Название: Radetzkymarsch
Автор: Йозеф Рот
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783750207332
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»Zigarren rauch' ich nicht!«, sagte der Maler.
Carl Joseph hielt einen Zigarettenkarton hin. Moser legte umständlich die Mappe vor die Füße, auf das Pflaster, füllte seine Schachtel, bat um Feuer, hielt beide Hände um das blaue Flämmchen. Seine Hände waren rot und klebrig, zu groß im Verhältnis zu ihren Gelenken, zitterten leise, erinnerten an sinnlose Werkzeuge. Seine Nägel waren wie kleine, flache, schwarze Spaten, mit denen er eben in Erde, Kot, farbigem Brei und flüssigem Nikotin geschaufelt hatte. »Wir sollen uns also nicht mehr wiedersehen«, sagte er und bückte sich nach der Mappe. Er stand auf, über seine Wangen rannen dicke Tränen. »Nie mehr wiedersehn«, schluchzte er. »Ich muß für einen Augenblick ins Zimmer«, sagte Carl Joseph und ging ins Hotel.
Er rannte die Stufen hinauf ins Zimmer, beugte sich aus dem Fenster, beobachtete ängstlich seinen Vater, sah, wie der Alte die Brieftasche zog, der Maler zwei Sekunden darauf mit verjüngten Kräften dem Bezirkshauptmann die schauerliche Hand auf die Schulter legte und hörte, wie Moser ausrief: »Also, Franz, am Dritten, wie gewöhnlich!«
Carl Joseph rannte wieder hinunter, es war ihm, als müßte er den Vater schützen; der Professor salutierte und trat zurück, ging, mit letztem Gruß, erhobenen Hauptes, mit nachtwandlerischer Sicherheit schnurgerade über die Fahrbahn und winkte vom gegenüberliegenden Bürgersteig noch einmal zurück, bevor er in einer Seitengasse verschwand.
Aber einen Augenblick später kam er wieder zum Vorschein, rief laut: »Einen Moment!«, daß es in der stillen Gasse widerhallte, setzte mit unwahrscheinlich sicheren und großen Sprüngen über die Fahrbahn und stand vor dem Hotel, so unbekümmert und gleichsam neu angekommen, als hätte er sich nicht erst vor ein paar Minuten verabschiedet. Und als sähe er jetzt zum erstenmal seinen Jugendfreund und dessen Sohn, begann er mit einer klagenden Stimme: »Wie traurig ist es, sich so wiederzusehn! Weißt du noch, wie wir nebeneinander in der dritten Bank gesessen sind? In Griechisch warst du schwach, ich habe dich immer abschreiben lassen. Wenn du wirklich ehrlich bist, sag's selbst, vor deinem Sprößling! Hab' ich dich nicht alles abschreiben lassen?« Und zu Carl Joseph: »Er war ein guter Kerl, aber ein Traumichnicht, Ihr Herr Vater! Auch zu den Mädeln ist er spät gegangen, ich hab' ihm Kurasch machen müssen, sonst hätt' er nie hingefunden. Sei gerecht, Trotta! Sag, daß ich dich hingeführt habe!«
Der Bezirkshauptmann schmunzelte und schwieg. Maler Moser machte Anstalten, einen längeren Vortrag zu beginnen. Er legte die Mappe auf das Pflaster, nahm den Hut ab, streckte einen Fuß vor und begann: »Wie ich zum erstenmal dem Alten begegnet bin, es war in den Ferien, du erinnerst dich doch.« Er unterbrach sich plötzlich und tastete mit hastigen Händen alle Taschen ab. Der Schweiß trat in dicken Perlen auf seine Stirn. »Ich hab's verloren!«, rief er aus und zitterte und wankte. »Ich habe das Geld verloren!«
Aus der Tür des Hotels trat in diesem Augenblick der Portier. Er grüßte den Bezirkshauptmann und den Leutnant mit einem heftigen Schwung der goldbetreßten Mütze und zeigte ein unwilliges Gesicht. Es sah aus, als könnte er im nächsten Augenblick dem Maler Moser Lärm und Aufenthalt und Beleidigung der Gäste vor dem Hotel verbieten wollen. Der alte Trotta griff in die Brusttasche, der Maler verstummte. »Kannst du mir aushelfen?«, fragte der Vater. Der Leutnant sagte: »Ich werde den Herrn Professor ein wenig begleiten. Auf Wiedersehn, Papa!« Der Bezirkshauptmann lüftete den Halbzylinder und ging ins Hotel. Der Leutnant gab dem Professor einen Schein und folgte dem Vater. Der Maler Moser hob die Mappe auf und entfernte sich mit gemessen wankender Würde.
Schon lag der tiefe Abend in den Straßen, und auch in der Halle des Hotels war es dunkel. Der Bezirkshauptmann saß, den Zimmerschlüssel in der Hand, den Halbzylinder und den Stock neben sich, ein Bestandteil der Dämmerung, im ledernen Sessel. Der Sohn blieb in achtungsvoller Entfernung von ihm stehen, als wollte er die Erledigung der Affäre Moser dienstlich melden. Noch waren die Lampen nicht entzündet. Aus dem dämmernden Schweigen kam die Stimme des Alten: »Wir fahren morgen nachmittag zwei Uhr fünfzehn.«
»Jawohl, Papa.«
»Es ist mir bei der Musik eingefallen, daß du den Kapellmeister Nechwal besuchen müßtest. Nach dem Besuch beim Wachtmeister Slama, versteht sich. Hast du noch was in Wien zu erledigen?«
»Die Hosen abholen lassen und die Zigarettendose.«
»Was sonst?«
»Nichts, Papa!«
»Du machst morgen vormittag noch deine Aufwartung bei deinem Onkel. Hast du offenbar vergessen. Wie oft bist du sein Gast gewesen?«
»Jedes Jahr zweimal, Papa!«
»Na also! Richtest einen Gruß von mir aus. Sagst, ich lass' mich entschuldigen. Wie sieht er übrigens aus, der gute Stransky?«
»Sehr gut, wie ich ihn zuletzt gesehen habe.«
Der Bezirkshauptmann griff nach seinem Stock und stützte die vorgestreckte Hand auf die silberne Krücke, wie er es gewohnt war, im Stehen zu tun, und als müßte man auch sitzend noch einen besonderen Halt haben, sobald von jenem Stransky die Rede war:
»Ich hab' ihn zuletzt vor neunzehn Jahren gesehn. Da war er noch Oberleutnant. Schon verliebt in diese Koppelmann. Unheilbar! Die Geschichte war recht fatal. Verliebt war er halt in eine Koppelmann.« Er sprach diesen Namen lauter als das übrige und mit einer deutlichen Zäsur zwischen den beiden Teilen. »Sie konnten die Kaution natürlich nicht aufbringen. Deine Mutter hätt' mich beinah dazu gebracht, die Hälfte herzugeben.«
»Er hat den Dienst quittiert?«
»Ja, das hat er. Und ist zur Nordbahn gekommen. Wie weit ist er heute? Bahnrat, glaub' ich, wie?«
»Jawohl, Papa!«
»Na also. Hat er nicht den Sohn Apotheker werden lassen?«
»Nein, Papa, der Alexander ist noch im Gymnasium.«
»So. Hinkt ein bißchen, hab' ich gehört, wie?«
»Er hat ein kürzeres Bein.«
»Na ja!«, schloß der Alte befriedigt, als hätte er schon vor neunzehn Jahren vorausgesehn, daß Alexander hinken würde.
Er erhob sich, die Lampen im Vestibül flammten auf und beleuchteten seine Blässe. »Ich will Geld holen«, sagte er. Er näherte sich der Treppe. »Ich hol's, Papa!«, sagte Carl Joseph. »Danke!«, sagte der Bezirkshauptmann.
»Ich empfehle dir«, sagte er dann, während sie die Mehlspeise aßen, »die Bacchussäle. Soll so eine neue Sache sein! Triffst dort vielleicht den Smekal.«
»Danke, Papa! Gute Nacht!«
Zwischen elf und zwölf vormittags besuchte Carl Joseph den Onkel Stransky. Der Bahnrat war noch im Büro, seine Frau, geborene Koppelmann, ließ den Bezirkshauptmann herzlich grüßen. Carl Joseph ging langsam über den Ringkorso ins Hotel. Er bog in die Tuchlauben ein, ließ die Hosen ins Hotel schicken, holte die Zigarettendose ab. Die Zigarettendose war kühl, man fühlte ihre Kühle durch die Tasche der dünnen Bluse an der Haut. Er dachte an den Kondolenzbesuch beim Wachtmeister Slama und faßte den Beschluß, keinesfalls das Zimmer zu betreten. Herzlichstes Beileid, Herr Slama! wird er sagen, auf der Veranda noch. Die Lerchen trillern unsichtbar im blauen Gewölbe. СКАЧАТЬ