Название: Strafrecht Besonderer Teil. Teilband 1
Автор: Reinhart Maurach
Издательство: Bookwire
Серия: C.F. Müller Lehr- und Handbuch
isbn: 9783811492561
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Die Aufklärung muss durch den behandelnden Arzt oder eine andere Person erfolgen, die ebenfalls über die zur Durchführung des Eingriffs notwendige Ausbildung verfügt, § 630e Abs. 2 Nr. 1 BGB. Wird die sachlich korrekte und vollständige Aufklärung durch einen Nicht-Arzt geleistet, soll die daraufhin erteilte Einwilligung sogar bei Aufklärung über die fehlende Approbation unwirksam sein,[51] § 630d Abs. 2 BGB – eine bedenkliche Beschneidung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten (vgl. auch Bockelmann JZ 62, 525).
Der Irrtum über den Umfang der Aufklärungspflicht ist nach Auffassung der Rechtsprechung ein Tatbestandsirrtum, der nur eine Strafbarkeit wegen fahrlässiger Körperverletzung übrig lässt[52].
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d) Fehlt es an einer Einwilligung, insbesondere bei überraschenden Befunden während einer Operation, sog. Operationserweiterung, kommt eine mutmaßliche Einwilligung in Betracht, und zwar auch dann, wenn der Arzt es fahrlässig versäumt hat, eine ausdrückliche Einwilligung einzuholen. Wegen des Vorrangs des Selbstbestimmungsrechts des Patienten ist der Inhalt des mutmaßlichen Willens in erster Linie aus den persönlichen Umständen des Betroffenen, seinen individuellen Interessen, Wünschen, Bedürfnissen und Wertvorstellungen zu ermitteln (BGH 35, 246; 45, 219). Beim Irrtum über die mutmaßliche Einwilligung zeigt die eingeschränkte Schuldtheorie besonders bedenkliche Auswirkungen[53].
e) In Fällen, in denen Ärzte – meist zur Vertuschung voraufgegangener Behandlungsfehler – eine Aufklärung bewusst unterlassen haben, anerkennt die Rechtsprechung wie schon vorher im Zivilrecht eine Straflosigkeit, wenn der Patient bei einer Aufklärung in den Eingriff eingewilligt hätte (hypothetische Einwilligung); die hypothetische Nichteinwilligung ist dem Arzt nachzuweisen[54].
Diese Figur ist eine Zwangsgeburt der Beurteilung des ärztlichen Eingriffs als Körperverletzung (s.o. Rn. 24). Ihre Problematik zeigt sich schon an dem Streit um ihre Rechtsnatur. Angeboten werden: Fehlen der Rechtswidrigkeit (BGH JR 04, 251), der Kausalität der Nichtaufklärung (Ulsenheimer NStZ 96, 132), der Realisierung des Schutzbereichs der Aufklärungspflicht (BGH NStZ 96, 35, neben der hypothetischen Einwilligung!), der objektiven Zurechnung im Bereich des Tatbestands (Roxin AT 1 § 13 Rn. 132) oder der Rechtswidrigkeit (Kuhlen JR 04, 227), des Erfolgsunwerts (Mitsch JZ 05, 279)[55].
Gegen die Figur der hypothetischen Einwilligung wendet sich Puppe wegen der Nichtbeweisbarkeit der hypothetischen Nichteinwilligung[56], Duttge wegen dogmatischer Unhaltbarkeit[57], Gropp wegen der Aushebelung der Aufklärungspflicht[58], Otto wegen der Unzulässigkeit einer nachträglichen Erklärung der Einwilligung (AT § 8 Rn. 134). Starke Bedenken auch bei Roxin (AT 1 § 13 Rn. 134) trotz des Zuwachses für die Lehre von der objektiven Zurechnung.
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f) Auch die h.L. im Schrifttum (Rn. 25) kann den ohne Einwilligung operierenden Arzt nicht straflos lassen. Solange es an einer besonderen Strafdrohung wegen eigenmächtiger Heilbehandlung[59] fehlt, kommen Nötigung und Freiheitsberaubung in Betracht.
Anmerkungen
RG 25, 375; RG 74, 93; BGH 11, 112 mit Anm. Eb. Schmidt JR 58, 266; BGH NStZ 96, 35.
RG 61, 252; DR 40, 684. Sehr engherzig zwischenzeitlich BGH 11, 114; großzügig aber wieder BGH 35, 250 (s.u. Rn. 28).
BGH NStZ 96, 35 m. Anm. Ulsenheimer 133 m. Nachw. Näher u. Rn. 28.
BGH NStZ 96, 35 m. Anm. Ulsenheimer 132; Rigizahn JR 96, 72. Das Urteil erscheint allerdings zu großzügig: Der Arzt hatte nicht zugelassene aufbereitete Rinderknochen zwischen die Halswirbel eingesetzt, ohne über die gebräuchlichen Implantate aufzuklären. Allerdings hatte der Arzt „auf die Ordnungsgemäßheit der Implantate vertraut“.
Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf § 6 99 ff.; Baumann aaO; Krey/Hellmann/Heinrich BT I 206 ff.; Küpper 1 § 2 45; Rengier II § 13 17; Roxin AT § 13 24; Schreiber BGH-Fschr. 506; Tag aaO 187, 197; Mitsch, Strafrechtl. Schutz gegen med. Behandlung, 2000, 22.
Eb. Schmidt JR 58, 227; Niese aaO 381; BGH 12, 379.
Bockelmann 66; Grünewald LK Vor § 223 1, 3; Engisch ZStW 58, 5. Zum gleichen Ergebnis gelangen mit mehr oder weniger abweichender Begründung Gallas Ndschr. 7, 198; Grünwald ZStW 73, 9; Hardwig GA 65, 161; Arthur Kaufmann ZStW 73, 373; Blei II § 14 IV 1a; Niese FS Eb.-Schmidt 364; Eb. Schmidt Arzt im Strafrecht 69 ff. und Gutachten zum 44. DJT Nr. 191a; Sternberg-Lieben S/S § 223 30; Welzel § 39 I 3a.
Schroeder Heilbehandlung 20.
Bockelmann 81 f.; Grünewald LK Vor § 223 5 a.E.
Wolfslast NStZ 99, 133; Knauer bei Roxin/Schroth 15. Dagegen mit Recht Rigizahn JR 98, 524; Jerouschek JuS 99, 746.
Vgl. außer den im Literaturverzeichnis Genannten hierzu noch Engisch, Schweigepflicht und Aufklärungspflicht des Arztes, Nds. Ärzteblatt v. 17.10.67; Roemer/Steindorff, Zur Aufklärungspflicht des Arztes gegenüber Krebskranken, JZ 60, 137; Roemer, Die ärztliche Aufklärungspflicht vom Standpunkt und aus der Erfahrung des Arztes, 1961; Bauer, Freudenberg, Bockelmann, Koller: Krebstherapie als Rechtsfrage, NJW 63, 369 ff.; Laufs, Die Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflicht und ihre deliktische Rechtsfolge, NJW 74, 2025 ff.; Bauer und Engisch FS Bockelmann 497, 519.
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