C'est la vie. Christina Geiselhart
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Название: C'est la vie

Автор: Christina Geiselhart

Издательство: Bookwire

Жанр: Сделай Сам

Серия:

isbn: 9783748567431

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СКАЧАТЬ Sie brachte ihn noch mehr auf. »Mein Sohn, mein Sohn! Ja, ja, aber irgendwann lag ich nicht mehr in der Wiege und sollte ein eigenständiger Mensch werden, was mir nie gelungen ist, weil sie mir meinen Lebensweg vorgeschrieben haben.«

      »Ach was! Du hattest doch einen Kopf und einen Mund, um dich zur Wehr zu setzen. Du bist nichts weiter als ein Idiot. Wenn du noch ein bisschen Grips im Schädel hast, dann geh aufs Rathaus, weise dich als der Sohn von Hanna und Bernd Pross aus, damit du wenigstens ans Erbe kommst. Mit dem, was vom Hausverkauf übriggeblieben ist, kannst du dir vielleicht das Leben aufbauen, von dem du immer geträumt hast.« Erbost über sein egoistisches Betragen stand Magda rasch auf und strebte zum Schalter.

      Müde beobachtete Eberhard, wie sie ein Ticket kaufte, ohne sich nach ihm umzudrehen, zu den Gleisen hinausging und aus seinem Blickfeld verschwand.

      Er sank zurück auf die Bank. Irgendetwas war anders als vor einer Stunde. Er hatte das Gefühl, dass sich seine trägen Arme und Beine mit frischem Blut füllten. Unwillkürlich griff er in die Innentasche seiner abgegriffenen Jacke. Natürlich, da war sein Pass. Da steckte seine formale Identität. Sollte er nicht auf Magdas Ratschlag hören? So wie er aussah, würde ihm keiner glauben, aber dem Pass würden sie glauben. Und vielleicht könnte er doch noch in ein richtiges Leben starten.

       Fin

      Erika und Renate

      Erika und Renate waren beide zehn Jahre und einige Monate alt, als sie der Klassenlehrer nebeneinandersetzte. Die blasse, schüchterne Renate kam aus der Großstadt, trug einen karierten Rock, das dazu passende Jäckchen und Stadtschuhe. Ihre Wimpern waren fast unsichtbar, ihre Lippen farblos, ihre Augen von einem wässrigen Blau. Sie redete wenig, lachte aber oft und über jede Belanglosigkeit. Daran störten sich ihre Kameradinnen und wandten sich ab, denn zu alledem trug Renate eine Zahnspange und riss ihren Mund beim Lachen weit auf. Ihr Haarschnitt sah aus, als hätte sie ihn selbst zurechtgeschnipselt. Ungleich und strähnig. Und oft schüttelte sie ihr dünnes Haar nach allen Himmelsrichtungen. Es fiel ihr schwer, Freundschaften zu schließen, weshalb sie froh über Erika war, die sich rührend um sie kümmerte.

      Wie die meisten Mädchen ihrer Klasse trug Erika ihr Haar sorgfältig zu einem Zopf geflochten. Hin und wieder konnten es zwei Zöpfe sein und löste sie diese dann auf, fiel ihr Haar wunderschön gelockt bis zur Taille. In solchen Momenten kämpfte Renate mit ihrem Neid. Denn sie wollte keinesfalls neidisch sein. Sie hätte Erika ja um fast alles beneiden müssen. Erikas Haut war immer leicht gebräunt, ihre Augen strahlend blau, ihr Gesicht herzförmig, ihre Zähne gleichmäßig. Bald wurde sie zur guten Freundin und besuchte Renate jeden Tag im alten Haus am Ende der Kleinstadt, in das ihre Eltern in den ersten Monaten des Jahres 1982 gezogen waren.

      Renates Eltern waren stille Menschen. Seit ihrem Umzug führten sie die Buchhandlung und das Schreibwarengeschäft im Ort. Sie verkauften Zeitschriften, Schreibutensilien, empfahlen Bücher, beschränkten sich dabei aber auf das dafür notwendige Vokabular. Sofort nach Ladenschluss eilten sie nach Hause, jeder in sein Zimmer, und verkrochen sich hinter Büchern und Schriften. Renates Mutter, Frau Groß, besorgte ihre Einkäufe in den Morgenstunden, während ihr Mann schon im Laden stand.

      Frau Groß hatte wenig von einer Großstädterin, obwohl sie in Bonn aufgewachsen war. Sie trug das schwere dunkle Haar mit einer kräftigen Spange im Nacken gebunden, stets Kostüme in unterschiedlichen blassen Farben, flache Schuhe, einen goldenen Ehering und winzige Perlohrringe. Eine flüchtige Ähnlichkeit mit Simone Veil war zu erkennen. Dies war Absicht. Frau Emilie Groß verehrte Simone Veil, auch ihr Gatte, ein bebrillter schüchterner Mann mit hellen dünnen Haaren, war voller Bewunderung für die französische Politikerin. Die Eheleute verehrten auch Marthe Argerich, die geniale Pianistin, sowie Frida Kahlo und Simone de Beauvoir. Und insgeheim beneideten sie diese Künstler um ihren Ruhm und hätten es gerne nur annähernd so weit gebracht. Vermutlich mangelte es ihnen an Talent, vielleicht auch an Durchhaltevermögen, Gelegenheit oder Glück. Jedenfalls begnügten sie sich schließlich damit, in diese Welten zu flüchten, statt ihre Träume zu verwirklichen.

      In Bonn hatten sie ein Musikgeschäft betrieben, das Partituren, kleine Instrumente und CDs anbot. Leider lief das Geschäft zunehmend schlecht. CDs verkauften sich noch gut, allerdings waren Partituren und kleine Instrumente nicht mehr gefragt. Das Ehepaar konnte kaum noch die Miete aufbringen, da starb überraschenderweise Herrn Groß’ Vater und vererbte dem Sohn sein Häuschen in Steinnach. Wenig später segnete auch der dortige Buch- und Schreibwarenhändler das Zeitliche und da dieser keine Nachkommen hatte, fackelte das Ehepaar nicht lange, nahm einen Kredit auf, was zur damaligen Zeit noch mit weniger Unannehmlichkeiten verbunden war, und kaufte den Laden. In kurzer Zeit bewährte sich ihre Schreibwarenhandlung und gewann durch den Verkauf und die kompetente Empfehlung interessanter Bücher an Ansehen.

      Darüber vergaßen Herr und Frau Groß allerdings nicht ihre Träume. Und eine Verwirklichung derselben rückte dank der kleinen Tochter Renate in greifbare Nähe. In Bonn hatten sie Renate schon mit Tanz- und Klavierunterricht konfrontiert. Anfangs fand Renate an den Übungen an der Stange noch Gefallen - sie war damals sechs –, doch bald störten sie die Strenge der Lehrerin, das ständige Zurechtrücken ihrer Gliedmaßen, der missbilligende Ausdruck im Gesicht der älteren Tänzerin, wenn sie Renate musterte.

      »Du wirst immer größer. Man könnte meinen, du wächst jeden Tag fünf Zentimeter.«

      Es stellte sich heraus, dass Renate für eine Weiterbildung im Tanz zu dünn und zu lang war. Große Mädchen avancierten nicht zu Spitzentänzerinnen. Sie landeten in Nachtclubs oder Varietétheatern, erfuhr Frau Groß. Davon wollte sie natürlich nichts wissen und fokussierte Renate auf das Klavier. Renate spielte gern und übte täglich, was in Mutter Emilie die Hoffnung nährte, eine geniale Pianistin heranzuziehen. Nach ihrem Umzug erkundigte sie sich dann auch sofort am Konservatorium Stuttgart nach dem besten Lehrer und ließ ihn einmal wöchentlich kommen. Der tat es gern, denn Familie Groß besaß aus der Erbschaft des alten Groß ein Steinway Piano.

      »Renate hat mit vier Jahren angefangen, sie kann es noch zu etwas bringen!«, empfing sie den Lehrer.

      »Es ist löblich, früh anzufangen und auch daran Spaß zu haben. Aber Übung macht den Meister. Zehn Prozent Talent und neunzig Prozent Schweiß, sagen die Kenner und Könner.«

      Daran soll es nicht scheitern, dachte Frau Groß und vergaß in ihrer Vorfreude vollkommen die liebe Freundin Erika.

      Im ersten halben Jahr in Steinnach übte Renate fleißig täglich zwei bis drei Stunden am Klavier. Sie war strebsam, wollte hoch hinaus, hatte aber bald genug von Sonatinen, Sonaten, Etüden und orientierte sich an Konzerten. Das gefiel ihrem Lehrer. Bald brachte er Chopins Nocturne Nummer 20 in cis-moll, bald das Andante des Impromptu Opus 90 von Schubert, dann Beethovens Mondscheinsonate. Begeistert verfolgte er Renates Fortschritte und als sie nach einem Konzert von Chopin lechzte, entschied er sich für das Larghetto aus Chopins Klavierkonzert Nummer 2. Als größte Schwierigkeit erschienen ihm die Triller, die sollte Renate täglich viele Male trainieren.

      Das Mädchen spielte vielversprechend, der Lehrer nickte anerkennend, Frau Groß frohlockte, doch niemand rechnete mit Erika.

      Ab dem Sommer des Jahres 1983 besuchte Erika ihre Schulkameradin Renate einmal die Woche, nach den Sommerferien kam sie schon zweimal. Vom Spätherbst an bis nach Weihnachten allerdings machte sie sich rar, um dann ganz plötzlich im Frühjahr 1984 jeden Tag zu erscheinen. Sie kam immer dann, wenn Renate mit ihren Übungen angefangen hatte. Sie hatte zu Mittag gegessen, ihre Schulaufgaben gemacht, sich sorgfältig die Hände gewaschen und sich an den Steinway gesetzt.

      Nach fünfzehnminütiger Übungszeit klingelte Erika. Frau Groß ging an die Tür, schaute erbost und schickte die Freundin ohne Begründung fort. Wenig später, Frau Groß war mittlerweile zur Arbeit geeilt, klingelte Erika erneut.

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