Französische Sprachwissenschaft. Elissa Pustka
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Название: Französische Sprachwissenschaft

Автор: Elissa Pustka

Издательство: Bookwire

Жанр: Документальная литература

Серия: narr studienbücher

isbn: 9783823303343

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СКАЧАТЬ [ʃɥi] <moi jveu bien kon srevoie> moi je veux bien qu’on se revoie [mwaʒvøbjɛ̃kɔ̃sʁəvwa] <lé zétud> les études [lezetyd]

      Tab. 1.6:

      Pseudo-phonetische ‘Transkription’ im langage texto (Beispiele aus FAIRON/KLEIN/PAUMIER 2006).

      Auf medialer Ebene imitiert der langage texto also einerseits in der Graphie die Phonie, andererseits besitzt er mit den Abkürzungen und Buchstabenwiederholungen, dem Rebus-Prinzip und den Emoticons bzw. Emojis auch ganz eigene Schreibstrategien.

      Graphisch realisierte Nähesprache

      Im langage texto finden wir außerdem zahlreiche Merkmale der konzeptionellen Nähesprache wieder (vgl. Kapitel 1.1.1): auf universeller Ebene Aneinanderreihungen von Hauptsätzen sowie Kontakt- und Gliederungssignale wie alors, bon ben und hein, auf einzelsprachlicher Ebene der Wegfall des ne der Negation (z. B. <G c pa> für je ne sais pas), die Verdoppelung des Subjekts (z. B. <moi jveu bien> für moi je veux bien) und die Form <t’> statt tu vor Vokal (z. B. <dis qd t libre à midi> für dis quand tu es libre à midi; Beispiele aus FAIRON/KLEIN/PAUMIER 2006).

      Aufgrund der raum-zeitlichen Distanz finden sich hier dagegen keine Deiktika. Häsitationen entsprechen realen zeitlichen Pausen, Selbstkorrekturen lassen sich in WhatsApp auch über das Löschen bereits abgeschickter, aber noch nicht gelesener Nachrichten realisieren – wie beim Schreiben anderer Texte am Computer – und für den Ausdruck von Emotionen gibt es die mediumsspezifischen Emoticons bzw. Emojis sowie Buchstabenwiederholungen und Großschreibungen (s. o.). Eine medienspezifische Besonderheit sind Autokorrekturen bei der Eingabe von Wörtern durch das Gerät, die manchmal auch entgegen der Absichten der Schreiber*innen zu Fehlern führen.

      Variation

      Die aufgelisteten Charakteristika des langage texto sollten nicht suggerieren, dass französische Textnachrichten immer und durchgehend auf diese Weise geschrieben werden. Korpora wie sms4science dokumentieren vielmehr, dass hier die Variation enorm ist. Insbesondere bestehen große Unterschiede zwischen den Schreiber*innen, wie die folgenden beiden Liebes-SMS zeigen:

      Putain mon amour je t aime trop j sui trop fou d toi c pa poss je ne voi k toi mon amour t la seule ke j aime je t aime+ke tt mon bébé d amour je t aime pour la vie (15-jähriger Junge; FAIRON/KLEIN/PAUMIER 2006: 63)

      Michel, je ne t’ai pas oublié, bien au contraire. Comment le pourrais-je ? Je suis folle de toi… Je n’ai pas eu l’opportunité d’envoyer un sms. Je suis prudente, je ne veux pas que Jm ait des doutes en me voyant lancer des sms en pleine nuit. Tu me manques bcp. Ta voix me manque. Je t’aime. (FAIRON/KLEIN/PAUMIER 2006: 56)

      Im Korpus finden sich in der Tat die meisten in den Massenmedien kolportierten SMS-Charakteristika in der Altersgruppe von 15 bis 25 Jahren. Es zeigt aber auch, dass language texto nicht mit Jugendsprache gleichzusetzen ist. Textnachrichten schreiben Menschen jeden Alters. Allerdings geht der SMS-Slang auch in die Jugendsprache ein, z. B. die Aussprache [o.ka.ɛl.ɛm] (OKLM) für au calme (s. o.). In Comics finden sich ebenfalls typische Ausdrücke des language texto wieder (mehr zur französischen Jugendsprache in Kapitel 10.2.2, mehr zur Comic-Sprache in Kapitel 1.1.3).

      Eine ungeahnte Vielfalt zeigt sich auch bei der näheren Betrachtung einzelner Wörter. So erscheint das Wort aujourd‘hui allein im belgischen sms4science-Subkorpus in insgesamt 40 Varianten: Am häufigsten sind <aujourd’hui> (191/654 Okkurrenzen), <ajd> (123 Okkurrenzen) und <auj> (118 Okkurrenzen). Dabei macht die Standard-Schreibung 29 % und die drei häufigsten Varianten gemeinsam bereits 67 % der Fälle aus. Seltenere Formen sind <aujourd hui> (ohne Apostroph), <aujourdhui> (zusammengeschrieben), <ojourdui> (mit pseudo-phonetischer ‘Transkription’ des <au> als <o>), die Abkürzung <oj> und die Form <ojrd8> fast ohne Vokale und mit Rebus sowie zahlreiche seltenere Kombinationen dieser Elemente. Durch die automatische Wortergänzung und Autokorrektur auf dem Smartphone hat diese Variation inzwischen allerdings wieder abgenommen.

      WhatsApp: von der SMS zum Chat

      Der technische Wandel hat schließlich zu einer Zunahme der Dialogizität geführt, wie der folgende drei Minuten andauernde Chatverlauf zwischen zwei jungen Männern aus dem Korpus What‘s up, Switzerland? zeigt.

       WhatsApp -Chatverlauf (2014)

       À vous !

      Notieren Sie alle Merkmale des langage texto im WhatsApp-Chatverlauf im Kasten!

      1.1.3 Inszenierte Mündlichkeit

      Die französische Nähesprache begegnet einem nicht nur im Alltagsgespräch und im texto, sondern auch in der Kunst: Literatur, Theater, Comic, Film, Fernsehen, Hörspiel und Musik imitieren und inszenieren gesprochene Sprache. Von authentischer Mündlichkeit ist diese sogenannte fingierte – d. h. vorgetäuschte bzw. erdichtete – Mündlichkeit aber weit entfernt:

      Wenn Merkmale, die üblicherweise oder gelegentlich der Mündlichkeit zugeordnet werden, in Literatur auftauchen, dann verweisen sie gleichermaßen auf Mündlichkeit und Schriftlichkeit: Mündlichkeit in geschriebenen Texten ist nie mehr sie selbst, sondern stets fingiert und damit eine Komponente des Schreibstils und oft auch der bewußten Schreibstrategie des jeweiligen Autors. (GOETSCH 1985: 203)

      So nehmen Leser*innen und Hörer*innen beispielsweise den Wegfall des ne der Negation oder die Verdoppelung der Pronomina in moi je als mündlich wahr – auch wenn diese Phänomene graphisch realisiert sind oder zumindest schriftlich vorbereitet wurden, etwa bei Theaterstücken und Drehbüchern.

      Authentizität

      Die naheliegendste Funktion fingierter Mündlichkeit ist die „Herstellung der Illusion einer Sprache der Nähe“ (GOETSCH 1985: 217). Die Nähesprache soll Authentizität transportieren, Lebendigkeit erzeugen und damit die Leser*innen tiefer in die Geschichte eintauchen lassen. Dieses Ziel war in der Epoche des Naturalismus besonders wichtig. Der französische Schriftsteller Émile Zola untersuchte sogar selbst die Sprache des Arbeitermilieus, bevor er diese in seinen Roman L’Assommoir (1877) einfließen ließ. Hierfür wurde er seiner Zeit heftig kritisiert. Im Vorwort des Buchs verteidigt er sich:

      On s’est fâché contre les mots. Mon crime est d’avoir eu la langue du peuple. (…) ma volonté était de faire un travail purement philologique, que je crois d’un vif intérêt historique et social. (…) C’est une œuvre de vérité, le premier roman sur le peuple, qui ne mente pas et qui ait l’odeur du peuple. (ZOLA [1877] 1996: 47)

      Während der Schriftsteller seinen Figuren – bzw. einigen davon an einigen Stellen СКАЧАТЬ