Als Mariner im Krieg. Joachim Ringelnatz
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Название: Als Mariner im Krieg

Автор: Joachim Ringelnatz

Издательство: Public Domain

Жанр: Зарубежная классика

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СКАЧАТЬ quer Quängeleien. Die Heizer und die Maschinistenmaate zankten sich, weil in der Maschine nichts klappte. Auch waren neue Leute zu der bisherigen Schiffsbesatzung eingetroffen, aber vorläufig wieder weggeschickt worden, weil die Grandis — (so war der Spitzname für die Zivilarbeiter) — noch keine neuen Kojen eingebaut hatten. Und als auch das besorgt war, und die Leute endlich einzogen, gab es sofort Differenzen darüber, wer die beste und wer welche Koje bekäme. Vizesteuermann Kaiser, unser Kommandant, fand in seiner freundlichen Geduld einen Ausweg, indem er uns Decksmaaten — es war ein dritter hinzugekommen, der die Artillerie leiten sollte —, die Messe überließ. Dort gab es bequeme und saubere Kojen, wo einem die Kakerlaken nicht nachts ins Maul fielen. Als ich das Ruderhaus geschrubbt, alle Messingteile vom Grünspan gereinigt und sauber poliert und die Lampen getrimmt hatte, sagte mir ein Ingenieur oder Oberingenieur oder — ach, wer kannte sich in den Werftuniformen aus. Da gab es silberne und goldene, dicke und dünne Streifen, großes Eichenlaub und kleines Eichenlaub, silberne, goldene, einzelne oder gekreuzte Anker, Sammetkragen, Achselstücke, Säbel, Dolche, Kokarden und Sterne — da sagte mir also solch ein unbestimmbarer, aber sichtlich orientierter Herr, wir würden wahrscheinlich das eben aufgetakelte und eingerichtete Schiff wieder abtakeln und außer Dienst stellen müssen, weil ein Kessel leck wäre. Das hieße also, daß alle unsere Mühe umsonst gewesen wäre und wir wieder zurück in die Kaserne müßten. Diese Nachricht war zwar nicht verbürgt, aber sie nahm uns die Freude am weiteren Arbeiten. Wir gingen, sobald und so lange wir konnten, an Land. Dort saßen wir in den Kneipen in unserer einzigen »Garnitur blau«, die gar nicht mehr von Kohlenstaub, Rost-, Öl- und Teerflecken zu reinigen war, tranken eine billige Tasse Kaffee und versteckten dabei unsere verhornten und zerfressenen Hände. Wir hörten auf die vorbeimarschierenden Musikkapellen und ließen uns von Wichtigtuern Wahres, Halbwahres und Erlogenes einschwatzen.

      Man war in Wilhelmshaven entrüstet über die Flottenleitung, weil die großen Schiffe untätig im Hafen geblieben waren, während »Ariadne«, »Mainz«, »Köln« und »Frauenlob« draußen gekämpft hatten. Man sprach davon, daß verschiedene Admirale abgehen müßten, und daß der erzürnte Kaiser gestern inkognito in der Stadt gewesen sei. Es waren Massengräber ausgeworfen für die Leichen, die täglich am Nordseestrand antrieben, und die nach ihrer Erkennungsmarke meist als Leute der »Köln« identifiziert wurden. — Im Osten: Sechzigtausend Russen gefangen. Wieviel Russen gab es überhaupt?

      Wer von uns kein Geld mehr für Wirtshäuser hatte, der kletterte und wanderte wenigstens in den Werftanlagen herum, wo donnernde Werkstätten Massenartikel hervorhexten, wo sich dickste Eisenplatten unter leichtem Händedruck bogen oder spalteten und Riesenkräne ungeheure Lasten federleicht emporhoben. Die Trockendocks und die dort freigesetzten Schiffe mit ihren riesigen Ausmaßen, die vielartigen Drehbrücken, Poller und Trossen, das war für uns Sachverständige höchst interessant.

      Ich schrieb auch meine Briefe, die der Zensur wegen vorsichtig abgefaßt werden mußten, stets an Land, denn in der Messe mangelte es an Platz und Licht, zumal Jessen abends seine Hängematte quer durch den Raum hängte.

      Am Tage nach der Sedanfeier schenkte man uns die Nachricht, daß die Deutschen zehn französische Armeekorps geschlagen hätten. Aber ich war schlechter Laune. Ich hatte morgens, als ich mich wusch, ein Faß grüne Seife mit einem Faß Maschinenfett verwechselt, und mich darüber geärgert, daß sich die Seife nicht auflöste, hingegen mein Körper abscheulich schmierig wurde. Dann riß mir im Ruderhaus eine Leine und meine frisch gewaschenen Hemden und Strümpfe fielen in Ruß und Farbe. Außerdem besaß ich keinen Heller mehr, und da kam nun von Eichhörnchen ein Telegramm, in dem das goldene Mädchen anfragte, wohin sie mir Geld senden könnte, selbst aber vergaß, ihre eigene Adresse anzugeben. Den Postordonnanzen traute ich nicht. Sie waren unordentlich, und es wurden Fälle von Unterschlagungen bekannt. Ich ging mittags an Land, um mir von Pfeiffer drei Mark zu holen, die ich ihm geliehen hatte, denn ich wußte, daß er inzwischen Geld von seiner Liebsten erhalten hatte. Jedoch ich traf ihn nicht an. Er war mit noch jemandem nach dem Kirchhof geschickt, wo die Särge derjenigen Ariadneleute aufgebrochen wurden, die keine Erkennungsmarken getragen hatten. Man wollte versuchen, ihre Persönlichkeit nach Tätowierungen und sonstigen Merkmalen festzustellen. Ich fand überhaupt keine Bekannten mehr in der Kaserne. Die letzten waren mit einem Trupp freiwilliger, lediger Leute »für eine besondere Sache« abgerückt. Es hieß, sie würden zunächst nach Berlin, und von dort in Zivilkleidern nach der Türkei befördert. Donnerwetter! Das wäre doch nun wieder etwas für mich gewesen! Ich kehrte sehr verstimmt an Bord zurück, wo ein Matrosenartillerist vor seinen angegruselten Kameraden erzählte, wie er einmal als Posten in einer dunklen Nacht auf einen Gaul geschossen hätte, den er nicht sah, sondern nur hörte, und der immer ging, wenn er ging und stehen blieb, wenn er stehen blieb. Ich schimpfte dazwischen über die schlechte Luft und über die Klosettverhältnisse an Bord und schleuderte dann meine geborstenen Zivilschuhe mit lächerlichem Krach unter die Bank. Bei dieser Gelegenheit entdeckte ich eine Kiste mit Verbandzeug, das ich gerade sehr für meine wunden Füße benötigte. Außerdem enthielt die Kiste verschiedene mir unbekannte Salben, von denen ich mir auch eine gute Verwendung versprach, denn ich gedachte, meinem bisher kahlen Gesicht einen Schnurr- und Spitzbart zuzulegen, den ich in ungarischer Husarenweise zwirbeln wollte.

      Am andern Morgen erlebte ich noch eine kleine Überraschung. Weil ich mir keinen Brotbelag mehr kaufen konnte und andererseits einen Widerwillen gegen Margarine hatte, biß ich die Mariensieler Birne an. Sie war ganz ausgereift und eine köstliche Edelfrucht. Ich verzehrte sie heimlich unten in der Kettenlast, damit ich mit niemandem zu teilen brauchte.

      Nachts zwölf Uhr, als ich als Posten eben eine dicke Ratte mit dem Seitengewehr aufspießte, die sich über die Laufplanke an Deck schleichen wollte, kam der Kommandant zurück. Ich übergab ihm einen Eilbrief vom Sperrkommandanten. Er bestätigte die Nachricht, daß »Blexen« zwecks Kesselreparatur in die Werft müßte, und daß die Besatzung auf »Konkurrenz« übersiedeln sollte.

      »Konkurrenz« war zwar größer als »Blexen«, aber ein uralter, vielleicht der älteste Schlepper. Er hatte tags zuvor längsseits von uns festgemacht, und wir hatten über den unmodernen, verwanzten Kasten gewitzelt. Nun mußten wir uns mit sauren Gesichtern dort einrichten. Wir begannen mit einer gründlichen Reinigung des Achterlogis. Mein Dienstmannmatrose hielt mir gleich zwei Korkwesten unter die Nase, die von Wanzen strotzten. Ich warf sie ohne Kommentar über Bord.

      Wir säuberten und bemalten das ganze Fahrzeug, dann kam ein neuer Befehl: »Konkurrenz« würde von anderen Leuten besetzt werden. Sobald diese aus Emden einträfen, sollten wir wieder auf »Blexen« ziehen.

      Ich ersuchte unseren Zahlmeister, der auf dem Leitschiff »Glückauf« hauste, um einen Vorschuß, indem ich vorgab, zwei Brüder zu haben, von denen der eine invalid, der andere im Felde sei. Diese Lüge kam aber dort zu häufig vor; der Zahlmeister wies mich lachend ab.

      Wir machten eine Probefahrt mit »Konkurrenz«. Ich stand neben dem Kommandanten auf dem Signalstand, lauschte auf die Kommandos, die er an Deck oder durchs Sprachrohr in die Maschine rief und verfolgte dabei auf der Karte unseren Kurs. Steuermann Kaiser ermahnte mich, gut aufzupassen, da ich später manchmal die Führung allein übernehmen müßte. Er hielt mich für einen geprüften Steuermann der Handelsmarine. Ich hatte es aber dort nur bis zum Vollmatrosen gebracht und war sogar durch ein später aufgekommenes Gesetz wegen ungenügender Sehschärfe von der Steuermannslaufbahn ausgeschlossen. Jetzt hütete ich mich aber, Kaisers Irrtum aufzuklären, sondern gab mir nur Mühe, auf alles zu achten.

      Herr Kaiser war wie die meisten dieser kleinen Hilfsbootkommandanten nur sehr mangelhaft unterrichtet und hatte um so mehr Mühe, seiner Verantwortlichkeit nachzukommen.

      Die Sonne schien warm, doch fuhr eine tüchtige Brise kühlend in meinen Hemdausschnitt, und es gab allerlei zu sehen. Da lagen große Kriegsschiffe verankert mit ausgespannten Torpedoabwehrnetzen. Torpedobootsflottillen in Kiellinie qualmten finster vorbei. Ich sah auch zum ersten Male ein Unterseeboot. Auf der Rückfahrt leisteten wir einem anderen manövrierunfähig gewordenen Sperrfahrzeug Hilfe und schleppten es durch die Schleusen ein.

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