Liebe deinen Nächsten / Возлюби ближнего своего. Книга для чтения на немецком языке. Эрих Мария Ремарк
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СКАЧАТЬ dem Kopf des Verletzten bildete sich langsam eine Blutlache. Die knotigen Finger scharrten über das Bodenholz des Wagens. Die Lippen zogen sich allmählich von den Zähnen zurück und gaben sie frei. Es sah aus, als lache hinter der geisterhaft verschatteten Maske des Schmerzes jemand anders lautlos und voll Hohn.

      „Was sagt er?“ fragte der Offizier.

      Der Polizist von vorher kniete wieder neben den Alten hin und hielt ihm beim Rattern des Wagens den Kopf fest. „Er sagt, er hätte zu seinen Kindern gewollt. Sie müsste jetzt verhungern“, berichtete er.

      „Ach, Unsinn! Werden nicht verhungern. Wo sind sie denn?“

      Der Polizist beugte sich herunter. „Er will es nicht sagen. Sie würden dann ausgewiesen. Hätten alle keine Aufenthaltserlaubnis.“

      „Das sind doch Phantasien. Was sagt er jetzt?“

      „Er sagt, Sie möchten ihm verzeihen.“

      „Was?“ fragte der Offizier erstaunt.

      „Er sagt, Sie möchten ihm verzeihen wegen der Scherereien, die er macht.“

      „Verzeihen? Was soll denn das nun wieder?“ Kopfschüttelnd starrte der Offizier den Mann am Boden an.

      Der Wagen hielt vor der Rettungswache. „Tragt ihn ’rein!“ kommandierte der Offizier. „Aber vorsichtig. Und Sie, Rohde, bleiben bei ihm, bis ich telefoniere.“

      Sie hoben den Verunglückten hoch. Steiner bückte sich. „Wir finden deine Kinder. Wir werden ihnen helfen“, sagte er. „Verstehst du, Alter?“

      Der Jude schloss die Augen und öffnete sie wieder. Dann trugen ihn drei Polizisten in das Haus. Seine Arme hingen herunter und schleiften widerstandslos über das Pflaster, als wären sie schon ohne Leben. Nach einiger Zeit kamen zwei Polizisten zurück und stiegen wieder auf. „Hat er noch etwas gesagt?“ fragte der Offizier.

      „Nein. Er war schon ganz grün im Gesicht. Wenn’s die Wirbelsäule ist, macht er’s nicht mehr lange.“

      „Na ja, halt ein Jud weniger“, sagte der Polizist, der Steiner geschlagen hatte.

      „Verzeihen“, murmelte der Offizier. „So was! Komische Menschen…“

      „Besonders in diesen Zeiten“, sagte Steiner.

      Der Offizier straffte sich. „Halten Sie’s Maul gefälligst, Sie Bolschewist!“ brüllte er. „Ihnen werden wir Ihre Frechheiten schon austreiben!“

      Man brachte die Verhafteten zur Polizeistation an der Elisabethpromenade. Steiner und Kern wurden die Handschellen abgenommen, dann kamen sie zu den andern in einen großen, halbdunklen Raum. Die meisten saßen schweigend herum. Sie waren gewohnt zu warten. Nur die dicke blonde Wirtin lamentierte unentwegt weiter.

      Gegen neun Uhr wurde einer nach dem andern heraufgeholt. Kern wurde in ein Zimmer geführt, in dem sich zwei Polizisten, ein Schreiber in Zivil, der Offizier und ein älterer Polizeioberkommissär befanden. Der Oberkommissar saß in einem hölzernen Sessel und rauchte Zigaretten. „Personalien“, sagte er zu dem Mann am Tisch.

      Der Schreiber war ein schmaler, pickliger Mensch, der an einen Hering erinnerte. „Name?“ fragte er mit einer überraschend tiefen Stimme.

      „Ludwig Kern.“

      „Geboren?“

      „30. November 1914 in Dresden.“

      „Also Deutscher?“

      „Nein. Staatenlos. Ausgebürgert.“

      Der Oberkommissär blickte auf. „Mit einundzwanzig? Was haben’s denn angestellt?“

      „Nichts. Mein Vater ist ausgebürgert worden. Da ich damals minderjährig war, ich auch.“

      „Und weshalb Ihr Vater?“

      Kern schwieg einen Augenblick. Ein Jahr Emigration hatte ihn Vorsicht mit jedem Wort bei Behörden gelehrt. „Er wurde zu Unrecht als politisch unzuverlässig denunziert“, sagte er schließlich.

      „Jude?“ fragte der Schreiber.

      „Mein Vater. Meine Mutter nicht.“

      „Aha!“

      Der Oberkommissär schnippte die Asche seiner Zigarette auf den Boden. „Warum sind Sie denn nicht in Deutschland geblieben?“

      „Man hat uns unsere Pässe abgenommen und uns ausgewiesen. Wir wären eingesperrt worden, wenn wir geblieben wären. Und wenn wir eingesperrt werden mussten, wollten wir es lieber in einem anderen Lande als in Deutschland.“

      Der Oberkommissär lachte trocken. „Kann ich verstehen. Wie sind Sie denn ohne Pass über die Grenze gekommen?“

      „An der tschechischen Grenze genügte damals für den kleinen Grenzverkehr ein einfacher Einwohner-Meldeschein. Den hatten wir noch. Man konnte damit drei Tage in der Tschechoslowakei bleiben.“

      „Und nachher?“

      „Wir bekamen drei Monate Aufenthaltserlaubnis. Dann mussten wir fort.“

      „Wie lange sind Sie schon in Österreich?“

      „Drei Monate.“

      „Warum haben Sie sich nicht bei der Polizei gemeldet?“

      „Weil ich dann sofort ausgewiesen worden wäre.“ „Na, na!“ Der Oberkommissär schlug mit der flachen Hand auf die Sessellehne. „Woher wissen Sie das so genau?“

      Kern verschwieg, dass er und seine Eltern sich das erste Mal, als sie über die österreichische Grenze gegangen waren, sofort bei der Polizei gemeldet hatten. Sie waren am gleichen Tage über die Grenze zurückgeschoben worden. Als sie dann wiederkamen, hatten sie sich nicht mehr gemeldet.

      „Ist es vielleicht nicht wahr?“ fragte er.

      „Sie haben hier nicht zu fragen; Sie haben nur zu antworten“, sagte der Schreiber grob.

      „Wo sind Ihre Eltern jetzt?“ fragte der Oberkommissär.

      „Meine Mutter ist in Ungarn. Sie hat dort eine Aufenthaltserlaubnis bekommen, weil sie ungarischer Herkunft ist. Mein Vater ist verhaftet und ausgewiesen worden, als ich nicht im Hotel war. Ich weiß nicht, wo er ist!“

      „Was sind Sie von Beruf?“

      „Ich war Student.“

      „Wovon haben Sie gelebt?“

      „Ich habe etwas Geld.“

      „Wieviel?“

      „Ich habe zwölf Schilling hier. Das andere habe ich bei Bekannten.“

      Kern besaß nicht mehr als die zwölf Schilling. Er hatte sie verdient durch Handel mit Seife, Parfüm und Toilettewasser. Hätte er das jedoch zugegeben, wäre er auch wegen verbotener Arbeit strafbar gewesen.

      Der Oberkommissär erhob sich und gähnte. „Sind wir durch?“

      „Es ist noch einer unten“, sagte СКАЧАТЬ