Название: Radetzkymarsch
Автор: Йозеф Рот
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783750207332
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Sie landeten vor dem Volksgarten und tranken Kaffee. Weiß im dunkelgrünen Schatten leuchteten die runden Tische der Terrasse, auf den Tischtüchern blauten die Siphons. Wenn die Musik innehielt, hörte man den jubelnden Gesang der Vögel. Der Bezirkshauptmann hob den Kopf, und als zöge er Erinnerungen aus der Höhe, begann er: »Hier hab' ich einmal ein kleines Mädel kennengelernt. Wie lang wird's her sein?« Er verlor sich in stummen Berechnungen. Lange, lange Jahre schienen seit damals vergangen; es war Carl Joseph, als säße neben ihm nicht sein Vater, sondern ein Urahne. »Mizzi Schinagl hat's geheißen!«, sagte der Alte. In den dichten Kronen der Kastanien suchte er nach dem verschollenen Bildnis Fräulein Schinagls, als wäre sie ein Vögelchen gewesen. »Sie lebt noch?«, fragte Carl Joseph aus Höflichkeit und wie um einen Anhaltspunkt für die Abschätzung der verschwundenen Epochen zu gewinnen. »Hoffentlich! Zu meiner Zeit, weißt du, war man nicht sentimental. Man nahm Abschied von Mädchen und auch von Freunden ...« Er unterbrach sich plötzlich. Ein Fremder stand an ihrem Tisch, ein Mann mit Schlapphut und flatternder Krawatte, in einem grauen und sehr alten Cutaway mit schlaffen Schößen, dichtes, langes Haar im Nacken, das breite, graue Gesicht mangelhaft rasiert, auf den ersten Blick ein Maler, von jener übertriebenen Deutlichkeit der überlieferten künstlerischen Physiognomie, die unwirklich erscheint und ausgeschnitten aus alten Illustrationen. Der Fremde legte seine Mappe auf den Tisch und machte Anstalten, seine Werke anzubieten, mit dem hochmütigen Gleichmut, den ihm Armut und Sendung zu gleichen Teilen eingeben mochten. »Aber Moser!«, sagte Herr von Trotta. Der Maler rollte langsam die schweren Lider von seinen großen, hellen Augen empor, betrachtete ein paar Sekunden den Bezirkshauptmann, streckte die Hand aus und sagte: »Trotta!«
Im nächsten Augenblick schon hatte er die Bestürzung wie die Sanftheit abgelegt, schmetterte die Mappe hin, daß die Gläser zitterten, rief dreimal hintereinander: »Donnerwetter!«, so mächtig, als erzeugte er es wirklich, ließ den Blick triumphierend über die benachbarten Tische kreisen und schien Applaus von den Gästen zu erwarten, setzte sich, lüftete den Schlapphut und warf ihn auf den Kies neben den Stuhl, schob mit dem Ellbogen die Mappe vom Tisch, bezeichnete sie gelassen als »Dreck«, neigte den Kopf gegen den Leutnant vor, zog die Augenbrauen zusammen, lehnte sich wieder zurück und sagte: »Wie, Herr Statthalter, dein Herr Sohn?«
»Das ist mein Jugendfreund, der Herr Professor Moser!«, erklärte der Bezirkshauptmann.
»Donnerwetter, Herr Statthalter!«, wiederholte Moser. Er faßte gleichzeitig nach dem Frack eines Kellners, erhob sich und flüsterte eine Bestellung wie ein Geheimnis, setzte sich und schwieg, die Augen in jene Richtung gewendet, aus der die Kellner mit den Getränken kommen mußten. Schließlich stand ein Sodawasserglas vor ihm, halbgefüllt mit wasserklarem Sliwowitz; er führte es vor geblähter Nase ein paarmal hin und her, setzte mit einer mächtigen Armbewegung an, als gälte es, einen schweren Humpen auf einen Zug zu leeren, nippte schließlich nur ein wenig und sammelte dann mit vorgestreckter Zungenspitze die Tropfen von den Lippen ab.
»Du bist zwei Wochen hier und besuchst mich nicht!«, begann er mit der forschenden Strenge eines Vorgesetzten.
»Lieber Moser«, sagte Herr von Trotta, »ich bin gestern gekommen und fahre morgen wieder zurück.«
Der Maler sah lange in das Gesicht des Bezirkshauptmanns. Dann setzte er das Glas wieder an und trank es ohne Aufenthalt leer wie Wasser. Als er es hinstellen wollte, traf er nicht mehr die Untertasse und ließ es sich von Carl Joseph aus der Hand nehmen. »Danke!«, sagte der Maler, und mit ausgestrecktem Zeigefinger auf den Leutnant: »Außerordentlich, die Ähnlichkeit mit dem Helden von Solferino! Nur etwas weicher! Schwächliche Nase! Weicher Mund! Kann sich aber mit der Zeit ändern ...!«
»Professor Moser hat den Großvater gemalt!«, bemerkte der alte Trotta. Carl Joseph sah den Vater und den Maler an, und in seiner Erinnerung erstand das Porträt des Großvaters, verdämmernd unter dem Suffit des Herrenzimmers. Unfaßbar erschien ihm die Beziehung des Großvaters zu diesem Professor; die Vertrautheit des Vaters mit Moser erschreckte ihn, er sah die schmutzige, breite Hand des Fremden mit freundschaftlichem Schlag auf die gestreifte Hose des Bezirkshauptmanns niederfallen und den abwehrenden, sanften Rückzug des väterlichen Oberschenkels. Da saß nun der Alte, würdig wie sonst, zurückgelehnt und gleichsam abgehalten vom Alkoholgeruch, der gegen seine Brust und sein Angesicht gerichtet war, lächelte und ließ sich alles gefallen. »Solltest dich renovieren lassen«, sagte der Maler. »Schäbig bist du geworden! Dein Vater hat anders ausgesehn.«
Der Bezirkshauptmann strich seinen Backenbart und lächelte. »Ja, der alte Trotta!«, begann wieder der Maler.
»Zahlen!«, sagte plötzlich leise der Bezirkshauptmann. »Du entschuldigst, Moser, wir haben eine Verabredung.«
Der Maler blieb sitzen, Vater und Sohn verließen den Garten.
Der Bezirkshauptmann schob seinen Arm unter den des Sohnes. Zum erstenmal fühlte Carl Joseph den dürren Arm des Vaters an der Brust. Die väterliche Hand im dunkelgrauen Glacéhandschuh lag in leicht gekrümmter Zutraulichkeit auf dem blauen Ärmel der Uniform. Es war die gleiche Hand, die, hager und zürnend, umscheppert von der steifen Manschette, mahnen konnte und warnen, mit leisen und spitzen Fingern in Papieren blättern, die Schubladen mit grimmigem Ruck in ihre Fächer stieß, Schlüssel so entschieden abzog, daß man glauben konnte, die Schlösser seien für alle Ewigkeit versperrt. Es war die Hand, die mit lauernder Ungeduld auf die Tischkante trommelte, wenn es nicht nach dem Willen ihres Herrn ging, und an die Fensterscheibe, wenn im Zimmer irgendeine Verlegenheit entstanden war. Diese Hand hob den mageren Zeigefinger, wenn jemand im Haus etwas unterlassen hatte, ballte sich zur stummen, niemals aufschlagenden Faust, bettete sich zärtlich um die Stirn, nahm behutsam den Zwicker ab, bog sich leicht um das Weinglas, führte die schwarze Virginier liebkosend zum Mund. Es war die linke Hand des Vaters, dem Sohn seit langem vertraut. Und dennoch war es, als erführe er jetzt erst, daß es die Hand des Vaters war, die väterliche Hand. Carl Joseph verspürte das Verlangen, diese Hand an seine Brust zu drücken.
»Siehst du, der Moser!«, begann der Bezirkshauptmann, schwieg eine Weile, suchte nach einem gerecht abwägenden Wort und sagte endlich: »Aus dem hätte was werden können.«
»Ja, Papa!«
»Wie er das Bild vom Großvater gemacht hat, war er sechzehn Jahre alt. Waren wir beide sechzehn Jahre alt! Es war mein einziger Freund in der Klasse! Dann ist er in die Akademie gekommen. Der Schnaps hat ihn halt erwischt. Er ist trotzdem ...« Der Bezirkshauptmann schwieg und sagte erst nach ein paar Minuten: »Unter allen, die ich heut wiedergesehn hab', ist er trotzdem mein Freund!«
»Ja – Vater.«
Zum erstenmal sagte Joseph das Wort »Vater«! »Jawohl, Papa!«, verbesserte er sich schnell.
Es wurde dunkel. Der Abend fiel heftig in die Straße.
»Du frierst, Papa?«
»Keine Spur.«
Aber СКАЧАТЬ