald darauf erfüllte das eintönige Summen eines Staubsaugers die Wohnung.

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