Название: Zivilprozessrecht
Автор: Irmgard Gleußner
Издательство: Bookwire
Серия: JURIQ Erfolgstraining
isbn: 9783811475212
isbn:
Beispiel
Mona verklagt die V-GmbH auf Kaufpreisrückzahlung wegen eines Mangels der Fliesen aufgrund Rücktritts (§§ 437 Nr. 2, 323, 346 BGB). Kommt der Richter nach einer Beweisaufnahme zu dem Schluss, dass der Mangel der gekauften Sache unerheblich ist, würde Mona den Prozess verlieren. Daher stellt Mona einen zweiten (Hilfs-)Antrag bei Gericht. Hilfsweise beantragt sie Minderung (§§ 437 Nr. 2, 441 BGB) für den Fall, dass das Gericht die Erheblichkeit des Mangels verneint. Hier werden zwei Anträge so miteinander verbunden, dass über den zweiten nur entschieden werden soll, wenn der erste nicht erfolgreich ist. Das ist zulässig, da es sich um eine innerprozessuale Bedingung handelt. Das Gericht hat den Eintritt der Bedingung „selbst in der Hand“. Die Hemmung der Verjährung (§ 204 Abs. 1 BGB) erstreckt sich auch auf den Hilfsantrag.[12]
c) Willensmängel
173
Umstritten ist, ob Prozesshandlungen nach den Vorschriften des BGB (§§ 119, 123 BGB analog) wegen Irrtums oder arglistiger Täuschung angefochten werden können. Die h.M. lehnt dies aus Gründen der Rechtssicherheit ab und leitet die Rechtsfolgen allein aus dem Prozessrecht ab.[13] Das Prozessrecht (die ZPO) erlaubt in bestimmten Fällen, eine Prozesshandlung durch Widerruf oder Rücknahme zu beseitigen. So existieren für das Geständnis (§ 290 ZPO) und die Klagerücknahme (§ 269 Abs. 1 ZPO) spezielle Regelungen. In den übrigen Fällen der Bewirkungshandlungen (z.B. Anerkenntnis) gilt daher, dass ein Widerruf grundsätzlich nicht möglich ist,[14]es sei denn, es liegt ein Restitutionsgrund (§ 580 ZPO) vor.[15] Ausnahmen macht die Rechtsprechung außerdem für die sog. Erwirkungshandlungen, die noch ein Tätigwerden des Gerichts erfordern und demgemäß nur „mittelbar“ auf den Prozess einwirken. So sind Erwirkungshandlungen grundsätzlich widerruflich (z.B. Antrag auf Vernehmung eines Zeugen, einseitige Erledigungserklärung), solange keine geschützte Position der Gegenseite entstanden ist.[16]
d) Besonderheiten für Prozessverträge
174
Eine weitere Ausnahme gilt für sog. Prozessverträge (z.B. Gerichtsstandsvereinbarungen, Verträge über eine Klagerücknahme). Anders als bei einseitigen Prozesshandlungen gelten bei zweiseitigen Prozessverträgen auch die allgemeinen Regelungen des Vertragsrechts. Prozessverträge sind daher grundsätzlich nicht bedingungs- und befristungsfeindlich (§§ 158, 163 BGB) und können analog §§ 119, 123 BGB angefochten werden.[17] Gleiches gilt für Verträge, die sowohl materiell-rechtliche als auch prozessrechtliche Wirkung haben (z.B. Prozessvergleiche).
3. Rechtzeitigkeit von Prozesshandlungen
a) Versäumung von Prozesshandlungen und Wiedereinsetzung
175
Ist für die Prozesshandlung eine Frist bestimmt, muss sie innerhalb dieser Frist vorgenommen werden. Dabei gibt es gesetzliche Fristen (z.B. für die Berufungseinlegung § 517 ZPO oder für die Einlegung der Revision § 548 ZPO) oder richterliche Fristen (z.B. Prozesskostensicherheit § 113 ZPO). Nach Ablauf der Frist ist die Partei mit der Prozesshandlung ausgeschlossen (§ 230 ZPO = Präklusion). Das kann für den Betroffenen äußerst nachteilig sein, etwa wenn er die Frist für die Berufungseinlegung aus „Schusseligkeit“ versäumt hat. Daher gewährt die ZPO in bestimmten Fällen die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 233 ZPO). Die Prozesshandlung kann dann trotz Verspätung nachgeholt werden. Statthaft ist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nur in den in § 233 ZPO aufgeführten Fällen (Fristen für die Einlegung von Rechtsbehelfen = Notfristen, Fristen für die Begründung von Rechtsbehelfen und Frist für den Wiedereinsetzungsantrag selbst). Neben dem Wiedereinsetzungsantrag muss die versäumte Prozesshandlung innerhalb der Antragsfrist nachgeholt werden (§ 236 ZPO). Der Antrag auf Wiedereinsetzung ist begründet, wenn die Partei ohne ihr Verschulden (z.B. schwerer Autounfall) an der Einhaltung der Frist gehindert war.[18] Das Verschulden ihres Rechtsanwalts wird der Partei zugerechnet (§ 85 Abs. 2 ZPO). Ist der Wiedereinsetzungsantrag zulässig und begründet, wird die rechtzeitige Vornahme der Prozesshandlung fingiert. Die Präklusion nach § 230 ZPO wird rückwirkend beseitigt.
Hinweis
Fristen spielen in der ZPO eine wesentliche Rolle. Die Berechnung von Fristen ist daher ebenso relevant wie die Kenntnis über die Folgen ihrer Versäumung. Grundsätzlich kann eine versäumte Frist durch den Rechtsbehelf der Wiedereinsetzung nachgeholt werden. Die Parteien können sich allerdings nicht auf die Vergesslichkeit ihres Anwalts berufen, da dessen Verschulden der Partei stets zugerechnet wird (§ 85 Abs. 2 ZPO).
b) Angriffs- und Verteidigungsmittel
176
Für Prozesshandlungen, die Angriffs- oder Verteidigungsmittel sind, existiert in § 296 ZPO eine eigenständige Präklusionsvorschrift (= Zurückweisung verspäteten Vorbringens). Ziel ist es, Parteiverhalten zu sanktionieren, das der Prozessförderungspflicht zuwiderläuft. Eine „Überbeschleunigung“ gilt es aber zu verhindern, da Verfahrensrecht nicht Selbstzweck ist, sondern der materiellen Gerechtigkeit dient.[19] Nach § 296 Abs. 1 ZPO sind Angriffs- und Verteidigungsmittel, die erst nach Ablauf einer vom Richter gesetzten Frist vorgenommen werden, zurückzuweisen, es sei denn, dass keine Verzögerung des Prozesses eintritt oder die Partei die Verspätung ausreichend entschuldigt. Nach § 296 Abs. 2 ZPO sind Angriffs- und Verteidigungsmittel, die gegen die Prozessförderungspflicht nach § 282 Abs. 1, 2 ZPO verstoßen, zurückzuweisen, wenn ihre Zulassung den Rechtsstreit verzögern würde und die Verspätung auf grober Nachlässigkeit beruht. Angriffs- und Verteidigungsmittel sind alle tatsächlichen Behauptungen, Bestreiten, Einreden sowie Beweisangebote. Nach umstrittener Ansicht zählt dazu auch die Aufrechnung.[20] Der Begriff der Verzögerung spielt in § 296 ZPO eine zentrale Rolle. Der BGH tendiert zu einem absoluten Verzögerungsbegriff. Danach liegt eine Verzögerung vor, wenn der Prozess bei Zulassung der verspäteten Prozesshandlung länger dauern würde als bei deren Zurückweisung.[21] Dieser strenge Maßstab soll einer Prozessverschleppung durch die Parteien effektiv entgegenwirken. Das BVerfG korrigiert diese Ansicht im Hinblick auf Art. 103 Abs. 1 GG dahingehend, dass die Handlung nicht präkludiert werden darf, wenn offenkundig ist, dass dieselbe Verzögerung auch bei rechtzeitigem Vorbringen eingetreten wäre.[22] Da Sachverständige für ihr Gutachten i.d.R. längere Zeit benötigen, kann dieses Beweismittel „verspätet angeboten werden“.[23] In der Praxis spielt § 296 ZPO keine schwerwiegende Rolle, da die Gerichte spätes Vorbringen eher großzügig zulassen.
Beispiel
Im zweiten Verhandlungstermin benennt die V-GmbH einen Zeugen. Sie hätte den Zeugen aber bereits in der Klageerwiderung als Beweismittel anführen können (ein Vorbringen im ersten Termin ist nie verspätet nach § 282 Abs. 1 ZPO).[24] Für die Vernehmung ist also ein neuer Termin erforderlich. Das verzögert den Prozess um Monate (absolut). Für den verspäteten Beweisantritt fällt der V-GmbH keine Ausrede ein. Der Zeuge ist nach dem absoluten Verzögerungsbegriff präkludiert. Nach Ansicht des BVerfG wäre noch zu prüfen, ob auch bei rechtzeitiger Nennung dieselbe Verzögerung eingetreten wäre (ein eigener neuer Termin erforderlich gewesen wäre). СКАЧАТЬ