Название: Liebe deinen Nächsten / Возлюби ближнего своего. Книга для чтения на немецком языке
Автор: Эрих Мария Ремарк
Издательство: КАРО
Жанр: Зарубежная классика
Серия: Moderne Prosa
isbn: 978-5-9925-0650-1
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„Ich weiß nicht. Ich lache.“
„Lachen ist immer gut.“ Steiner zog den Pickönig und trumpfte dem sprachlosen Polen einen todsicheren Stich ab.
Kern griff nach einer Zigarette. Alles erschien ihm auf einmal ganz einfach. Er beschloss, morgen Karten spielen zu lernen, und er hatte das merkwürdige Gefühl, als ändere dieser Entschluss sein ganzes Leben.
2
Nach fünf Tagen wurde der Falschspieler entlassen. Man hatte nichts gegen ihn finden können. Steiner und er schieden als Freunde. Der Falschspieler hatte die Zeit dazu benützt, die Methode seines Schülers Katscher bei Steiner zu vollenden. Zum Abschied schenkte er ihm das Spiel Karten, und Steiner begann mit dem Unterricht Kerns. Er brachte ihm Skat[19], Jass[20], Tarock[21] und Poker bei – Skat für Emigranten; Jass für die Schweiz; Tarock für Österreich und Poker für alle anderen Fälle.
Nach vierzehn Tagen wurde Kern heraufgeholt. Ein Inspektor führte ihn in einen Raum, in dem ein älterer Mann saß. Das Zimmer erschien Kern riesig groß und so hell, dass er blinzeln musste; er war schon an die Zelle gewöhnt.
„Sie sind Ludwig Kern, staatenlos, Student, geboren 30. November 1914 in Dresden?“ fragte der Mann gleichgültig und blickte in ein Papier.
Kern nickte. Er konnte nicht sprechen. Seine Kehle war plötzlich trocken. Der Mann sah auf.
„Ja“, sagte Kern heiser.
„Sie haben sich ohne Papiere und unangemeldet in Österreich aufgehalten…“ Der Mann las rasch das Protokoll herunter. „Sie sind zu vierzehn Tagen Haft verurteilt, die inzwischen verbüßt worden sind. Sie werden aus Österreich ausgewiesen. Jede Rückkehr ist strafbar. Hier ist der gerichtliche Ausweisungsbeschluss. Und hier haben Sie zu unterschreiben, dass Sie den Ausweisungsbeschluss zur Kenntnis genommen haben und wissen, dass jede Rückkehr strafbar ist. Hier rechts.“
Der Mann zündete sich eine Zigarette an. Kern sah wie gebannt auf die etwas schwammige Hand mit den dicken Adern, die das Streichholz hielt. Dieser Mann würde in zwei Stunden seinen Schreibtisch abschließen und zum Abendessen gehen – nachher würde er vielleicht ein Tarock spielen und ein paar Gläser Heurigen trinken – gegen elf Uhr würde er gähnen, seine Zeche zahlen und erklären: „Ich bin müde. Ich gehe nach Hause. Schlafen.“ Nach Hause. Schlafen. Um dieselbe Zeit würde die Dunkelheit dicht über den Wäldern und Feldern an der Grenze liegen, die Dunkelheit, die Fremde, die Angst, und verloren darin, allein, stolpernd, müde, mit Sehnsucht nach Menschen und Angst vor Menschen, das winzige, flackernde Fünkchen Leben Ludwig Kern. Und all das nur, weil ihn und den gelangweilten Beamten hinter dem Schreibtisch ein Stück Papier trennte, Pass genannt. Ihr Blut hatte die gleiche Temperatur, ihre Augen hatten die gleiche Konstruktion, ihre Nerven reagierten auf die gleichen Reize, ihre Gedanken liefen in den gleichen Bahnen – und doch trennte sie ein Abgrund, nichts war gleich bei ihnen, das Behagen des einen war die Qual des andern, sie waren Besitzender und Ausgestoßener, und der Abgrund, der sie trennte, war nur ein kleines Stück Papier, auf dem nichts weiter stand als ein Name und ein paar belanglose Daten.
„Hier rechts“, sagte der Beamte. „Vor- und Zuname.“
Kern riss sich zusammen und unterschrieb.
„An welche Grenze wollen Sie gestellt werden?“ fragte der Beamte.
„An die tschechische.“
„Gut. In einer Stunde geht’s los. Es wird Sie jemand hinbringen.“
„Ich habe noch ein paar Sachen in dem Hause, wo ich gewohnt habe. Kann ich die vorher abholen?“
„Was für Sachen?“
„Einen Koffer mit Wäsche und so was.“
„Gut. Sagen Sie es dem Beamten, der Sie an die Grenze bringt. Sie können vorbeigehen.“
Der Inspektor führte Kern wieder hinunter und nahm Steiner mit hinauf. „Was war los?“ fragte das Poulet neugierig.
„In einer Stunde kommen wir ’raus.“
„Jesus Christus!“ sagte der Pole. „Geht Scheiße dann wieder los.“
„Möchtest du hier bleiben?“ fragte das Poulet.
„Wenn Essen bessärr – und kleine Posten als Kalfaktor – gärrne.“
Kern nahm sein Taschentuch hervor und rieb seinen Anzug sauber, so gut es ging. Sein Hemd war sehr schmutzig geworden in den vierzehn Tagen. Er drehte die Manschetten um. Er hatte sie die ganze Zeit geschont. Der Pole sah ihm zu. „In ein, zwei Jahren das dirr ganz eggal“, prophezeite er.
„Wohin gehst du?“ fragte das Poulet.
„Tschechei. Und du? Nach Ungarn?“
„Schweiz. Hab’s mir überlegt. Komm mit. Von da lassen wir uns dann nach Frankreich schieben.“
Kern schüttelte den Kopf. „Nein, ich will sehen, dass ich nach Prag komme.“
Ein paar Minuten später wurde Steiner wieder hereingebracht. „Weißt du, wie der Polizist heißt, der mich bei der Verhaftung ins Gesicht geschlagen hat?“ fragte er Kern. „Leopold Schäfer. Er wohnt Trautenaugasse 27. Sie haben es mir aus dem Protokoll vorgelesen. Natürlich nicht, dass er mich geschlagen hat. Nur dass ich ihn bedroht hätte.“ Er sah Kern an. „Glaubst du, dass ich den Namen und die Adresse vergessen werde?“
„Nein“, sagte Kern. „Bestimmt nicht.“
„Das meine ich auch!“
Ein Kriminalbeamter in Zivil holte Steiner und Kern ab. Kern war aufgeregt. Vor der Tür blieb er unwillkürlich stehen. Das Bild, das er sah, prallte wie ein weicher, südlicher Wind gegen seine Stirn. Der Himmel war blau und ein wenig dämmerig über den Häusern, die Giebel leuchteten im letzten, roten Schein der Sonne, der Donaukanal schimmerte, und auf der Straße schoben sich beglänzte Autobusse durch den Strom heimkehrender und spazierender Menschen. Eine Schar Mädchen in hellen Kleidern drängte lachend und eilig dicht vorbei. Kern glaubte, noch nie etwas so Schönes gesehen zu haben.
„Los, gehen wir“, sagte der Kriminalbeamte.
Kern zuckte zusammen. Beschämt sah er an sich herunter. Er bemerkte, dass ein Vorbeigehender ihn ungeniert musterte. Sie gingen durch die Straßen, der Beamte in der Mitte. Die Cafés hatten Tische und Stühle herausgestellt, und überall saßen fröhliche, plaudernde Menschen. Kern senkte den Kopf und begann, schneller zu gehen. Steiner sah ihn mit gutmütigem Spott an. „Na, Kleiner, ist nichts für uns, was? Das da.“
„Nein“, erwiderte Kern und presste die Lippen zusammen.
Sie kamen zu ihrer Pension. Die Wirtin empfing sie mit einer Mischung von Ärger und Mitleid. Sie gab ihnen ihre Sachen gleich heraus. Es war nichts gestohlen worden. Kern hatte in der Zelle die Absicht gehabt, ein sauberes Hemd anzuziehen, aber jetzt, nachdem er durch die Straßen gegangen war, tat er es nicht. Er nahm den zerstoßenen Koffer unter den Arm und bedankte sich bei der Wirtin.
„Es tut mir leid, dass Sie solche Unannehmlichkeiten hatten“, sagte er.
Die СКАЧАТЬ
19
Skat – Kartenspiel für drei Spieler, das mit 32 Karten gespielt wird.
20
Jass – Kartenspiel, das vor allem in der deutschsprachigen Schweiz, in Liechtenstein, wie teilweise im Süden Deutschlands verbreitet ist. Beim Jass wird üblicherweise mit vier Spielern und 36 Karten gespielt.
21
Tarock – in verschiedenen Formen gespieltes, altüberliefertes Kartenspiel zu dritt.