Название: Onnen Visser
Автор: Sophie Worishoffer
Издательство: Public Domain
Жанр: Зарубежная классика
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Er durfte an dem Grabe in geweihter Erde den Segen der christlichen Kirche sprechen, er wußte die besten Bürger seiner Gemeinde nicht länger wie gefallene Tiere an der offenen Heerstraße verscharrt.
Die Rede, welche er hielt, war ohne Vorbereitung nur aus dem Herzen herausgesprochen, aber sie lockte dennoch Tränen in aller Augen. Des Vaterlandes Schmach und Unglück fühlte jeder einzelne gleich schwer; das Weh dieses Tages durchbebte jede Brust.
Hochgeschichtet, das ganze Grab ausfüllend, türmten sich die Kränze der Frauen. Um den Hügel standen zunächst die Angehörigen, die vertrautesten Freunde der Verstorbenen, dann im weiten Kreise die Gefährten früherer Tage, die Nachbarn und Berufsgenossen, viele Hunderte, die sämtlich gekommen waren, um den Vielbeweinten, den Opfern der fremden Tyrannei das letzte Geleite zu geben.
Der Prediger ließ die Kirchtüren öffnen und, nachdem seine Rede beendet war, den Küster die Orgel spielen.
Hell und tröstlich klang es über den Gottesacker dahin, erst leise, dann immer stärker, gewaltiger erschallend:
»O wie selig seid ihr doch, ihr Frommen,
Durch den Tod seid ihr zu Gott gekommen!
Ihr seid entgangen jeder Not,
Die uns noch hält gefangen!«
So manche Stimme brach im Schluchzen. »Die uns noch hält gefangen!« – Das war in wenigen Worten das Schicksal des gesamten Vaterlandes. Französische Soldaten spielten die Gebieter in jedem Hause, französische Kanonen beherrschten den Strand, der für das genügsame Völkchen der Insulaner doch täglich den Tisch decken sollte. Sie beteten im Herzen alle, die da sangen, von Tränen unterbrochen, von dem Gedanken an die Gefahren der Zukunft tief gebeugt.
Und dann kam am frischen Grabe der Abschied. Diese da, die Toten, sollten gerächt werden, so gewiß die Sonne hell vom Himmel herabschien.
»Wenn der ›Falke‹ vor Baltrum Anker wirft, komme ich und bringe euch Botschaft«, sagte Abel Voß.
Uve Mensinga nickte. »Er wird uns mit den nötigen Langbooten, mit Kanonen und Munition versehen! Sei still, Onnen, mein Junge, weine nicht, die Franzosen sollen für ihre Untat volle Zahlung leisten!«
»Und ihr nehmt mich ganz gewiß mit euch, Mensinga? Ihr verlangt nicht, daß ich untätig zu Hause sitze, während ihr kämpft?«
»Da hast du meine Hand, Junge. Die Rache kommt bald.« Sie trennten sich; die Fremden verließen Norderney und die übrigen kehrten in ihre Häuser zurück, Onnen und Georg Wessel erst dann, als sie einander geschworen hatten, zusammen im Kampfe gegen den Todfeind in der vordersten Reihe zu stehen.
Dem Knaben graute es vor der verödeten Heimat. Die alte Mutter, sonst so rüstig und mutig den Fährnissen des Lebens gegenüber – jetzt war sie gebrochen. Seit jener Stunde, wo ihr der dem Tode geweihte Mann den Ring in die Hand legte, seit jener furchtbaren Stunde war ihr Haar weiß wie Silber.
Onnen traf sie nicht allein. Die Tante aus Hilgenriedersiel war auf die Schreckenskunde der Gefangennehmung hin nach Norderney geeilt, um womöglich ihren lieben alten Bruder noch einmal zu sehen – aber vergebens. Als sie kam, fielen gerade jene Salven, welche auch seinem Leben ein Ziel setzten; sie konnte nur mit der hart betroffenen Witwe bitterlich weinen, ihres eigenen und des fremden Leides wegen.
Onnen streckte ihr stumm die Hand entgegen, er brachte kein Wort hervor. Jetzt erst, nun er wieder zu Hause war, in der altgewohnten Umgebung, jetzt erst fühlte er die ganze Schwere des erlittenen Verlustes.
Onkel Hansen saß noch immer für seinen geflüchteten Sohn im Gefängnis, es kamen des Krieges wegen nur wenig Badegäste, die Schmugglerfahrten waren gänzlich zu Ende und so hielt neben allem übrigen, je länger, desto mehr, auch die bleiche Sorge ihren Einzug in solche Häuser, wo sonst Überfluß herrschte. Frau Antje weinte ihre bitteren Tränen; sie und Jurtke mußten spinnen oder stricken, um nur den Kindern das trockne Brot geben zu können. Es war ein trauriger Abend, den die kleine Familie miteinander verbrachte – und dennoch sollten ihm viel, viel traurigere folgen.
Kurz nach der vollstreckten Hinrichtung kam eines Tages ein Brief von dem Maire in Norden. Das große amtliche Siegel schien Schlimmes zu verkünden – Frau Douwe zitterte, als sie es erbrach und den Inhalt des Schreibens las.
Auf Befehl des Kaisers waren sämtliche Güter der Erschossenen dem Fiskus verfallen.
Die unglückliche Frau verstand nicht gleich, was sie sah, erst das mitleidige Gesicht des Nordener Amtsdieners ließ sie das neue Schrecknis erkennen. Also ausgeplündert – das war es.
Onnen schrie laut auf. Des Vaters Dreimaster in Bremerhaven, die »Taube«, das Haus – alles. Jetzt war seine Mutter arm wie Aheltje, die Hexe draußen in den Dünen.
Ein Verzeichnis des ganzen Nachlasses mußte am nächstfolgenden Tage dem Maire eingeliefert und die Sachen zur Verfügung gestellt werden. Wie es den Witwen und Waisen der Gemordeten erging, das kümmerte ja die Franzosen nicht.
Uve Mensinga kam selben Abends in das Haus der Witwe. »Frau Visser«, sagte er, »Ihr gebt doch das bare Geld nicht heraus? – Laßt mich den Schatz verwahren, sonst nehmen die Schufte Euch das letzte Stück Brot. Und du, Onnen«, fuhr er fort, »geh mit mir, ich will dich auf meine Schaluppe nehmen und als Gehilfen beim Fischfang behalten, bis wir andere Zeiten bekommen. Du mußt jetzt für deine Mutter sorgen, Junge!«
Der ehrliche Mann und treue Freund ließ den Worten die Tat folgen. Alles Geld aus dem Schranke des Kapitäns wurde versteckt, die nötigsten Einrichtungsstücke in verschwiegener Nacht hinübergetragen zum Hause des Wattführers und endlich Frau Douwe, die ganz gebrochene, trostlose, von dem Weibe desselben, der alten braven Trientje Mensinga, mit offenen Armen empfangen. Die beiden Leute hatten keine Kinder – jetzt nahmen sie Onnen auf wie einen geliebten eigenen Sohn und gaben auch aus der Fülle ihrer freundlichen Nächstenliebe der unglücklichen Mutter des Knaben eine sichere, trauliche Heimstätte; selbst Folke Eils konnte täglich mitessen von dem, was der Wattführer als solcher oder als Fischer verdiente.
Dazwischen rasselte wieder die Trommel. Nur eine ganz kurze Proklamation wurde verlesen, aber sehr inhaltsschwere Worte. »Wer die Hand an einen französischen Soldaten legt, wer sich gegen einen solchen selbst zu verteidigen oder Recht zu verschaffen sucht, soll erschossen werden.«
Das galt als Warnung; die Norderneyer verstanden es sehr wohl, aber sie lachten dazu. Wenn der »Falke« einlief, so durchlöcherten ihre Kugeln höchstwahrscheinlich mehr als nur diesen Tagesbefehl.
Onnen wäre in der Schreckenszeit, welche er jetzt durchlebte, vor Qual und Gram gestorben, wenn ihn nicht der Haß gegen den Todfeind, die Hoffnung auf Wiedervergeltung immer noch aufrecht gehalten hätten. Eine Niederlage sollten die Franzosen erleiden und ob Ströme Blutes fließen mußten, eine Niederlage, die ihren Hochmut, ihre trotzige Selbstüberschätzung empfindlich züchtigte.
Aus Hamburg kamen damals nach Norderney von den wenigen Badegästen Mitteilungen, welche den herrschenden Groll bis zum äußersten steigerten. Dort waren Schmuggler und solche, die sich nicht von den Zollbeamten in jeder Weise belästigen lassen wollten, ohne Urteil oder Verhör auf dem Heiligengeistfelde standrechtlich erschossen worden, zuweilen sechs und zehn an einem Tage; die Räubereien und Erpressungen der Franzosen hatten weder das öffentliche, noch das Privateigentum verschont.
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