Название: Strafrecht Besonderer Teil. Teilband 1
Автор: Reinhart Maurach
Издательство: Bookwire
Серия: C.F. Müller Lehr- und Handbuch
isbn: 9783811492561
isbn:
Anmerkungen
A.A. v. Bubnoff GA 68, 77; Jakobs ZStW 91, 642.
Vgl. hierzu Stratenwerth FS Eb. Schmidt 1961, 383; Engisch in Langenbecks Arch. klin. Chir. Bd. 297, 236; Baumann NJW 62, 375; Wilhelm Jura 85, 183.
1. Die unterlassene Behandlung
23
Die Eigenschaft als Arzt begründet nach allgemeinen Grundsätzen eine Garantenstellung, wenn der Arzt eine Behandlung individuell übernommen oder sich als Bereitschaftsarzt zur Verfügung gestellt hat[38]. Ansonsten kommt § 323c StGB in Betracht (s. Tlbd. 2, § 55 Rn. 20). Voraussetzung ist allerdings eine Einwilligung oder mutmaßliche Einwilligung des Patienten (s.u. Rn. 26 ff.).
Anmerkungen
BGH 7, 211; OLG Hamm NJW 75, 604.
2. Der sachgemäße und erfolgreiche Eingriff
24
Hier besteht Einigkeit darüber, dass wegen Körperverletzung jedenfalls dann nicht gestraft werden darf, wenn die Operation mit Einwilligung des Patienten oder bei Eingreifen gleichwertiger Ersatzrechtfertigungsgründe vorgenommen wurde. Weiter geht – ein bedauerliches Ergebnis – der Konsens aber nicht. In der Frage des Warum scheiden sich die Auffassungen weitgehend.
a) Die extrem konservative Auffassung wird unentwegt von der Praxis vertreten. Diese sieht den Tatbestand grundsätzlich deskriptiv und objektiv. Der amputierende, Geschwüre öffnende oder Injektionen vornehmende Arzt begeht bei Beschränkung der Tatbestandsmäßigkeit auf das objektiv wahrnehmbare Augenblicksgeschehen eine „an sich tatbestandsmäßige Misshandlung“[39] und unterscheidet sich insofern nicht vom Messerstecher. Nur § 224 wird mangels konkreter Gefährlichkeit abgelehnt (BGH NStZ 87, 174). Es bedarf also der Ermittlung eines Rechtfertigungsgrundes, um die Gegenindizierung der Tatbestandswirkung herbeizuführen. Das RG verfuhr zunächst engherzig, indem es nur die (ausdrücklich erklärte oder vermutbare) Einwilligung des Patienten oder dessen gesetzlichen Vertreters genügen ließ (RG 25, 377). Erst unter dem Druck der Wissenschaft verstand sich die Praxis dazu, ohne Aufgabe ihres grundsätzlichen Standpunktes die Rechtfertigung zu erweitern, so unter großzügiger Auslegung der Einwilligung[40], die Berücksichtigung einer hypothetischen Einwilligung[41] oder allgemein bei Gefahr im Verzuge, hier notfalls auch gegen den Willen des Sorgeberechtigten (RG 74, 350), und wegen fehlender Realisierung des Schutzzwecks der Aufklärungspflicht[42]. Eine Herleitung des Operationsrechts aus einer allgemeinen ärztlichen Berufsbefugnis ist allgemein zutreffend abgelehnt worden (RG 25, 375 und Schrifttum) – die Folgen einer solchen Konstruktion wären unüberschaubar (Inanspruchnahme polizeilicher Hilfe gegen den Widerstand des Patienten?). Im Ganzen aber kann die Auffassung der Praxis, die im neueren Schrifttum wieder zunehmend Anhänger findet[43], nicht befriedigen. Die „An-sich-Tatbestandsmäßigkeit“ des Eingriffs ist ein auch die ärztliche Kunst diskreditierender Systemfehler. Auch führt die Suche nach anderen Rechtfertigungsgründen nicht immer zu haltbaren Ergebnissen. Diese werden im Falle eines Irrtums des Arztes über Ob und Umfang der Einwilligung bei konsequenter Anwendung der eingeschränkten Schuldtheorie des BGH noch unbefriedigender[44].
25
b) Im Gegensatz dazu steht der überwiegende Teil des Schrifttums. Er lehnt bereits den objektiven Tatbestand der Körperverletzung ab. Die Begründung hierfür ist allerdings nicht einheitlich. Überzeugend ergibt sich der Fortfall des Tatbestandes aus der Relativität des Rechtsguts und der sinnhaften Beurteilung des Heileingriffs als Einheit, als Gesamtakt. Ebenso wie ein bereits Kranker noch an seiner „Gesundheit“ beschädigt werden kann, kann umgekehrt ein den relativen Zustand verbessernder Eingriff nicht als Körperverletzung angesehen werden. Dabei darf nicht auf den einzelnen Teilakt wie den Einstich, Schnitt und dgl., sondern es muss auf den Gesamtvorgang abgestellt werden[45]. Schließlich können Integritätsverletzungen (z.B. Amputationen) und Gesundheitsschädigungen (z.B. Narben, Dauerschmerzen, Nebenwirkungen) durch Gesundheitsverbesserung kompensiert werden[46].
Die hier bis zur 5. Auflage vertretene Begründung, wonach mit dem Körperverletzungsvorsatz der subjektive Tatbestandsteil fehlt, wird somit nicht mehr aufrechterhalten, da für den Vorsatz die Kenntnis des äußeren Tatgeschehens ausreicht (es handelt sich nicht einmal um einen unbeachtlichen Subsumtions„irrtum“, sondern allenfalls um eine Überzeugungstat).
Diese Auffassung hat allerdings zur Folge, dass eine Differenzierung zwischen Ärzten und Laien nicht infrage kommt: selbst der höchst zufälligerweise heilende Messerstich eines Raufbolds bleibt außerhalb des Tatbestandes[47], freilich als Versuch strafbar.
Neuerdings schlägt das Verständnis für die Ärzte im Schrifttum teilweise ins gegenteilige Extrem um, so, wenn dem BGH vorgeworfen wird, dass er eine zweifach überhöhte Gammastrahlung (BGH 43, 306) und weit übermäßige Röntgenaufnahmen (BGH 43, 353) als Körperverletzungen angesehen hat[48].
26
c) Unbeschadet des Streites zwischen Praxis (a) und Theorie (b) besteht Einigkeit darüber, dass eine völlige Straflosigkeit des operierenden Arztes nur eingreift, wenn die Einwilligung des Patienten, mindestens ein vollwertiges Einwilligungssurrogat, vorliegt. Fehlt die Einwilligung, muss die Praxis wegen vorsätzlicher Körperverletzung (§ 223), beim Tode des Patienten gegebenenfalls sogar wegen § 227 strafen.
Nach allgemeinen Grundsätzen hat eine Einwilligung rechtfertigende Wirkung, wenn sie dem Handelnden erklärt oder mindestens bekannt (vgl. AT § 17 Rn. 61 ff.) und wenn sie in Kenntnis des Sachverhaltes erteilt wurde (BGH JZ 64, 231 m. Anm. Eb. Schmidt). Daher muss der Arzt, um dem Vorwurf der Körperverletzung bzw. Nötigung den Rechtfertigungsgrund „Einwilligung“ entgegenzuhalten, den Patienten entsprechend unterrichten. Die Diskussion um diese Aufklärungspflicht des Arztes ist nach wie vor außerordentlich aktuell[49]. Das Problem, um dessen Ausschöpfung sich insbesondere die Rechtsprechung der Zivilsenate des BGH bemüht hat[50], kann hier nur grob umrissen werden. Entgegen der Methode des Hippokrates, den Patienten in dessen eigenem Interesse möglichst im Unklaren über dessen Krankheit zu halten (Ausfluss des früher dominierenden „Fürsorgeprinzips“), ist in der Gegenwart eine weitgehende Aufklärungspflicht anerkannt (Ausfluss des grundgesetzlich anerkannten Selbstbestimmungsrechts des Patienten). Die von der Rechtsprechung der Zivilsenate des BGH erarbeiteten Anforderungen an eine pflichtgemäße Patientenaufklärung sind im Jahr 2013 durch den Gesetzgeber in § 630e BGB kodifiziert worden. Danach muss der Patient mündlich, rechtzeitig und verständlich über Chancen und Risiken des ihm vorgeschlagenen Eingriffs, alternativer Behandlungsmethoden und eines etwaigen Verzichts auf jegliche Behandlung seiner Krankheit aufgeklärt werden. Der Umfang der Aufklärungspflicht variiert nach Komplikationsdichte, Dringlichkeit des Eingriffs und Größe des Risikos (Tempel NJW 80, 611). Stets kann aber eine nach den genannten Maximen an sich bestehende Aufklärungspflicht in concreto dann entfallen, wenn die Offenlegung der Sachlage durch den Arzt Schockwirkungen befürchten lässt, die größere Risiken als der Eingriff selbst in sich СКАЧАТЬ