Dreimal bückten wir uns tief, und wagten es dann an ihm hinauf zu blinzeln. Ein schöner, stattlicher Greis! Augen so klar und helle, wie die eines Jünglings, die Stirne voll Hoheit, der Mund voll Würde und Anmut; er war angetan mit einem feinen schwarzen Kleid, und auf seiner Brust glänzte ein schöner Stern. – Doch er ließ uns nicht lange Zeit zu solchen Betrachtungen; mit der feinen Wendung eines Weltmannes, der täglich so viele Bewunderer bei sich sieht, lud er uns zum Sitzen ein.
Was war ich doch für ein Esel gewesen, in dieser so gewöhnlichen Maske zu ihm zu gehen. Doctores legentes mochte er schon viele Hunderte gesehen haben. Amerikaner, die, wie unser Wirt meinte, ihm zulieb auf die See gingen, gewiß wenige; daher kam es auch, daß er sich meist mit meinem Gefährten unterhielt. Hätte ich mich doch für einen gelehrten Irokesen oder einen schönen Geist vom Mississippi ausgegeben. Hätte ich ihm nicht Wunderdinge erzählen können, wie sein Ruhm bis jenseits des Ohio gedrungen, wie man in den Kapanen von Louisiana über ihn und seinen »Wilhelm Meister« sich unterhalte? – So wurden mir einige unbedeutende Floskeln zuteil, und mein glücklicherer Gefährte durfte den großen Mann unterhalten.
Wie falsch sind aber oft die Begriffe, die man sich von der Unterhaltung mit einem großen Manne macht! Ist er als witziger Kopf bekannt, so wähnt man, wenn man ihn zum erstenmal besucht, einer Art von Elektrisiermaschine zu nahen. Man schmeichelt ihm, man glaubt, er müsse dann Witzfunken von sich strahlen, wie die schwarzen Katzen, wenn man ihnen bei Nacht den Rücken streichelt; ist er ein Romandichter, so spitzt man sich auf eine interessante Novelle, die der Berühmte zur Unterhaltung nur geschwind aus dem Ärmel schütteln werde; ist er gar ein Dramatiker, so teilt er uns vielleicht freundschaftlich den Plan zu einem neuen Trauerspiel mit, den wir dann ganz warm unseren Bekannten wieder vorsetzen können. Ist er nun gar ein umfassender Kopf wie Goethe, einer der, sozusagen, in allen Sätteln gerecht ist – wie interessant, wie belehrend muß die Unterhaltung werden; wie sehr muß man sich aber auch zusammennehmen, um ihm zu genügen.
Der Amerikaner dachte auch so, ehe er neben Goethe saß; sein Ich fuhr, wie das des guten Walt, als er zum Flitte kam, ängstlich oben in allen vier Gehirnkammern, und darauf unten in beiden Herzkammern wie eine Maus umher, um darin ein schmackhaftes Ideenkörnchen aufzutreiben, das er ihm zutragen, und vorlegen könnte zum Imbiß. Er blickte angstvoll auf die Lippen des Dichters, damit ihm kein Wörtchen entfalle, wie der Kandidat auf den strengen Examinator, er knickte seinen Hut zusammen, und zerpflückte einen glacierten Handschuh in kleine Stücke. Aber welcher Zentnerstein mochte ihm vom Herz fallen, als der Dichter aus seinen Höhen zu ihm herabstieg, und mit ihm sprach, wie Hans und Kunz in der Kneipe. Er sprach nämlich mit ihm vom guten Wetter in Amerika, und indem er über das Verhältnis der Winde zu der Luft, der Dünste des wasserreichen Amerika zu denen in unserem alten Europa sich verbreitete, zeigte er uns, daß das All der Wissenschaft in ihm aufgegangen sei, denn er war nicht nur lyrischer und epischer Dichter, Romanist und Novellist, Lustspiel-und Trauerspieldichter, Biograph (sein eigener) und Übersetzer – nein, er war auch sogar Meteorolog!
Wer darf sich rühmen, so tief in das geheimnisvolle Reich des Wissens eingedrungen zu sein? Wer kann von sich sagen, daß er mit jedem seine Sprache, d. h. nicht seinen vaterländischen Dialekt, sondern das, was ihm gerade geläufig und wert sein möchte, sprechen könne. Ich glaube, wenn ich mich als reisender Koch bei ihm aufgeführt hätte, er hätte sich mit mir in gelehrte Diskussionen über die geheimnisvolle Komposition einer Gänseleberpastete eingelassen, oder nach einer Sekundenuhr berechnet, wie lange man ein Beefsteak auf jeder Seite schmoren müsse.
Also über das schöne Wetter in Amerika sprachen wir, und siehe – das Armesündergesicht des Amerikaners hellte sich auf, die Schleusen seiner Beredsamkeit öffneten sich – er beschrieb den feinen weichen Regen von Kanada, er ließ die Frühlingsstürme von New York brausen, und pries die Regenschirmfabrik in der Franklinstraße zu Philadelphia. Es war mir am Ende, als wäre ich gar nicht bei Goethe, sondern in einem Wirtshaus unter guten alten Gesellen, und es würde bei einer Flasche Bier über das Wetter gesprochen, so menschlich, so kordial war unser Diskurs; aber das ist ja gerade das große Geheimnis der Konversation, daß man sich angewöhnt – nicht gut zu sprechen, sondern gut zu hören. Wenn man dem weniger Gebildeten Zeit und Raum gibt zu sprechen, wenn man dabei ein Gesicht macht, als lausche man aufmerksam auf seine Honigworte, so wird er nachher mit Enthusiasmus verkünden, daß man sich bei dem und dem köstlich unterhalte.
Dies wußte der vielerfahrene Dichter, und statt uns von seinem Reichtum ein Scherflein abzugeben, zog er es vor, mit uns Witterungsbeobachtungen anzustellen.
Nachdem wir ihn hinlänglich ennuyiert haben mochten, gab er das Zeichen zum Aufstehen, die Stühle wurden gerückt, die Hüte genommen, und wir schickten uns an, unsere Abschiedskomplimente zu machen. Der gute Mann ahnete nicht, daß er den Teufel zitiere, als er großmütig wünschte, mich auch ferner bei sich zu sehen, ich sagte ihm zu, und werde es zu seiner Zeit schon noch halten, denn wahrhaftig, ich habe seinen Mephistopheles noch nicht hinuntergeschluckt. Noch einen – zwei Bücklinge, wir gingen. –
Stumm und noch ganz stupid vor Bewunderung folgte mir der Amerikaner nach dem Gasthof; die Röte des lebhaften Diskurses lag noch auf seiner Wange, zuweilen schlich ein beifälliges Lächeln um seinen Mund, er schien höchst zufrieden mit dem Besuch.
Auf unserem Zimmer angekommen warf er sich heroisch auf einen Stuhl, und ließ zwei Flaschen Champagner auftragen. Der Kork fuhr mit einem Freudenschuß an die Decke, der Amerikaner füllte zwei Gläser, bot mir das eine, und stieß an auf das Wohlsein jenes großen Dichters.
»Ist es nicht etwas Erfreuliches«, sagte er, »zu finden, so hoch erhabene Männer seien wie unsereiner? War mir doch angst und bange vor einem Genie, das dreißig Bände geschrieben; ich darf gestehen, bei dem Sturm, der uns auf offener See erfaßte, war mir nicht so bange, und wie herablassend war er, wie vernünftig hat er mit uns diskurriert, welche Freude hatte er an mir, wie ich aus dem neuen Lande kam!« Er schenkte sich dabei fleißig ein, und trank auf seine und des Dichters Gesundheit, und von der erlebten Gnade und vom Schaumwein benebelt, sank er endlich mit dem Entschluß, Amerikas Goethe zu werden, dem Schlaf in die Arme.
Ich aber setzte mich zu dem Rest der Bouteillen. Dieser Wein ist von allen Getränken der Erde der, welcher mir am meisten behagt, sein leichter flüchtiger Geist, der so wenig irdische Schwere mit sich führt, macht ihn würdig, von Geistern, wenn sie in menschlichen Körpern die Erde besuchen, gekostet zu werden.
Ich mußte lächeln, wenn ich auf den seligen Schläfer blickte; wie leicht ist es doch für einen großen Menschen, die andern Menschen glücklich zu machen; er darf sich nur stellen, als wären sie ihm so ziemlich gleich, und sie kommen beinahe vom Verstand.
Dies war mein Besuch bei Goethe, und wahrhaftig, ich bereute nicht, bei ihm gewesen zu sein, denn:
»Von Zeit zu Zeit seh ich den Alten gern,
Und hüte mich mit ihm zu brechen,
Es ist gar hübsch von einem großen Herrn,
So menschlich mit dem Teufel selbst zu sprechen.«
IV
Der Festtag im Fegefeuer
Achtzehntes Kapitel
Beschreibung des Festes. Satan lernt drei merkwürdige Subjekte kennen