Название: DER ZAR
Автор: Ted Bell
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783958351318
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Neben jedem Goldbecher voller Wasser auf dem Tisch lag ein Geschenk, vermutlich eine kleine Aufmerksamkeit des Grafen. Rostow nahm seines in die Hand und betrachtete es: ein goldenes Zellenemail-Schupftabakdöschen mit dem Konterfei von Iwan dem Schrecklichen. Er verstand es als Witz. Es handelte sich sogar um ein echtes Fabergé-Werkstück, wie er erkannte, als er es umdrehte.
»Guten Morgen, Genossen«, dröhnte die vertraut geisterhafte Stimme aus verborgenen Lautsprechern. Sie hörte sich nach einer Bassbox an, die richtig eingestellt werden musste, doch der Tonfall des Grafen war unmissverständlich: Heute rollen Köpfe, dachte der Präsident und musste schmunzeln. Heute rollen Köpfe.
»Guten Morgen, Exzellenz!«, antworteten die Männer nahezu im Einklang und vielleicht einen Tick zu schrill.
Von den 13 Personen am Tisch blieb nur das russische Staatsoberhaupt völlig still. Er lächelte die anderen nachsichtig an, was ihm einen beinahe väterlich amüsierten Gesichtsausdruck verlieh. Die guten Nachrichten, die er mitbrachte, erlaubten ihm, entspannt zu bleiben und einen ruhigen Eindruck zu vermitteln. Seine Tischgesellen hingegen wirkten unruhig, blickten hektisch um sich. Dabei waren viele von ihnen mit zwei Sternen dekoriert, dem sogenannten ›Helden‹ sowohl der Sowjetunion als auch der Russischen Föderation. Hieran zeigte sich, welch enorme Macht der Dunkle Ritter besaß.
»Die Besichtigung hat Ihnen allen gefallen, nicht wahr?«, fragte Korsakow.
Einhelliges Nicken folgte. Der Präsident war einer der wenigen, der diese Geste nicht nachahmte. Er hatte sich schon früh einen Trick angeeignet, um nicht alles automatisch abzusegnen, was der Graf von sich gab: Indem er seinen rechten Ellbogen fest auf den Tisch stützte und die Hand zur Faust ballte, legte er sein Kinn darauf und verharrte so für den weiteren Verlauf jeder Versammlung. Geistloses Kopfwackeln kam für den Präsidenten von Russland nicht infrage!
»Lassen Sie uns beginnen, Genossen«, fuhr Korsakow fort. »Wir heißen Präsident Rostow nach seiner Rückkehr von der Barentssee willkommen und sind gespannt, was er von den Raketentests unserer neuen Bulawa auf dem Meer zu berichten weiß. Als ersten Punkt unserer Tagesordnung werden wir allerdings eine kleine Ungenauigkeit richtigstellen. Bei einer Besprechung im Kreml vor einem Jahr gab ich dieser Gruppe zwei sehr schlichte Dinge zur Berücksichtigung mit auf den Weg. Ich bestand darauf, dass Sie Ihre Steuern zahlen – bis auf den letzten Rubel. Ferner verlangte ich, dass Sie sich auf keinerlei politische Aktivitäten einlassen, die unserem werten Präsidenten in irgendeiner Weise schaden könnten. Erinnert sich jeder hier noch daran?«
Die Männer im Raum verfielen in unbehagliches Schweigen. Selbst das Dienstpersonal bemerkte die Befangenheit und nahm Abstand vom Tisch. Die Leibwächter des Präsidenten, zwei stämmige Ukrainer, die vor der Tür geblieben waren, betraten den Raum.
»Anscheinend nicht. Ich möchte bitte, dass sich General Iwan Alexandrowitsch Serow erhebt.«
Der Genannte, ein alter, fett gewordener Glatzkopf, raffte sich mühselig auf, nicht ohne sein Wasser erneut umzustoßen. Sein Gesicht war leichenblass, und seine rechte Hand mit der Schnupftabakdose, die er begutachtet hatte, zitterte unbeherrscht.
»Danke sehr, General. Jetzt Sie, Alexej Nemerow. Wenn auch Sie bitte aufstehen würden.«
Der Mann gehorchte, eine dürre Gestalt wie aus Wachs mit schütterem, blonden Haar und runden Gläsern in einer Stahlrahmenbrille. Ihm wurde bewusst, dass er aus gutem Grund neben dem General platziert worden war. Nun standen Sie Seite an Seite, beide sichtlich erschüttert – nur einer vor Furcht und der andere vor Wut.
»Exzellenz, da muss ein Irrtum vorliegen«, sagte Nemerow mit finsterem Blick auf den Vorhang, als könnten seine Augen diesen durchdringen und der Mann dahinter ließe sich greifen, bevor Korsakow die Gelegenheit –
Die Stimme des Grafen blieb tief und klang äußerst bedrohlich. »Ein Irrtum wurde begangen, in der Tat, Alexej! Sie scheinen beide vergessen zu haben, weshalb Sie in unserem glorreichen Neuen Russland zu solch erlauchten Positionen gekommen sind, sich über Milliarden erheben und in Villen auf Cap d'Antibes residieren dürfen. Heute sind Sie nur hier, weil ich mich auf Sie verließ … und heute werden Sie verschwinden, weil ich das nicht mehr tue.«
Rostows Leibwächter, die eingetreten und an der Wand entlang nähergekommen waren, standen direkt hinter den beiden Verrätern. Jeder der beiden machte einen Schritt vorwärts, geräuschlos und ohne dass ihre vorgesehenen Opfer es wahrnahmen. Die übrigen elf Männer wandten ihre Blicke von dem blutigen Drama ab, das folgen musste.
Serow und Nemerow stießen gegen den Tisch. Beide spürten mit einem Mal den Druck von kaltem Stahl an ihren Hinterköpfen, und beide schlossen in Erwartung des Unausweichlichen die Augen.
»Wo Chaos vorherrscht, hat sich die Ordnung zurückgezogen«, sprach Korsakow. »Möge sie wiederhergestellt werden.«
Dies war das Signal. Die beiden Bewaffneten feuerten gleichzeitig. Ihre Parabellum-Hohlspitzgeschosse drangen in die Schädel ein, woraufhin Knochensplitter und Hirnmasse als hellroter bis grauer Sprühnebel hoch über den Tisch spritzten. Gewebeklumpen klatschten in die entsetzten Gesichter der Männer, die genau gegenüber den Gerichteten saßen.
Bevor die toten Leiber zu Boden fallen konnten, wurden sie von den Leibwächtern unter den Armen festgehalten und vom Tisch weggezogen. Sie schleiften die Körper zur Tür, die nun von einem Kellner geöffnet wurde.
»Machen Sie bitte wieder zu«, verlangte Korsakow, als die Toten draußen waren und die Bediensteten ihr zerbrochenes Geschirr – ein unansehnliches Bild – sowie einen Teil der Schweinerei beseitigt hatten. Die blutgetränkten Servietten tauschte man gegen frische weiße.
»Nun lassen Sie uns fortfahren. Bitte genießen Sie Ihr Frühstück, meine Herren. Ich möchte noch das eine oder andere loswerden, bevor der Präsident von den Marinemanövern in der Barentssee berichtet. Hat noch jemand Fragen? Nein? Gut. Ich will Ihnen erklären, worum es bei dieser Versammlung eigentlich geht. Sie werden sich brennend dafür interessieren, das garantiere ich Ihnen.«
An dieser Stelle machte der Graf eine Pause, um den zu Zehn geschrumpften Zwölf Zeit zu geben, sich zu fassen. Sobald er sah, dass sie es Rostow gleichtaten, indem sie sich anschickten, aus Schnapsgläsern »Wässerchen« zu trinken, wie die Russen ihren geliebten Wodka nannten, sowie an den Eiern, Essiggurken und Würstchen auf ihren Tellern herumstocherten, redete er weiter.
»Zunächst einmal würde ich in Bezug auf unsere innerstaatlichen Probleme und speziell die Gräueltaten der Tschetschenen in letzter Zeit vorschlagen, dass wir uns angewöhnen, jedwede Schwierigkeit aus allen Blickwinkeln zu betrachten, also weder das Vordergründige noch die Kehrseite außer Acht zu lassen. Unter bestimmten Bedingungen kann vermeintlich Schlechtes gute Ergebnisse erzielen und auf den ersten Blick Gutes zu Schlechtem führen. Die vielen zivilen Opfer in Nowgorod waren bedauernswert, doch wir werden Sie zu unserem Vorteil nutzen, glauben Sie mir.
Die Welt befindet sich einmal mehr in einem chaotischen Zustand, meine Herren. Das liegt daran, dass ihr ein ausgewogenes Gleichgewicht fehlt. Seit dem verheerenden Zusammenbruch der Sowjetunion gibt es nur noch eine Großmacht, die Vereinigten Staaten von Amerika. Ein Gegenpol, der so etwas wie symmetrische Ordnung auf unserem Planeten herstellen könnte, existiert nicht mehr. Die Europäer möchten diese Funktion einnehmen und scheitern kläglich. Nun, das war vorhersehbar. Die Chinesen würden es auch gern versuchen, besitzen СКАЧАТЬ