Название: Liebe deinen Nächsten / Возлюби ближнего своего. Книга для чтения на немецком языке
Автор: Эрих Мария Ремарк
Издательство: КАРО
Жанр: Зарубежная классика
Серия: Moderne Prosa
isbn: 978-5-9925-0650-1
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„Jemand, der auch so eine Bude hat. Nur mit Wanzen“, sagte der Schreiber. „Geschäftsneid wahrscheinlich.“
Der Oberkommissär lachte. Dann sah er, dass Kern noch im Zimmer war. „Bringt ihn hinunter. Sie wissen ja, was es gibt: vierzehn Tage Haft und Ausweisung.“ Er gähnte nochmals. „Na, ich geh’ auf ein Gulasch und ein Bier.“
Man brachte Kern in eine kleinere Zelle als vorher. Außer ihm befanden sich noch fünf der Verhafteten darin; darunter der Pole, der mit im Zimmer geschlafen hatte. Nach einer Viertelstunde brachte man auch Steiner. Er setzte sich neben Kern. „Das erstemal im Kasten, Kleiner?“
Kern nickte.
„Und? Fühlst dich wie ein Mörder, was?“
Kern verzog die Lippen. „Ungefähr. Gefängnis – ich habe da noch so Vorstellungen von früher her.“
„Das hier ist nicht Gefängnis“, belehrte Steiner ihn. „Es ist Haft. Gefängnis kommt später.“
„Warst du schon drin?“
„Ja. Wirst es dir das erstemal zu Herzen nehmen. Dann nicht mehr. Besonders im Winter nicht. Hast wenigstens Ruhe während der Zeit. Ein Mensch ohne Pass ist eine Leiche auf Urlaub. Hat sich eigentlich nur umzubringen, sonst nichts.“
„Und mit Pass? Mit Pass bekommst du doch auch nirgendwo im Ausland Arbeitserlaubnis.“
„Natürlich nicht. Du hast damit nur das Recht, in Ruhe zu verhungern. Nicht auf der Flucht. Das ist schon viel.“
Kern starrte vor sich hin.
Steiner schlug ihm auf die Schulter.
„Kopf hoch, Baby! Du hast dafür das Glück, im zwanzigsten Jahrhundert zu leben – im Jahrhundert der Kultur, des Fortschritts und der Menschlichkeit.“
„Gibt es hier eigentlich nichts zu essen?“ fragte ein kleiner Mann mit einem Glatzkopf, der in der Ecke auf einer Pritsche saß. „Keinen Kaffee wenigstens?“
„Sie brauchen nur dem Kellner zu klingeln“, erwiderte Steiner. „Er soll die Karte bringen. Es gibt hier vier Menüs zur Auswahl. Kaviar à discretion selbstverständlich.“
„Essen särr[11]schlecht hierr“, sagte der Pole.
„Ach, da ist ja unser Jesu Christo!“ Steiner betrachtete ihn interessiert. „Bist du Professional hier?“
„Särr schlecht“, wiederholte der Pole. „Und so wenig…“
„O Gott!“ sagte der Glatzkopf in der Ecke. „Und ich habe ein gebratenes Huhn in meinem Koffer. Wann werden sie uns hier bloß ’rauslassen?“
„In vierzehn Tagen“, erwiderte Steiner. „Das ist die übliche Strafe für Emigranten ohne Papiere. Nicht wahr, Jesu Christo? Du kennst das doch!“
„Vierzehn Tage“, bestätigte der Pole. „Odärr[12] länger. Essen särr wennig. Särr schlecht. Dünne Suppe.“
„Verflucht! In der Zeit ist das Huhn verfault.“ Der Glatzkopf stöhnte. „Mein erstes Poulet[13] seit zwei Jahren. Zusammengespart, Groschen für Groschen. Heute mittag wollte ich es essen.“
„Warten Sie bis heute abend mit Ihrem Schmerz“, sagte Steiner. „Dann können Sie annehmen, Sie hätten es schon gegessen, und Sie haben es leichter.“
„Was? Was reden Sie da für Unsinn?“ Der Mann starrte Steiner aufgewühlt an. „Das soll dasselbe sein, Sie Quatschkopf[14]? Wenn ich es doch nicht gegessen habe? Und außerdem hätte ich mir eine Keule noch für morgen früh aufgehoben.“
„Dann warten Sie bis morgen mittag.“
„Fürr mich das nicht schlimm“, mischte sich der Pole ein. „Esse nie Poulet.“
„Für dich kann’s doch auch nicht schlimm sein. Du hast doch keins gebraten im Koffer liegen“, schimpfte der Mann in der Ecke.
„Auch wenn ich hätte, nicht schlimm! Esse nie derselbe! Vertrage nicht Poulet. Kotze hinterher!“ Der Pole sah sehr zufrieden aus und strählte seinen Bart. „Fürr mich gar nicht schlimm, der Poulet!“
„Mann Gottes, das will ja niemand wissen!“ schrie der Glatzkopf ärgerlich.
„Sogar wenn Poulet hierr – ich demselben nicht essen!“ verkündete der Pole triumphierend.
„Herrgott! Hat man so was schon mal gehört!“ Der Besitzer des Huhns im Koffer drückte verzweifelt die Hände gegen die Augen.
„Mit gebratenen Poulets kann ihm scheinbar nichts passieren“, sagte Steiner. „Unser Jesu Christo ist da immun. Ein Diogenes der Brathühner. Wie ist es denn mit Suppenhuhn?“
„Auch nicht“, erklärte der Pole fest.
„Und Paprikahuhn?“
„Ibberhaupt[15] kein Huhn!“ Der Pole strahlte.
„Ich werde verrückt!“ heulte der gemarterte Besitzer des Poulets.
Steiner drehte sich um. „Und Eier, Jesu Christo? Hühnereier?“
Das Strahlen verschwand. „Eierchen. Ja! Eierchen gärne[16]!“ Ein Schimmer von Sehnsucht umflog den zerrauften Bart. „Särr gärne.“
„Dem Himmel sei Dank! Endlich ein Loch in der Vollkommenheit!“
„Eierchen särr gärne“, beteuerte der Pole. „Vierr Stück, sechs Stück, zwölf Stück, gekocht sechs Stück, andere gebraten. Mit Bratkartoffelchens. Bratkartoffelchens mit Speck.“
„Ich kann das nicht mehr mit anhören! Schlagt ihn ans Kreuz, den gefräßigen Christus!“ tobte das Huhn im Koffer.
„Meine Herren“, sagte eine warme Bassstimme mit russischem Akzent, „wozu so viel Aufregung um eine Illusion. Ich habe eine Flasche Wodka mit durchgebracht. Darf ich anbieten? Wodka wärmt das Herz und beruhigt das Gemüt.“
Der Russe entkorkte die Flasche, trank und reichte sie Steiner. Der nahm einen Schluck und gab sie an Kern weiter. Kern schüttelte den Kopf.
„Trink, Baby“, sagte Steiner. „Gehört dazu. Musst es lernen.“
„Wodka särr gutt!“ bestätigte der Pole.
Kern nahm einen Schluck und gab die Flasche an den Polen, der sie mit geübtem Griff in die Gurgel schwenkte.
„Er säuft sie aus, der Eierfetischist!“ knurrte der Mann mit dem Poulet und entriss ihm die Flasche. „Es ist nicht mehr viel drin“, sagte er bedauernd zu dem Russen, nachdem er getrunken hatte.
Der wehrte ab. „Macht nichts. Ich komme spätestens heute abend ’raus.“
„Sind СКАЧАТЬ
11
särr – falsche Aussprache von
12
odärr – falsche Aussprache von
13
Poulet, das <franz.> = Hühnchen
14
Quatschkopf, der – jemand, der viel Unsinn redet
15
Ibberhaupt– falsche Aussprache von
16
gärne – falsche Aussprache von