Название: Die Schlucht
Автор: Иван Гончаров
Издательство: Public Domain
Жанр: Русская классика
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Wjerotschka war ein brünettes kleines Ding mit scharfblickenden schwarzen Augen, sie wußte sich bereits einen gewissen Anstrich zu geben und schämte sich ihrer kindlichen Torheiten: ist sie zwei, drei Schritte nach Kinderart gehüpft, dann bleibt sie plötzlich stehen und sieht sich verlegen um, geht ein paar Schritte ernst und gemessen, läuft wieder ein Stückchen, pflückt heimlich in aller Eile eine Johannisbeere, steckt sie rasch in den Mund und verzieht, während sie die Beere hinunterschluckt, nicht einmal die Lippen. Fährt Boris ihr mit der Hand über den Kopf, dann streicht sie sich sogleich das Haar zurecht, und küßt er sie, dann wischt sie sich unbemerkt die Wange ab. Sie nimmt den Ball, wirft ihn ein- oder zweimal in die Höhe, und fällt er daneben, so hebt sie ihn nicht auf, sondern hüpft davon, reißt ein Blatt vom Baume und versteht damit zu knallen.
Sie ist ein kleiner Trotzkopf; sagt man ihr: wir wollen dahin gehen – so geht sie entweder nicht mit, oder sie tut es wenigstens nicht sofort, sondern schüttelt erst verneinend den Kopf, um dann schließlich doch, immer hüpfend und springend, nach dem angegebenen Ziel zu eilen.
Sie bat Raiski nie, etwas zu zeichnen, wenn aber Marsinka ihn darum gebeten hatte, sah sie ihm aufmerksamer zu als diese, sagte jedoch kein Wort. Nie bat sie auch um fertige Zeichnungen oder Bleistifte, wie Marsinka das tat. Sie zählte damals wenig über sechs Jahre.
Im Gegensatz zu der älteren Schwester war die fünfjährige Marsinka ein rundliches, kleines Mädelchen mit sehr weißer Haut und roten Bäckchen. Sie hatte oft ihre Launen und weinte dann, doch dauerte das nicht lange: im nächsten Moment, während ihre Augen noch von Tränen feucht waren, jauchzte und lachte sie schon wieder.
Wjerotschka weinte nur selten und dann ganz still für sich; tat jemand ihr weh, so wurde sie schweigsam und kam nicht so bald wieder in Stimmung. Sie hat es nicht gern, wenn man von ihr verlangt, sie solle um Verzeihung bitten. Sie schweigt, schweigt, hat dann plötzlich wieder ihre gute Laune, beginnt umherzuhüpfen, pflückt heimlich ein paar Johannisbeeren oder eine der schwarzen, widerlich-süßlich schmeckenden Früchte des in den Furchen wuchernden Nachtschattens, vor deren Genuß die Großtante streng gewarnt hat, da sie giftig sind und Übelkeit verursachen.
»Wovon mag er nur immer sinnen und träumen?« zerbrach die Großtante sich den Kopf, wenn sie beobachtete, wie Raiski plötzlich aus der munteren Stimmung in stilles Brüten verfiel – »und was treibt er eigentlich, wenn er so für sich ist?«
Boris ließ sie nicht lange auf Antwort warten: er zeigte ihr sein mit Zeichnungen angefülltes Portefeuille und spielte ihr alle seine Quadrillen, Tänze, Opernmotive und schließlich auch seine eigenen Phantasien vor. Tatjana Markowna war ganz hin vor lauter Staunen und Bewunderung.
»Ganz, ganz die Mutter!« sagte sie. »Auch sie war immer so in ihre Träumereien versunken, hatte keine Wünsche und seufzte doch immer nach irgend etwas, wartete auf etwas, wurde plötzlich ausgelassen lustig und spielte ein Stück nach dem anderen, oder vertiefte sich in ein Buch und war nicht davon wegzubringen. Sieh doch, Wassilissa: dich hat er gezeichnet, und mich – sieh nur, wie gut er uns getroffen hat! Wart’ mal, wenn Tit Nikonytsch kommt, mußt du dich verstecken und ihn zeichnen, und morgen schicken wir das Bild heimlich zu ihm und hängen es in seinem Kabinett an die Wand! Habe ich nicht einen prächtigen Neffen? Wie er spielt! Mindestens so gut wie der französische Emigrant, der bei meiner Tante lebte . . . Und kein Wort sagt er einem davon, nicht einen Ton! Morgen fahre ich mit dir in die Stadt, zur Fürstin, zum Adelsmarschall! Nur von der Wirtschaft will er nichts hören – na, vielleicht ist er dafür noch zu jung!«
Boris erzählte der Tante den ganzen Inhalt des »Befreiten Jerusalem« und des »Ossian«, ja selbst mit dem Inhalt des Homer machte er sie bekannt, und auch aus den Universitätsvorlesungen erfuhr sie einiges. Immer wieder porträtierte er sie selbst, die Kinder und Wassilissa, und zur Abwechslung spielte er dann irgend etwas auf dem Klavier.
Dann lief er zur Wolga hinunter, setzte sich auf dem Abhang hin, oder eilte zum Flusse, legte sich dort in den Sand, beobachtete jeden Vogel, jede Eidechse im Grase, jeden Schmetterling im Gebüsch, wandte darauf seinen Blick nach innen und suchte festzustellen, ob auch das Bild in seiner Vorstellung richtig und deutlich genug war. Acht Tage später merkte er dann, daß es nach und nach verblaßte und schwand, und an seine Stelle trat die öde Langeweile.
Die Großtante aber kannte keine wichtigere Sorge als die, ihn mit den Einnahmen und Ausgaben des Gutes bekannt zu machen, erklärte ihm, wieviel die Abgaben ausmachten, wieviel die Wirtschaft koste, und was sie für die Umbauten ausgegeben habe.
»Für Wjerotschka und Marsinka führe ich natürlich besondere Rechnung – da, sieh!« sagte sie; »denk’ nicht etwa, daß ich auch nur eine Kopeke von dem Deinigen für sie nehme! Hör’ mal . . .«
Aber er hörte nicht, sondern sah nur zu, wie die Großtante die Ziffern hinschrieb, wie sie ihn durch die Brille ansah, betrachtete ihre Runzeln und das Muttermal und die: lächelnden Augen, und als er an diese gekommen, lachte er plötzlich auf und trat auf die Tante zu, um sie abzuküssen.
»Ich rede nun hier von Geschäften – und er hat nur Dummheiten im Kopfe! Zu albern – noch das reine Kind!« sagte sie einmal zu ihm. »Immer nur herumspringen und zeichnen – wenn du mal älter bist und hier dein warmes Nest findest, wirst du an die Tante denken und ihr dankbar sein! Gott weiß, was noch aus dem anderen Gute wird, das der Vormund verwaltet! Hier, in dem alten, eingewohnten Winkel, hast du wenigstens etwas Sicheres . . .«
Er bat sie um die Erlaubnis, das alte Haus besichtigen zu dürfen.
Nur ungern gab ihm die Tante die Schlüssel zu dem alten, verfallenen Bau – aber sie konnte sie ihm doch schließlich nicht verweigern. Er ging hinüber, um sich die Zimmer anzusehen, in denen er geboren war und als Kind gelebt hatte, und an die er nur noch eine ganz unbestimmte Erinnerung hatte.
»Geh doch mit ihm hinüber, Wassilissa,« sagte die Großtante, und Wassilissa erhob sich, um dem Befehle Folge zu leisten.
»Nein, nein – ich will allein gehen!« sagte Boris mit Bestimmtheit und ging, den großen Schlüssel betrachtend, dessen Barteinschnitte ganz von Rost ausgefüllt waren.
Jegorka, der Spötter, der seinen Spitznamen davon hatte daß er immer in der Mädchenstube saß und die Stubenmädchen schonungslos verspottete, ging mit Boris bis an die Tür und schloß sie ihm auf.
»Auch ich, auch ich geh’ mit dem Onkel!« bat die kleine Marsinka.
»Nicht doch, mein Herzchen! Dort ist es ja so unheimlich – da bekommt man Angst!« hatte die Großtante gesagt. Marsinka war erschrocken und ging nicht mit. Wjerotschka hatte nichts gesagt, aber als Boris an die Tür des alten Hauses kam, stand sie schon da, ganz dicht an die Tür geschmiegt, und hielt die Klinke fest, als fürchtete sie, daß man sie mit Gewalt fortziehen könnte.
Mit banger Scheu betrat Raiski das Vorzimmer und warf einen scheuen Blick in den folgenden Raum: es war ein durch beide Stockwerke gehender Saal mit Säulengängen, der von zwei Seiten Licht erhielt; aber die Fenster waren so mit Staub und Schimmel bedeckt, daß man eher von Dämmerung als von Licht reden konnte.
Wjerotschka war sogleich aus dem Vorzimmer weitergeeilt – sie lief, die Fersen hoch emporwerfend und die Porträts an den Wänden kaum eines Blickes würdigend, von Zimmer zu Zimmer, daß Raiski ihr nachrufen mußte:
»Wjera, Wjera, wo steckst du denn?«
Die Hand bereits auf der Klinke der nächsten Tür, blieb sie stehen und sah ihn schweigend an. Ehe er noch die Tür erreicht hatte, war sie schon wieder im folgenden Zimmer verschwunden.
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