Alle im Zimmer wurden still.
– Wo liegt Solotonoscha? fragte auf einmal einer der Knaben Bassistow.
– Im Gouvernement Poltawa, mein Lieber, nahm Pigassow das Wort: – im Herzen des Schopflandes.3 (Er war froh, der Unterhaltung eine andere Wendung geben zu können.) – Wir sprachen von Literatur, fuhr er fort: – wenn ich Geld übrig hätte, so würde ich ohne Weiteres kleinrussischer Dichter werden.
– Was soll denn das noch? ein schöner Dichter! erwiederte Darja Michailowna: – kennen Sie denn die kleinrussische Sprache?
– Nicht im Mindesten; das ist aber auch nicht nöthig.
– Wie so nicht nöthig?
– Ganz einfach! Man nehme nur einen Bogen Papier . und schreibe oben darauf: »Duma«;4 dann stelle man eine Anzahl Worte ohne all und jeden Sinn zusammen, füge nur einige Kleinrussische Interjectionen, wie: graje, grase, woropaje, hopp, hopp! oder Etwas in dieser Art hinzu, und das Ding ist fertig. Dann schicke man es in die Druckerei und gebe es heraus. Der Kleinrusse wird es lesen, den Kopf auf die Hand fallen lassen und gewiß dabei Thränen vergießen. Das ist nun ein; mal so eine gefühlvolle Seele!
– Ich bitte Sie! rief Bassistow. – Was erzählen Sie da? Da hört aber Alles auf. Ich habe in Kleinrußland gelebt, liebe das Land und kenne die Sprache «graje, graje, woropaje« ist ein vollständiger Unsinn.
– Möglich, der Schopfkurt würde aber doch Thränen dabei vergießen. Sie sagen die Sprache . . . Giebt es aber denn eine kleinrussische Sprache? Ich bat einmal einen Kleinrussen, mir irgend eine Phrase zu übersetzen, und wie glauben Sie, daß er sie übersetzt hat? er wiederholte fast genau die von mir vorgesprochenen Worte, nur daß er durchgängig i in ü verwandelte. Ist das etwa nach Ihren Begriffen eine Sprache? eine selbstständige Sprache? Bevor ich Ihnen das zugebe, lasse ich meinen besten Freund in einem Mörser zerstoßen . . .
Bassistow wollte ihm etwas entgegnen.
– Lassen Sie ihn, sagte Darja Michailowna, – Sie wissen ja, daß man von ihm außer Paradoxen nichts zu hören bekommt.
Pigassow lächelte boshaft. Ein Diener erschien und meldete die Ankunft Alexandra Pawlowna’s und ihres Bruders.
Darja Michailowna erhob sich, um ihre Gäste zu empfangen.
– Guten Tag, Alexandrine! sagte sie, ihr entgegengehend: – wie schön von Ihnen, daß Sie gekommen sind . . . Guten Tag, Sergei Pawlowitsch!
Wolinzow drückte Darja Michailowna die Hand und trat aus Natalia zu.
– Nun, und der Baron, Ihr neuer Bekannter, wird er heute kommen? fragte Pigassow.
– Ja, er wird kommen.
– Es soll ja ein großer Philosoph sein: wirft mit Hegel um sich.
Darja Michailowna antwortete nichts, ließ Alexandra Pawlowna auf der Couchette Platz nehmen und setzte sich selbst neben sie.
– Die Philosophie, fuhr Pigassow fort: – der höhere Gesichtspunkt! Sind sie mir zum Ekel geworden, diese höheren Gesichtspunkte! Und was kann man aus der Höhe sehen? Ich denke, kauft Jemand ein Pferd, so wird er nicht erst einen Thurm besteigen, um es zu beschauen!
– Dieser Baron wollte Ihnen einen Aufsatz bringen? fragte Alexandra Pawlowna.
– Ja, einen Aufsatz, erwiederte Darin Michailowna mit übertriebener Gleichgültigkeit: – über die Beziehungen des Handels zu der Industrie in Rußland . . . Erschrecken Sie aber nicht: wir werden das jetzt nicht lesen . . . Ich habe Sie nicht deshalb eingeladen. Le baron est aussi aimable que savant. Und spricht sehr gut russisch! C’est un vrai torrent . . . il vous entraiane.
– Er spricht so gut russisch, brummte Pigassow: – daß er verdient hat, französisch gelobt zu werden.
– Brummen Sie nur, Afrikan Semenitsch, brummen Sie nur immer zu . . . das paßt sehr gut zu Ihrem verwühlten Haar . . . Warum kommt er aber nicht? Wissen Sie aber, mossieurs at mesdames, setzte Darja Michailowna, sich im Kreise umsehend, hinzu: – wir wollen in den Garten gehen. Bis zum Essen ist es noch eine Stunde und das Wetter ist so herrlich . . .
Die ganze Gesellschaft erhob sich und begab sich in den Garten.
Der Garten Darja Michailowna’s reichte bis an den Fluß. Es waren in demselben viele dunkle und duftige Alleen alter Lindenbäume, die in smaragdgrüne Lichtungen mit vielen Lauben aus Akazien und Fliederbäumen ausliefen.
Wolinzow in Begleitung von Natalia und Mlle. Boncourt hatten sich in das Dickicht des Gartens vertieft. Wolinzow ging neben Natalia her und schwieg. Mlle. Boncourt folgte in einiger Entfernung.
– Womit haben Sie sich heute beschäftigt? fragte endlich Wolinzow und streichelte dabei die Spitze seines schönen, dunkelblonden Schnurrbartes.
Er war seiner Schwester sehr ähnlich, doch zeigten seine Gesichtszüge weniger Beweglichkeit und Leben und seine Augen, hübsch und sanft, hatten einen etwas schwermüthigen Ausdruck.
– Mit Wenigem, erwiederte Natalia: – ich habe das Schelten Pigassow’s mit angehört, habe am Stickrahmen genäht und habe gelesen.
– Und was haben Sie gelesen?
– Ich habe . . . die Geschichte der Kreuzzüge gelesen, brachte Natalia mit einigem Stocken hervor.
Wolinzow blickte sie an.
– Oh, sagte er endlich: – das muß interessant sein.
Er riß einen Zweig ab und fächelte damit in der Luft. Sie gingen noch etwa zwanzig Schritte weiter.
– Was für ein Baron ist das, dessen Bekanntschaft Ihre Mama gemacht hat? fragte dann wieder Wolinzow.
– Ein Kammerjunker, seit Kurzem angekommen; Mama lobt ihn sehr.
– Ihre Mama giebt sich leicht dem ersten Eindrucke hin.
– Ein Beweis, daß ihr Herz noch jugendlich fühlt, bemerkte Natalia.
– Gewiß. Ich werde Ihnen bald Ihr Pferd zuschicken. Es ist schon fast ganz zugeritten. Es soll mir gleich im Galopp vom Platz, dazu muß ich es bringen.
– Merci . . . Es macht mich aber wirklich verlegen. Sie reiten es selbst zu . . . das soll ja sehr angreifend sein.
– Um Ihnen das geringste Vergnügen zu bereiten, Sie wissen es, Natalia Alexejewna, bin ich bereit . . . würde ich . . . nicht solche Kleinigkeiten . . .
Wolinzow stockte.
Natalia blickte ihn freundlich an und sagte nochmals: merci.
– Sie wissen, fuhr Sergei Pawlitsch nach längerem Schweigen fort: – es giebt Nichts . . . Doch warum « sage ich dass Sie wissen ja Alles.
In diesem Augenblicke erschallte die Glocke im Hause.
– Ah! la cloche du diner! rief Mlle. Boncourt: – rentons.
СКАЧАТЬ
3
Kleinrußland, weil dort das Landvolk und die untersten Classen der Bevölkerung den Kopf rund herum rasirt tragen und nur auf dem Scheitel einen Schopf wachsen lassen. Der Übersetzer.
4
So heißen die Kleinrussischen Volkslieder. D. Übersetzer.