Der Baron kam nicht zum Mittage. Man wartete eine halbe Stunde auf ihn. Bei Tische wollte es mit der Unterhaltung nicht recht fort. Sergei Pawlitsch blickte fortwährend Natalia an, neben welcher er saß, und schenkte ihr eifrig Wasser in’s Glas. Pandalewski bemühete sich vergeblich, seine Nachbarin, Alexandra Pawlowna, zu unterhalten: er zerfloß in Liebenswürdigkeiten, während es ihr Mühe kostete, das Gähnen zu unterdrücken.
Bassistow machte Brodkügelchen und dachte an Nichts; selbst Pigassow war verstummt, und als Darja Michailowna ihm bemerkte, daß er heute nicht liebenswürdig sei, antwortete er mürrisch: – Wenn bin ich denn liebenswürdig? Es ist nicht meine Art . . . und setzte mit bitterem Lächeln hinzu: – haben Sie nur Geduld; ich bin ja nur Kwas, ordinairer russischer Kwas; wenn aber Ihr Kammerjunker . . .
– Bravo! rief Darja Michailowna. – Pigassow wird eifersüchtig, zum Voraus eifersüchtig!
Pigassow jedoch erwiederte nichts darauf, sondern schaute finster vor sich hin.
Es schlug sieben Uhr und Alle versammelten sich wieder im Gastzimmer.
– Es scheint, er wird nicht kommen, sagte Darja Michailowna . . . Doch plötzlich ließ sich das Rollen eines Wagens vernehmen, ein mittelgroßer Tarantaß lenkte in den Hof und nach einigen Minuten erschien ein Diener im Gastzimmer und reichte Darja Michailowna einen Brief auf einem kleinen silbernen Präsentirteller. Sie durchlief denselben bis zum Ende und fragte dann, zum Diener gewendet:
– Und wo ist der Herr, der diesen Brief gebracht hat?
– Er ist im Wagen sitzen geblieben. Befehlen Sie, ihn herein zu nöthigen?
– Bitte ihn her.
Der Diener verschwand.
– Ist das nicht ärgerlich, denken Sie doch, fuhr Darja Michailowna fort: – der Baron hat die Weisung bekommen, sogleich nach Petersburg zurückzukehren. Er schickt mir feinen Aufsatz durch einen Herrn Rudin, seinen Freund. Der Baron wollte mir denselben vorstellen – er sagt von ihm viel Gutes. Doch wie das störend ist! ich hatte darauf gerechnet, der Baron werde hier einige Zeit zubringen . . .
– Dimitri Nikolaitsch Rudin, meldete der Diener.
III
In’s Zimmer trat ein Mann von fünfunddreißig Jahren, hohem Wachse, etwas gebückter Haltung, kraushaarig und von dunkler Gesichtsfarbe, mit unregelmäßigen, aber ausdrucksvollen und klugen Zügen, feuchtem Glanze in den lebhaften, dunkelblauen Augen, gerader und breiter Nase und anmuthig gezeichneten Lippen. Sein Anzug war nicht neu und eng, als wäre er demselben entwachsen.
Gewandt trat er auf Darja Michailowna zu, entbot ihr einen kurzen Gruß, sagte, daß ihn schon längst nach der Ehre, ihr dargestellt zu werden, verlangt habe und daß sein Freund, der Baron, es sehr bedauere, nicht persönlich Abschied von ihr haben nehmen zu können.
Die feine Stimme Rudin’s entsprach weder seinem hohen Wachse, noch feiner breiten Brust.
– Nehmen Sie Platz . . . es freut mich, Sie kennen zu lernen, sagte Darja Michailowna und nachdem sie ihn der ganzen Gesellschaft vorgestellt hatte, fragte sie, ob er aus dieser Gegend oder angereist sei?
– Meine Besitzung liegt im T . . .schen Gouvernement, erwiederte Rudin, den Hut auf den Knieen haltend: – ich bin seit Kurzem hier. Ich bin in Geschäften hergekommen und habe meinen Wohnsitz für’s Erste in Ihrer Kreisstadt genommen.
– Bei wem?
– Beim Doctor. Er ist ein alter Universitätsfreund von mir.
– Ah! beim Doktor . . . Man lobt ihn. Er soll, wie man sagt, seine Sache verstehen. Und der Baron, seit wann sind Sie mit ihm bekannt?
– Ich traf ihn im vergangenen Winter in Moskau und habe jetzt ungefähr eine Woche bei ihm zugebracht.
– Ein sehr gebildeter Mann – der Baron!
– Gewiß.
Darja Michailowna führte die mit Kölnischem Wasser getränkte Ecke ihres Taschentuches an die Nase.
– Sie stehen vermuthlich im Staatsdienste? fragte sie.
– Wer? Ich?
– Ja. Sie!
– Nein . . . Ich habe den Dienst verlassen.
Ein kurzes Schweigen trat ein, dann wurde die Unterhaltung wieder allgemein.
– Dürfte ich wohl fragen, begann Pigassow, sich zu Rudin wendend: – Sie kennen gewiß den Inhalt des Aufsatzes, den der Herr Baron geschickt hat?
– Ich kenne ihn.
– Jener Aufsatz berührt die Beziehungen des Handels . . . oder, besser gesagt – der Industrie zum Handel in unserem Vaterlande . . . So, dünkt mich, hatten Sie die Gefälligkeit zu sagen, Darja Michailowna?
– Ja, es ist darin die Rede davon, äußerte Darja Michailowna, die Hand an die Stirn führend.
– Ich verstehe mich freilich schlecht auf solche Dinge, fuhr Pigassow fort: – muß jedoch gestehen, daß mir allein schon der Titel des Aufsatzes sehr . . . wie sag’ ich das gelinde? . . . sehr dunkel und confus vorkommt.
– Woher scheint Ihnen das?
Pigassow lächelte und warf einen Seitenblick aus Darja Michailowna.
– Ist dieser Titel Ihnen denn klar? äußerte er, sein Fuchsgesicht wieder zu Rudin wendend.
– Mir? Ja gewiß!
– Hm . . . Freilich, Sie müssen das besser wissen.
– Haben Sie Kopfschmerzen? fragte Alexandra Pawlowna Darja Michailowna.
– Nein, es ist nichts . . . c’est nerveux.
– Dürste ich wohl fragen, lenkte Pigassow, mit etwas näselnder Stimme wieder ein: – Ihr Bekannten der Herr Baron Muffel . . . so, glaube ich, heißt er?
– Ganz recht.
– Beschäftigt sich der Herr Baron Muffel speziell mit politischer Oekonomie, oder widmet er dieser anziehenden Wissenschaft nur so nebenbei die Mußestunden, welche er nach den weltlichen Vergnügungen und Dienstobliegenheiten erübrigen kann?
Rudin blickte Pigassow scharf an.
– Der Baron ist in diesem Fache Dilettant, erwiederte er mit leichtem Erröthen: – es ist aber viel Wahres und Interessantes in seinem Aufsatze.
– Ich kann darüber nicht mit Ihnen disputieren, da mir der Aussatz unbekannt ist . . . Ich erlaube mir aber die Frage: Ihr Freund, der Baron Muffel, geht vermuthlich in dem Aufsatze mehr von allgemeinen Theorien als von Thatsachen aus?
– Er bietet sowohl Thatsachen als auch Theorien, die sich auf Thatsachen stützen.
– So, so. Meiner Meinung nach, Sie werden erlauben . . . ich darf wohl gelegentlich mein Wort dazu geben: ich habe drei СКАЧАТЬ