Matisse / Матисс. Книга для чтения на немецком языке. Александр Иличевский
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СКАЧАТЬ style="font-size:15px;">      »Das soll ein Haus sein?!«, brüllte er. »Antwortet gefälligst! Das ist Irrsinn, die Kopfgeburt von Idioten! Wir sind doch hier nicht in Barcelona! Vater, was machst du bloß? Schmeiß sie raus!«

      In der Scheune verstreuten die Ziegen ihre Köttel, pissten alles voll und gingen manchmal ohne jeden Anlass[25] aufeinander los, man musste sie bei den Hörnern packen, zu Boden werfen, mit den Füßen in die bebende Flanke treten: ihnen Benehmen beibringen. Die resolute Alte versorgte die Gefangenen mit Knoblauchlinsensuppe. Der Alte gab reichlich selbst angebauten Tabak aus und einmal pro Woche eine Streichholzschachtel voll Haschisch.

      Der Rausch stumpfte ab und ließ die Zeit schneller vergehen. An Flucht dachten sie, wenn überhaupt, nur als eine anstrengende Unannehmlichkeit.

      Nach einem Jahr führte er sie vor das Dorf, gab jedem eine Streichholzschachtel und einen Beutel mit alten Zeitungen und Brot. Er zeigte auf den nächsten Berg und krächzte etwas.

      Weit kamen sie nicht, schleppten sich mit Müh und Not[26] zurück. Da führte der Alte sie mitten in der Nacht irgendwohin.

      Der Mond bog langsam ihren ausgeklügelten Weg zurecht. Sie kamen an einen Wiesenhang. Vor ihnen bäumten sich tosend waldige Bergsilhouetten auf. Der Alte rief etwas, rannte den Hügel hinunter und verschwand im Wald. Da legten sie sich in den Tau und schliefen bis zum Morgengrauen.

      Um Siedlungen machten sie einen Bogen. Ernährten sich von Kastanien und Nüssen. Wenn sie Wildschweine hörten, harrten sie auf einem Baum aus.

      Eine Woche später knallten und rissen abends Schüsse durch den Himmel.

      Lange spähten sie – was war das?

      Plötzlich schoss ein Hubschrauber unter einem Steilhang hervor. Sie erstickten fast, taumelten vor Schreck, die Druckwelle überrollte sie.

      Die Maschine stand still, flog auf sie zu.

      Sie stürzten den Abhang hinunter, sprangen zur Seite und sahen sich um.

      Die Flugblätter knallten, darüber ein nebelgraues Kräuseln, der Wind schob in Wogen die Luft weg, der Druck nahm einem den Atem.

      Ein Maschinengewehrlauf fuhr herum.

      Den Kumpel erwischte es. Wadja fiel nach ihm um. So war er nach Tschetschenien geraten. Man registrierte ihn als befreiten Gefangenen. Wadja trägt immer noch in Folie den Zeitungsfetzen bei sich, worin die Befreiung dreier russischer Bürger vermeldet wird, darunter auch Beljajew, Wadim Sergejewitsch, geb. 1972 im Dorf Strelezkoje, Gebiet Astrachan.

      Mit diesem Papier bereiste Wadja das ganze Land, angefangen in Mineralnyje Wody. Dort erklärte er Touristen am Bahnhof, er wäre hier zur Kur, bisschen Heilwasser trinken, mit einem Ferienscheck vom Rehabilitationsprogramm für Armeeangehörige, um sechs Uhr früh aus dem Zug gestiegen, aufs Klo gegangen, und plötzlich – paff! – mit dem Schlagring eins auf den Hinterkopf; er wär wach geworden – alles weg: Brieftasche, Jacke, Schuhe; jetzt würde er in ausrangierten Waggons herumlungern, die Bullen kennen kein Erbarmen, schlimm ist das.

      Nun denn, die Touristen schmieren den Schaffner, stecken ihnen noch ein paar Kröten zu, führen Wanja zum Zugrestaurant, spendieren Speis und Trank und stellen verlegen Fragen über seine Gefangenschaft. Wadja trinkt, isst was hinterher, wie es sich gehört, und berichtet mit Bedacht.

      So reiste er kreuz und quer durchs Land, tauchte ein ins Leben der Endbahnhöfe, schlief und hauste in dazu umfunktionierten Eisenbahnwaggons voller Menschen, für die der Weg zum Zuhause geworden war – bis er Nadja begegnete.

      Nadja tauchte in Toksowo* auf, wo man ihn aus dem Zug geworfen hatte. Der Zug war gerade erst aus dem Bahnhof gerollt, Wadja klopfte sich kurz den Dreck ab und lief zurück, einen Schlafplatz suchen.

      Der Bahnhofsvorsteher hetzte die Bullen auf ihn: »Soso, du hast also deinen Zug verpasst? Ich verpass dir auch gleich eine. Kapiert?«

      Er bekam leichte Prügel, am nächsten Morgen lief er dann durch die verlassene Stadt, die ganz krumm und schief war, vorbei an alten Datschen mit durchgerosteten Dächern, warf einen Blick hinter die Zäune, drehte sich immer wieder um und prägte sich den Rückweg zum Bahnhof ein. Über eine gebrochene Zaunlatte kletterte er in einen verwilderten Garten, kroch auf den Knien herum und sammelte honigfarben schimmernde Antonowka-Äpfel.

      Die Sonne stand am Himmel, verschwamm in einem Nebelschleier, der sich von der Erde losgerissen hatte.

      Die Apfelbäume standen bis zur Brust im Dunst. Am anderen Ende des Gartens stapfte ein altes weißes Pferd schlaftrunken auf einen dumpf zu Boden gefallenen Apfel zu. Zerkaute ihn krachend und wieherte.

      Wadja schauderte, blickte um sich und machte sich erneut über das Fallobst her.

      So aß er sich an den Äpfeln satt. Biss an einer weichen, angedetschten Stelle hinein und labte sich an dem Saft, am stumpfsauren Speichel. Dann roch er einfach nur daran, sog immer wieder den Duft ein, der sich nicht erschöpfte, und der Apfel erschien ihm unendlich kostbar.

      Diesen Apfel aß er nicht auf, sondern steckte ihn in die Tasche. Er würde ihn später im Bahnhof auf die Fensterbank legen, im Warteraum. Wadja hatte so eine Angewohnheit: An einem hübschen Plätzchen etwas zu essen zu hinterlassen – das war seine Art zu teilen. Mit wem? Ob mit Gott oder mit den Menschen – er wusste es nicht, aber er teilte, so gehörte es sich.

      Da tauchte Nadja auf. Der Apfelbaum war ihr Revier. Jeden Morgen kam sie hierher, sammelte die besten Früchte auf und trug sie zum Markt.

      Nadja kam angerannt und schubste ihn. Er kippte zur Seite. Dann kniete sie sich ins dichte, feuchte Gras und sammelte auf allen Vieren[27] flink ihre Früchte ein, wischte mit dem Handrücken die Nacktschnecken ab und stapelte die Äpfel zu kleinen Haufen.

      Wadja konnte nicht mithalten, er setzte sich zu einem der Häufchen und suchte sich die weicheren Äpfel aus, das waren ihm die liebsten. Nadja kam angekrabbelt und klopfte ihm auf die Schulter.

      »Schnorrer! Ein Schnorrer bist du.« Sie lachte.

      In Sankt Petersburg verkauften sie zwei Beutel Äpfel.

      Dann ging es mit Vorortzügen nach Moskau.

      Nadja

      IX

      Nadja war beinahe stumm. Es fiel ihr derart schwer, ihr Inneres auszudrücken, dass sie vor lauter Qual den Kiefer immer stärker zusammenpresste und manchmal plötzlich mit den Händen losfuchtelte: Vielleicht wollte sie etwas zeigen, vielleicht dem Gesprächspartner etwas einbimsen[28], was für sie selbst so klar und wichtig war. Es kam vor, dass Wadja dabei wirklich eine abkriegte, und das tat dann richtig weh. Nadja, nur noch mehr außer sich, lief ein Stück, atmete schwer, trat von einem Bein aufs andere, als würde sie es eilig haben wegzukommen, und blieb dann plötzlich stehen, fuchtelte mit den Armen und bewegte schnell gestikulierend die Finger.

      Was Wadjas Lebensweg bestimmt und unwillkürlich Nadjas Herz erobert hatte, war seine Liebe zu Wladimir Wyssozki* und Viktor Zoi*. Fast alle Lieder des Ersten (Wadja nannte ihn kumpelhaft Semjonytsch) kannte er seit seiner Kindheit, von den Aufnahmen, die er, einen tragbaren Kassettenrekorder der Marke Wesna auf der Schulter, mit den anderen Jungs gehört hatte. Die Musik von Zoi hatte Wadjas Berufsschulzeit aufgehellt.

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<p>25</p>

ohne Anlass – без повода, без причины

<p>26</p>

mit Müh und Not – насилу, с большим трудом

<p>27</p>

auf allen Vieren – на четвереньках

<p>28</p>

j-m etwas einbimsen (разг.)  вдалбливать кому-либо что-либо, заставлять кого-либо выучить что-либо