Название: Die Schlucht
Автор: Иван Гончаров
Издательство: Public Domain
Жанр: Русская классика
isbn:
isbn:
»Alles das ist so unzutreffend und so überflüssig, Cousin!« sagte sie. »Nichts von alledem, was Sie da ausführten, trifft zu. Weder blickt der Ahnherr mit Wohlwollen auf mich herab, noch umgibt mich ein Glorienschein. Ihre hitzigen Ausführungen amüsieren mich nur, ich brauche nun eine ganze Weile nicht ins Theater zu gehen, denn ich habe ja die schönste Komödie hier vor Augen, ohne mich vom Platze zu rühren! . . . Wissen Sie, an wen Sie mich erinnern? An Tschazki (Held der Seibojedowschen Komödie »Wissen bringt Schmerz«) . . .«
Er verfiel in Nachsinnen, prüfte gleichsam sich selbst in Gedanken und lächelte unwillkürlich.
»Sie haben recht, ich bin töricht und lächerlich,« sagte er, während er mit einem gutmütigen Lächeln auf sie zutrat. »Und ich bin auch sozusagen direkt vom Schiffe zum Ball gekommen . . . Auch ein paar Famussows sind vorhanden, nur daß sie hier Unterröcke tragen« – er wies mit dem Finger nach den Tanten. »Und in fünf, in zehn Jahren . . .« Er ließ den Satz unbeendet, machte eine ungeduldige Handbewegung und setzte sich auf den Diwan.
»Sie sprachen von Täuschung, List und Gewalttat – was meinten Sie damit?« fragte sie. »Nichts von alledem kommt in Frage, niemand hat mir auch nur im geringsten Zwang angetan . . Was hat mein Ahne verbrochen? Ist er vielleicht schuld daran, daß Sie nicht imstande sind, mir Ihre Prinzipien darzulegen? Sie haben es schon mehrmals versucht, jedoch immer vergeblich . . .«
»An Ihnen sind meine Versuche allerdings abgeprallt, Cousine! Ihre Ahnen . . .«
»Und auch die Ihrigen: denn auch Sie haben doch Ahnen!«
»Gut, also sagen wir: unsere Ahnen waren kluge, verschlagene Leute,« fuhr er fort. »Wo sich mit Gewalt nichts mehr erraffen ließ, brachten sie ein raffiniertes System in Anwendung, das sie zur Tradition erhoben – und Sie gehen als Opfer dieses Systems, dieser Tradition zugrunde, wie die Indierin, die zugleich mit dem Leichnam ihres Gatten verbrannt wird . . .«
»Hören Sie einmal, Mr. Tschazki,« fiel sie ihm ins Wort, »sagen Sie mir doch wenigstens, woran ich denn zugrunde gehe? Etwa daran, daß ich das neue Leben nicht begreife, daß ich mich nicht . . . wie nennen Sie es doch? . . . der Entwicklung unterordnen mag? Das ist ja wohl Ihr Lieblingswort! Sind Sie denn in dieser Entwicklung so weit vorgeschritten, wie? Jeden Tag höre ich von Ihnen, daß Sie sich langweilen . . . und sehe, daß Sie alles mögliche tun, damit auch die anderen sich langweilen . . .«
»Habe ich auch bei Ihnen nur diesen Erfolg zu verzeichnen?«
»Nein, in allem Ernst – Sie tun mir leid . . .«
»Sie treten sich selbst zu nahe, Cousine, wenn Sie zwischen sich und mir auch nur im geringsten Vergleiche anstellen. Ich bin ein . . . nun, sagen wir: verbummeltes Genie . . . ein . . . ein, ach, ich weiß selbst nicht, was ich bin, und kein Mensch weiß es überhaupt. Ich bin ein kranker, anormaler Mensch und habe mein Leben verzettelt und verpfuscht . . . oder vielmehr: ich hab’ es überhaupt nicht begriffen. Sie aber sind eine ganze, bestimmte, in sich vollendete Persönlichkeit, Ihr Leben ist klar und durchsichtig. Und dennoch ist mir bange um Sie! Es quält mich, daß ich Ihr Leben so nutzlos verrinnen sehe, wie einen Fluß in der Wüste . . . Hat die Natur Sie dazu bestimmt? Schauen Sie sich doch an! . . .«
»Was soll ich also tun, Cousin? Ich begreife es noch nicht! Sie sagten vorhin, um das Leben zu begreifen, müsse man zunächst den Vorhang wegziehen, der es verhüllt. Nehmen wir an, dieser Vorhang sei weggezogen, ich hätte den Ahnen den Gehorsam gekündigt und wüßte, wohin alle diese Leute« – sie zeigte nach der Straße hinaus – »so hastig rennen, was sie treibt und beunruhigt: was hätte ich dann nach Ihrer Meinung weiter zu tun?«
»Weiterhin müßten Sie . . .«
Er erhob sich, warf einen Blick in den Salon, trat leise auf sie zu und sagte mit gedämpfter, doch klar vernehmbarer Stimme:
»Sich verlieben!«
»Voilá le grand mot!« bemerkte sie spöttisch.
Sie schwiegen beide.
»Ich glaube,« sagte sie dann lächelnd und nickte mit dem Kopfe nach den Tanten im Salon – »Sie machen auch ihnen einen Vorwurf daraus, daß sie sich nicht verliebt haben?«
Raiski machte eine ärgerliche Handbewegung nach dem Salon.
»Sind Sie etwa besser als die Tanten, Cousine?« versetzte er gereizt. »Nur daß sie alt und krank sind, während Sie in jugendlicher, blendender Schönheit strahlen . . .«
»Merci, merci,« unterbrach sie ihn ungeduldig mit ihrem gewohnten, gleichsam erstarrten Lächeln.
»Warum fragen Sie mich nicht, Cousine, was ich eigentlich unter Liebe verstehe?«
»Weil ich nicht das Bedürfnis fühle, es zu wissen.«
»Nein, nicht deshalb – sondern weil Sie sich fürchten, mich danach zu fragen!«
»Weshalb?«
»Weil die da es vielleicht hören könnten!« Raiski zeigte nach den Ahnenbildern an der Wand. »Und weil sie« – er nickte nach den Tanten im Salon – »es Ihnen nicht gestatten.«
»Nein – sondern weil er es hören könnte!« sagte sie und zeigte nach dem lebensgroßen Bilde ihres verstorbenen Gatten, das in einem gotischen Goldrahmen über dem Diwan hing.
Sie erhob sich, trat an den Spiegel heran und zupfte nachdenklich an der Halsspitze ihres Kleides. Raiski betrachtete inzwischen das Porträt ihres Gatten: er sah ein graues Augenpaar, eine spitze, kleine Nase, einen ironisch verzogenen Mund, kurzgeschorenes Haar und einen rötlichen Backenbart. Sein Blick glitt dann über ihre üppige, schönheitstrahlende Gestalt, und er suchte sich im Geiste den Glücklichen vorzustellen, der einmal das Herz dieses herrlichen Weibes erobern würde.
»Der hat es nicht erobert, niemals!« dachte er, während er das Porträt betrachtete; »der ist auch nichts weiter als ein Ahnherr, wenn er auch noch nicht ganz so verblichen ist wie die anderen. Und nicht seinetwegen hältst du dich zurück, sondern dem Prinzip zuliebe . . .«
»Sie kommen sooft auf dieses Lieblingsthema der Liebe zurück, Cousin,« sagte sie mit einem koketten Blick in den Spiegel – »und dabei sind wir beide doch schon alte Leute, denen solche Dinge gar nicht mehr anstehen!«
»Das heißt, wir sollen aufhören zu leben . . . Für mich will ich das gelten lassen – aber Sie, Cousine?«
»Wie leben denn die anderen? Fast alle ohne Ausnahme?«
»Kein Mensch lebt so!« unterbrach er sie in überzeugtem Tone.
»Wie? Nach Ihrer Meinung lebt Fürst Pierre, und Anna Borissowna, und Lew Petrowitsch . . . und sie alle . . .
»Sie leben entweder von den Erinnerungen ihrer Liebe, oder sie lieben noch und verstellen sich . . .«
Sie lachte hell auf, begann die Blumen in der Vase symmetrisch zu ordnen und trat dann wieder vor den Spiegel.
»Gewiß, sie mögen geliebt haben oder vielleicht noch immer lieben, aber sie tun das im stillen, ohne viel Wesens davon zu machen,« sagte sie und wandte sich ab, um in den Salon zu gehen.
»Nur ein Wort noch, Cousine!« klang es an ihr Ohr.
»Noch etwas von der Liebe?« fragte sie, während sie stehen blieb.
»Nein, fürchten Sie nichts – für jetzt wenigstens nicht. СКАЧАТЬ