Radetzkymarsch. Йозеф Рот
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Название: Radetzkymarsch

Автор: Йозеф Рот

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

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isbn: 9783750207332

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СКАЧАТЬ um seine langen Beine lagen und von Stegen um die glatten Zugstiefel straff gespannt wurden. Zwischen dem zweiten und dritten Gang pflegte er aufzustehen, um sich »Bewegung zu machen«. Aber es war eher, als wollte er seinen Hausgenossen vorführen, wie man sich erhebt, steht und wandelt, ohne die Reglosigkeit aufzugeben. Jacques räumte das Fleisch ab und fing einen hurtigen Blick von Fräulein Hirschwitz auf, der ihn ermahnte, den Rest für sie aufwärmen zu lassen. Herr von Trotta ging mit gemessenen Schritten zum Fenster, lüftete ein wenig die Gardine und kehrte an den Tisch zurück. In diesem Augenblick erschienen die Kirschknödel auf einem geräumigen Teller. Der Bezirkshauptmann nahm nur einen, zerschnitt ihn mit dem Löffel und sagte zu Fräulein Hirschwitz: »Das, meine Gnädigste, ist ein Muster von einem Kirschknödel. Er besitzt die nötige Konsistenz, wenn er aufgeschnitten wird, und gibt auf der Zunge dennoch sofort nach.« Und zu Carl Joseph gewendet: »Ich rate dir, heute zwei zu nehmen!« Carl Joseph nahm zwei. Er verschlang sie im Nu, war eine Sekunde früher fertig als sein Vater und trank ein Glas Wasser nach – denn Wein gab es nur am Abend –, um sie aus der Speiseröhre, in der sie noch stecken mochten, in den Magen hinunterzuspülen. Er faltete, im gleichen Rhythmus wie der Alte, seine Serviette. Man erhob sich. Die Musik spielte draußen die Tannhäuser-Ouvertüre. Unter ihren sonoren Klängen schritt man ins Herrenzimmer, Fräulein Hirschwitz voran. Dorthin brachte Jacques den Kaffee. Man erwartete den Herrn Kapellmeister Nechwal. Er kam, während sich seine Musikanten unten zum Abmarsch formierten, im dunkelblauen Paraderock, mit glänzendem Degen und zwei funkelnden, goldenen, kleinen Harfen am Kragen. »Ich bin entzückt von Ihrem Konzert«, sagte Herr von Trotta heute wie jeden Sonntag. »Es war heute ganz außerordentlich.« Herr Nechwal verbeugte sich. Er hatte schon vor einer Stunde in der Offiziersmesse gegessen, den schwarzen Kaffee nicht abwarten können, er hatte noch den Geschmack der Speisen im Mund, er dürstete nach einer Virginier. Jacques brachte ihm ein Paket Zigarren. Der Kapellmeister sog lange am Feuer, das Carl Joseph standhaft vor die Mündung der langen Zigarre hielt, auf die Gefahr hin, daß seine Finger verbrannten. Man saß in breiten Lederstühlen. Herr Nechwal erzählte von der letzten Lehár-Operette in Wien. Er war ein Weltmann, der Kapellmeister. Er kam zweimal im Monat nach Wien, und Carl Joseph ahnte, daß der Musiker auf dem Grunde seiner Seele viele Geheimnisse aus der großen nächtlichen Halbwelt barg. Er hatte drei Kinder und eine Frau »aus einfachen Verhältnissen«, aber er selbst stand im vollsten Glanz der Welt, losgelöst von den Seinen. Er genoß und erzählte jüdische Witze mit pfiffigem Behagen. Der Bezirkshauptmann verstand sie nicht, lachte auch nicht, sagte aber: »Sehr gut, sehr gut!« »Wie geht es Ihrer Frau Gemahlin?«, fragte Herr von Trotta regelmäßig. Seit Jahren stellte er diese Frage. Er hatte Frau Nechwal nie gesehen, er wünschte auch nicht, der »Frau aus einfachen Verhältnissen« jemals zu begegnen. Beim Abschied sagte er immer zu Herrn Nechwal: »Empfehlen Sie mich Ihrer Frau Gemahlin, unbekannterweise!« Und Herr Nechwal versprach, die Grüße auszurichten, und versicherte, daß sich seine Frau sehr freuen würde. – »Und wie geht es Ihren Kindern?«, fragte Herr von Trotta, der immer wieder vergaß, ob es Söhne oder Töchter waren. »Der Älteste lernt gut!«, sagte der Kapellmeister. »Wird wohl auch Musiker?«, fragte Herr von Trotta mit leiser Geringschätzung. »Nein!«, erwiderte Herr Nechwal, »noch ein Jahr, und er kommt in die Kadettenschule.« »Ah, Offizier!«, sagte der Bezirkshauptmann. »Das ist richtig. Infanterie?« Herr Nechwal lächelte: »Natürlich! Er ist tüchtig. Vielleicht kommt er einmal in den Stab.« »Gewiß, gewiß!«, sagte der Bezirkshauptmann. »Man hat derlei schon erlebt!« Eine Woche später hatte er alles vergessen. Man merkte sich nicht die Kinder des Kapellmeisters.

      Herr Nechwal trank zwei kleine Tassen Kaffee, nicht mehr, nicht weniger. Mit Bedauern zerdrückte er das letzte Drittel der Virginier. Er mußte gehen, man schied nicht mit rauchender Zigarre. »Es war heute ganz besonders großartig. Empfehlen Sie mich Ihrer Frau Gemahlin. Ich hatte leider noch nicht das Vergnügen!«, sagte Herr von Trotta und Sipolje. Carl Joseph schlug die Hacken zusammen. Er begleitete den Kapellmeister bis zum ersten Absatz der Treppe. Dann kehrte er ins Herrenzimmer zurück. Er stellte sich vor dem Vater auf und sagte: »Ich gehe spazieren, Papa!« »Recht, recht! Gute Erholung!«, sagte Herr von Trotta und winkte mit der Hand.

      Carl Joseph ging. Er gedachte, langsam spazierenzugehen, er wollte schlendern, seinen Füßen beweisen, daß sie Ferien hatten. Es riß ihn zusammen, wie man beim Militär sagte, als er dem ersten Soldaten begegnete. Er begann zu marschieren. Er erreichte die Stadtgrenze, das große gelbe Finanzamt, das gemächlich in der Sonne briet. Der süße Duft der Felder schlug ihm entgegen, der schmetternde Gesang der Lerchen. Den blauen Horizont begrenzten im Westen graublaue Hügel, die ersten dörflichen Hütten mit Schindel- und Strohdächern traten auf, Geflügelstimmen stießen wie Fanfaren in die sommerliche Stille. Das Land schlief, eingehüllt in Tag und Helligkeit.

      Hinter dem Bahndamm stand das Gendarmeriekommando, das ein Wachtmeister führte. Carl Joseph kannte ihn, den Wachtmeister Slama. Er beschloß anzuklopfen. Er betrat die brütende Veranda, klopfte, zog am Klingeldraht, niemand meldete sich. Ein Fenster ging auf. Frau Slama beugte sich über die Geranien und rief: »Wer dort?« Sie erblickte den kleinen Trotta und sagte: »Sofort!« Sie machte die Flurtür auf, es roch kühl und ein wenig nach Parfüm. Frau Slama hatte einen Tropfen Wohlgeruch auf das Kleid getupft. Carl Joseph dachte an die Wiener Nachtlokale. Er sagte: »Der Wachtmeister ist nicht da?« »Dienst hat er, Herr von Trotta!«, erwiderte die Frau. »Treten Sie nur ein!«

      Jetzt saß Carl Joseph im Salon der Slamas. Es war ein rötliches, niedriges Zimmer, sehr kühl, man saß wie in einem Eisschrank, die hohen Lehnen der gepolsterten Sessel bestanden aus braun gebeiztem Schnitzwerk und Blättergerank, das dem Rücken weh tat. Frau Slama holte kühle Limonaden, sie trank zierliche Schlückchen, hielt den kleinen Finger gespreizt und ein Bein übers andere geschlagen. Sie saß neben Carl Joseph und ihm zugewandt und wippte mit einem Fuß, der in einem rotsamtenen Pantoffel gefangen war, nackt, ohne Strumpf. Carl Joseph sah auf den Fuß, dann auf die Limonade. Frau Slama sah er nicht ins Gesicht. Seine Mütze lag auf den Knien, die Knie hielt er steif, aufrecht saß er vor der Limonade, als wäre es eine Dienstobliegenheit, sie zu trinken. »Waren lange nicht da, Herr von Trotta!«, sagte die Frau Wachtmeister. »Sind recht groß geworden! Schon vierzehn vorbei?« »Jawohl, schon lange!« Er dachte daran, möglichst schnell das Haus zu verlassen. Die Limonade mußte man in einem Zug austrinken und eine schöne Verbeugung machen und den Mann grüßen lassen und weggehen. Er sah hilflos auf die Limonade, man wurde nicht mit ihr fertig. Frau Slama schüttete nach. Sie brachte Zigaretten. Rauchen war verboten. Sie zündete selbst eine Zigarette an und sog an ihr, nachlässig, mit geblähten Nasenflügeln, und wippte mit dem Fuß. Plötzlich nahm sie, ohne ein Wort, die Mütze von seinen Knien und legte sie auf den Tisch. Dann steckte sie ihm ihre Zigarette in den Mund, ihre Hand duftete nach Rauch und Kölnisch Wasser, der helle Ärmel ihres sommerlich geblümten Kleides schimmerte vor seinen Augen. Er rauchte höflich die Zigarette weiter, an deren Mundstück noch die Feuchtigkeit ihrer Lippen lag, und sah auf die Limonade. Frau Slama steckte die Zigarette wieder zwischen die Zähne und stellte sich hinter Carl Joseph. Er hatte Angst, sich umzuwenden. Auf einmal lagen ihre beiden schimmernden Ärmel an seinem Hals, und ihr Gesicht lastete auf seinen Haaren. Er rührte sich nicht. Aber sein Herz klopfte laut, ein großer Sturm brach in ihm aus, krampfhaft zurückgehalten vom erstarrten Körper und den festen Knöpfen der Uniform. »Komm!«, flüsterte Frau Slama. Sie setzte sich auf seinen Schoß, küßte ihn flugs und machte schelmische Augen. Von ungefähr fiel ein blondes Büschel Haare in ihre Stirn, sie schielte hinauf und versuchte, es mit gespitzten Lippen wegzublasen. Er begann, ihr Gewicht auf seinen Beinen zu fühlen, gleichzeitig durchströmte ihn neue Kraft und spannte seine Muskeln im Schenkel und in den Armen. Er umschlang die Frau und fühlte die weiche Kühle ihrer Brust durch das harte Tuch der Uniform. Ein leises Kichern brach aus ihrer Kehle, es war ein wenig wie Schluchzen und etwas wie Trillern, Tränen standen in ihren Augen. Dann lehnte sie sich zurück und begann, mit zärtlicher Genauigkeit einen Knopf der Uniform nach dem andern zu lösen. Sie legte eine kühle, zarte Hand auf seine Brust, küßte seinen Mund lange, mit systematischem Genuß, und erhob sich plötzlich, als hätte sie irgendein Geräusch aufgeschreckt. Er sprang sofort auf, sie lächelte und zog ihn langsam, rückwärts schreitend, mit beiden ausgestreckten Händen und den Kopf zurückgeworfen, ein Leuchten im Gesicht, zur Tür, die sie von rückwärts mit dem Fuß aufstieß. Sie glitten ins Schlafzimmer. СКАЧАТЬ