Название: Die Schlucht
Автор: Иван Гончаров
Издательство: Public Domain
Жанр: Русская классика
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Elftes Kapitel
Eines Tages ließ die Großtante die alte, hohe Paradekutsche anspannen, setzte ihre Haube auf, zog das silberglänzende Kleid an, legte den türkischen Schal um die Schultern, hieß den Lakaien die beste Livree anziehen und fuhr nach der Stadt, um Einkäufe zu machen und ihren Großneffen in den ihr bekannten Familien vorzustellen.
Die Kutsche wurde von zwei satten, in langsamem Trabe dahertrottenden Gäulen gezogen, aus deren Brust es wie ein leises Schlucken klang. Der Kutscher hielt die Peitsche in der Faust, die Zügel lagen auf seinen Knien; von Zeit zu Zeit nur zog er sie mechanisch ein wenig an, während er gähnend, mit träger Neugier, die ihm längst bekannten Gegenstände zu beiden Seiten der Straße musterte.
Es war eine wahre Siegesfahrt, die Tatjana Markowna durch die Stadt unternahm. Niemand, der ihnen begegnete, versäumte, ihr seine Reverenz zu erweisen. Mit dem einen und anderen ließ sie sich in ein kurzes Gespräch ein. Sie nannte dem Großneffen jeden einzelnen beim Namen, erklärte ihm, während sie an den Häusern vorüberfuhren, wer darin wohnte, wie es im Innern aussah – und alles das geschah gleichsam im Fluge, in aller Eile.
Sie kamen an die aus Holz errichtete große Basarhalle mit ihren zahlreichen Läden. Gleich in den ersten Laden trat sie ein. Der Kaufmann empfing sie mit zahlreichen Bücklingen und unterwürfigem Lächeln, wobei er mit seiner Mütze nach unten hin einen Bogen beschrieb und den Kopf ein wenig auf die Seite legte.
»Gehorsamster Diener!« sagte er und zeigte zwei Reihen blendend weißer Zähne in dem lächelnden Munde.
»Guten Tag! Ich bringe Ihnen heut meinen Enkel mit, den eigentlichen Besitzer unseres Gutes. Hier in Ihrem Laden verschwende ich sein Kapital! . . . Ich sage Ihnen: wie er zeichnet und Klavier spielt – großartig!« Raiski zupfte sie leise am Ärmel.
Kusma Fjodotytsch machte auch vor Raiski eine tiefe Verbeugung.
»Nun, wie geht das Geschäft?« fragte die Großtante.
»Danke, ich kann nicht klagen, meine Gnädigste – leider kommen Sie so selten zu mir!« antwortete er, während er in aller Eile den Staub von einem Sessel wischte und ihr diesen ehrerbietig hinschob, für Raiski aber einen einfachen Stuhl hinstellte.
Der Laden enthielt alle möglichen Artikel: in dem einen Raume Tuche und Kleiderstoffe, in einem zweiten Käse, Zuckerwaren, Gewürze und sogar Bronzen.
Die Großtante ließ sich verschiedene Stoffe zeigen, fragte nach dem Preise einiger Käsesorten, erkundigte sich, ob er auch Zeichenstifte habe, kam auf die Getreidepreise zu sprechen und begab sich dann nach einem zweiten und dritten Laden. Als sie den ganzen Basar durchwandert hatte, bestand schließlich ihr ganzer Einkauf in einer Wäscheleine, die sie dem Kutscher Prochor mit der Bemerkung übergab, daß nun die Weiber im Dorfe die Wäsche nicht mehr auf die Bäume zu hängen brauchten.
Prochor betrachtete die Leine eine ganze Weile, untersuchte die beiden Enden und brachte sie schließlich in seiner Mütze unter.
»Jetzt wollen wir unsere Visiten machen,« sagte sie dann.
»Zuerst geht’s zu Nil Andrejewitsch.«
»Wer ist Nil Andrejewitsch?« fragte Boris.
»Habe ich es dir nicht gesagt? Das ist der Gerichtspräsident, ein sehr einflußreicher Herr: solid, verständig, dabei sehr schweigsam; sagt er etwas, dann liegt sicher auch Sinn darin. Man fürchtet ihn hier allgemein, sein Wort ist von großem Gewicht. Sieh zu, daß du dich gut zu ihm stellst: er liebt es, den Leuten den Text zu lesen . . .«
»Wie käme er bei mir dazu, Tantchen? Ich habe gar keine Lust, hinzugehen . . .«
»Schon gut, schon gut!« fiel sie ihm ins Wort. »Du bist noch jung und verstehst das nicht, später wirst du das besser zu schätzen wissen. Wir können nur Gott dafür danken, daß es noch Leute gibt, die einem mal gründlich die Wahrheit sagen! Einem Stutzer, von dem er gehört hatte, daß er am Dreifaltigkeitsfeste nicht in der Kirche war, hat er so gründlich den Kopf gewaschen, daß er nicht ein noch aus wußte. ›Ich will Sie wegen Freigeisterei anzeigen!‹ sagte er zu ihm. Und es ist ihm zuzutrauen, er läßt mit sich nicht spaßen! Zwei Gutsbesitzer aus der Umgegend hat er unter Kuratel gebracht. Man fürchtet ihn wie das Feuer. Und dabei ist er ein herzensguter Mensch – trifft er ein Kind, dann streichelt er es, und einen Käfer, der ihm über den Weg läuft, wird er nie zertreten, sondern vorsichtig mit dem Spazierstock zur Seite schieben: ›Du kannst kein Leben schaffen,‹ sagt er, ›also sollst du auch keins vernichten!‹ Seine ganze Erscheinung ist so imposant: eine mächtige Stirn, wie dein Großvater sie hatte, und ein strenges Gesicht, die Brauen zusammengewachsen. Und seine Sprache ist so klangvoll – zum Entzücken! Sieh nur zu, daß du ihm gefällst! Auch reich ist er – es heißt, daß allerhand Strafgelder in seine Tasche fließen, und die eigene Nichte soll er um ihr Vermögen gebracht und ins Irrenhaus gesperrt haben. Ja, ja, ein bißchen Sünde gibt’s überall . . .«
Der Besuch bei Nil Andrejewitsch war jedoch vergeblich, der Präsident war zufällig gerade auf dem Gericht.
Als sie am Hause des Gouverneurs vorüberfuhren, wandte die Großtante hochmütig den Kopf zur Seite.
»Hier wohnt der Gouverneur Wassiljew. . . oder Popow . . . oder wie er sonst heißt.« Sie wußte ganz genau, daß er Popow hieß, und nicht Wassiljew. »Der gute Mann glaubt, ich werde ihm zuerst meine Aufwartung machen, und zeigt sich nicht bei mir. Da kennt er Tatjana Markowna Bereschkowa schlecht! Die wird sich mit einem ersten besten Herrn Popow oder Wassiljew nicht gemein machen!«
Der Gouverneur aber »glaubte« gar nichts, die gute Großtante war vielmehr nur ärgerlich darüber, daß er ihr so gar keine Aufmerksamkeit erwies.
»Nil Andrejewitsch ist doch sicher ein ganz anderer Mann, und der wird es zu Neujahr oder Ostern nie versäumen, bei mir vorzufahren, und auch zu Tisch kommt er öfter herüber!«
Sie fuhren nun zu der alten Fürstin, die in einem großen, düsteren Hause wohnte.
Nur der kleine Winkel des Hauses, in dem die Fürstin den Rest ihrer Tage verbrachte, wies Spuren von Leben auf, die übrigen zwanzig Zimmer waren so still und tot wie die Räume des alten Hauses auf dem Raiskischen Gute.
Die Fürstin war eine spitznäsige, magere alte Dame, die ein dunkles Kleid mit vielen Spitzen und eine große Haube trug. An den Fingern der von blauem Geäder durchzogenen knochigen, kleinen Hände steckten eine Menge altertümlicher Ringe.
»Mütterchen – Fürstin! . . .« rief die Großtante beim Eintritt in das Zimmer.
»Tatjana Markowna! . . .« lautete der Gegenruf der Fürstin.
Ein kleiner Bologneser begann wütend unter dem Sofa zu bellen.
»Ich habe meinen Enkel mitgebracht, den Besitzer unseres Gutes, wie er Klavier spielt, wie er zeichnet!«
Raiski mußte sich sogleich ans Klavier setzen. Die Fürstin brachte ihm dann einen Teller mit Erdbeeren, während sie selbst mit der Großtante Kaffee trank. Raiski betrachtete die Zimmer, die Möbel, die Porträts an den Wänden, die grünen Bäume des Parks, die frisch und froh zum Fenster hereinschauten. Er sah die sauberen Parkwege und die peinliche Ordnung und Akkuratesse, die überall herrschte; er hörte nacheinander aus den einzelnen Zimmern ein halbes Dutzend Stand- und Wanduhren schlagen, die einen in Bronze, die andern in Malachit oder sonstiger Ausführung; er betrachtete das Porträt des schielenden СКАЧАТЬ