Therapien unterstützen den Menschen darin, sich aufrichtig selbst zu begegnen. Im direkten Kontakt kann der Therapeut z. B. behutsam auf innere Blockaden der Persönlichkeitsentwicklung eingehen, abgespaltene Gefühle wieder ins Bewusstsein bringen und damit die Ich-Identität stärken. In der Meditation hingegen geht es nicht darum, das eigene Ich zu stärken, sondern es loszulassen, um der göttlichen Dimension in sich Raum zu geben. Bevor man jedoch sein eigenes Ich in der Meditation loslassen kann, muss man es erst einmal entwickelt haben. Ebenso kann man Gefühle erst dann loslassen, wenn man sie zugelassen hat. Die Meditation, obwohl sie auch therapeutisch wirkt, ist also kein Therapieersatz. Man würde zudem die Meditation verzwecken, für die jedoch ein absichtsloses Dasein in der Gegenwart Gottes kennzeichnend ist. Therapien können den Zugang zum meditativen Weg ebnen, falls er sonst verschlossen bliebe. Bei mangelndem Realitätssinn, fehlender Selbstdistanz oder bei schweren, nicht therapeutisch aufgearbeiteten Traumatisierungen ist von dieser Form der Meditation abzuraten, ebenso wenn eine akute Krise vorliegt. Hier ist menschliche Zuwendung vonnöten und professionelle psychologische Unterstützung zu empfehlen. Die langen Zeiten der Stille und das „Auf-sich-selbst-zurückgeworfen-Sein“ könnten dazu führen, dass sich schwierige innere Zustände sogar noch verstärken.
II.Meditationspraxis
Das Einfache verwahrt das Rätsel des Bleibenden und des Großen. Unvermittelt kehrt es bei den Menschen ein und braucht doch ein langes Gedeihen. Im Unscheinbaren des immer Selben verbirgt es seinen Segen.8
(Martin Heidegger)
Im Laufe der Geschichte haben große Heilige, Mystiker und Mystikerinnen in der konkreten Meditationspraxis, wie bereits erwähnt, oft unterschiedliche Gesichtspunkte hervorgehoben und mitunter recht unterschiedliche Anweisungen gegeben. Dies bedeutet, dass es nicht die Praxis bzw. nicht nur eine Praxis der christlichen Meditation gibt. Große Unterschiede lassen sich bereits in der äußeren Form finden. Die Meditation während des Gehens, wie sie in den „Aufrichtigen Erzählungen eines russischen Pilgers“ beschrieben wird, ist zum Beispiel eine Form, die in unserem Kulturkreis wenig bekannt ist. Franz Jalics lehrt das Jesusgebet in Verbindung mit der Wahrnehmung der Hände und des Atems. Es ist die Meditationsweise, die ich seit vielen Jahren praktiziere und auf die ich mich in diesem Buch beziehe.
1.Die äußeren Gegebenheiten
Die christliche Spiritualität kennt neben der Meditation ein breites Spektrum von Gebetsformen: das vorformulierte, das betrachtende, das reflektierende, das spontane, das affektive Gebet oder den Rosenkranz. Da das Gebetsleben, d. h. die Beziehung zu Gott, nichts Statisches ist, sondern sich entfaltet wie das Leben selbst, ist jede dieser Gebetsformen, zur rechten Zeit gepflegt, wertvoll und hilfreich.
Um die Meditation in den Alltag zu integrieren, ist es hilfreich, bestimmte äußere Gegebenheiten zu berücksichtigen. Der zeitliche Freiraum, der für die Meditation notwendig ist, hängt von der jeweiligen Arbeits- und Lebenssituation ab. Einem Rentner stehen andere zeitliche Möglichkeiten zur Verfügung als einem Manager, der noch voll im Berufsleben steht, oder einer Mutter in der Familienphase. Die Meditationszeit sollte auf jeden Fall geschützt sein. Dies bedeutet z. B., dass das Handy ausgeschaltet wird und die Menschen, mit denen man zusammenlebt, um diese stille Gebetszeit wissen. Der Raum sollte nach Möglichkeit ruhig und gut gelüftet sein. Wenn es die räumliche Situation zulässt, ist es vorteilhaft, bei sich zuhause eine Meditationsecke einzurichten. Von ihr kann stets eine stille Einladung für das Gebet ausgehen.
Die gewählte Sitzweise ist für den Meditierenden nicht ohne Bedeutung. Wie bereits den Mönchsvätern bekannt war, besteht eine wechselseitige Einwirkung von Körperhaltung und geistiger Haltung. So unterstützt ein entspannt aufgerichteter Oberkörper das aufmerksame Dasein. Dies ist auch im Alltag gut zu beobachten. Bei einem Gespräch, bei dem man mit Interesse dabei ist, richtet man z. B. den Oberkörper fast automatisch auf und signalisiert dadurch seinem Gegenüber: „Ich bin jetzt ganz Ohr“, „Ich bin jetzt ganz bei dir und aufnahmebereit“. Beim Fernsehen ist weder eine wache Aufmerksamkeit noch ein aufgerichteter Oberkörper notwendig. Der Fernseher läuft und läuft, ob man nun sein Interesse auf ihn richtet oder nicht und ungeachtet der eingenommenen Sitzposition.
Die entspannt aufrechte Körperhaltung ist auf einem Stuhl, einem Meditationshocker, einem Sitzkissen oder auf zusammengefalteten Decken möglich. Manche meinen, man müsse bei der Meditation unbedingt knien oder gar einen Lotussitz einnehmen. Dies sind Äußerlichkeiten. Bei der Meditation kommt es auf die innere Haltung an. Aus diesem Grund sind alle Sitzweisen gleich gut. Sie sollten der körperlichen Konstitution entsprechen und es ermöglichen, während der Meditation aufrecht, ruhig und gesammelt zu bleiben. Ein unbequemer Sitz und eine gekrümmte Körperhaltung führen leicht zu Verspannungen. Bei gesundheitlichen Einschränkungen ist es natürlich sehr wohl möglich, dass man den Oberkörper anlehnt. Man kann auch eine liegende Position einnehmen. Einem gesunden Menschen ist diese Position aber nicht zu empfehlen, da man leicht in ein Dösen abgleitet. Bei allen Sitzweisen ist darauf zu achten, dass der Kopf natürlich aufgerichtet ist, weder zur Seite noch nach vorne oder nach hinten geneigt ist. Bei mehreren Meditationseinheiten hintereinander empfiehlt es sich, die Sitzpositionen zu wechseln.
In der Regel schließt man während der Meditation die Augen. Sie können jedoch ebenso geöffnet bleiben. Der Blick ruht dann aber auf einem Punkt am Boden, ohne diesen zu fixieren. Um einem Dösen oder Träumen vorzubeugen, empfehlen die Mönchsväter, mit geschlossenem Mund zu meditieren. Des Weiteren empfehlen sie, dass zur Stunde des Gebets das Essen schon verdaut sein sollte. Diese praktischen Hinweise unterstützen das wache Dasein – damals wie heute.
2.Die Wahrnehmung der Hände 9
Es gibt Meditationsweisen, bei denen man ausschließlich auf den Atem achtet und beobachtet, wie dieser kommt und geht. Die Mönchsväter raten vor allem, die Aufmerksamkeit auf das Herzzentrum zu richten. Franz Jalics empfiehlt die Wahrnehmung der Hände. Nur eines wahrzunehmen, dabei zu verweilen, ohne sich im Vielerlei aufzuhalten, führt den Menschen zum Einklang mit sich selbst. Der eingegrenzte Wahrnehmungsbereich unterstützt die Geistesgegenwärtigkeit und die innere Sammlung und führt in die Tiefe. Es wäre jedoch ein Missverständnis anzunehmen, dass die Körperwahrnehmung selbst das Gebet hervorbringt oder religiöse Erlebnisse erzeugt. Dies ist nicht der Fall. Sie ist allerdings ein körperlicher Prüfstein, durch den unmittelbar und klar erkennbar ist, wo man mit seiner Aufmerksamkeit ist: Entweder ist man im Hier und Jetzt durch die konkrete Wahrnehmung des Atems oder der Hände der Realität zugewandt oder aber man ist mit seiner Aufmerksamkeit bei seinen Gedanken, Phantasien oder Tagträumen und kreist somit um sich selbst. Dieses Unterscheidungskriterium ist einfach, objektiv und ermöglicht jederzeit eine klare Orientierung. Sie bewahrt den Meditierenden vor Selbsttäuschungen.
Die Haltung der Hände kann sehr unterschiedlich sein: ineinandergelegt oder gefaltet. Die Aufmerksamkeit wird dabei auf die Mitte der Handinnenflächen gelenkt. Sie sind besondere Körperstellen, durch die viel Energie fließt. Auch eine offene Handhaltung ist möglich. Wenn man sehr zerstreut ist, kann sie helfen, in die Sammlung zu finden. Man kann die Hände auch mit einem gewissen Abstand zueinander bis fast auf Schulterhöhe hochheben und seine Aufmerksamkeit auf den Zwischenraum richten. Bei dieser Haltung werden die Arme nach einer Zeit schwer. Man legt die Hände dann entweder zusammen oder mit Abstand auf die Knie oder in den Schoß ab. Wesentlich bei dieser offenen Handhaltung ist, dass die Handinnenflächen einander zugewandt sind. Bei Ablenkungen und Zerstreuungen wendet man sich mit seiner Aufmerksamkeit stets aufs Neue den Händen zu. Diese beständige Hinwendung СКАЧАТЬ