Nächster Halt: Darjeeling-Hauptbahnhof. Christoph Kessel
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Название: Nächster Halt: Darjeeling-Hauptbahnhof

Автор: Christoph Kessel

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783745004892

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СКАЧАТЬ hat zwei Spitznamen. Der erste lautet »Cowboy State«. Diesen Namen hat sich Wyoming wirklich verdient, sieht es dort doch tatsächlich so aus wie in jedem Western. Trockensavanne, einsame Eisenbahnstrecken, Schneeberge im Hintergrund, pfeifender Wind und schlecht rasierte Typen. Den Namen »Equality State«{53} verdiente sich Wyoming, als es 1869 als erster Bundesstaat und vielleicht auch als erste Region weltweit den Frauen über 21 Jahre das Wahlrecht gab. Dies geschah allerdings nicht aus emanzipatorischen Gründen, sondern um Frauen in den Cowboystaat zu locken. Der Überschuss an Männern betrug damals sechs zu eins.

      Nachdem ich den ganzen Tag durch die Prärie getuckert war, kam ich abends in Utahs Hauptstadt Salt Lake City an. Der Name Utah geht auf die Ute-Bewohner zurück, die hier vor etwa 8.000 Jahren siedelten. Im 19. Jh. wurde Utah zur Heimat der Mormonen, einer christlichen Religionsgemeinschaft. Die Mormonen flohen vom heutigen Illinois nach Westen, da sie wegen ihrer Religion verfolgt wurden. Im Gebiet von Utah fanden sie eine neue Heimat. Nach sechs Versuchen, den USA beizutreten, wurde Utah beim siebten Versuch 1896 der 45. Staat der USA. Vor der Aufnahme in die Staatengemeinschaft musste die bei den Mormonen praktizierte Polygamie offiziell abgeschafft werden. Salt Lake City machte auf mich wie zuvor St. Louis einen verschlafenen Eindruck, der sich in mir durch die fehlende Straßenbeleuchtung noch verfestigte. Allerdings konnte ich im Dunkel von Salt Lake dadurch ungestört und seelenruhig ein Dosenbier ohne Verpackung auf der Straße genießen.

      Von Salt Lake City reiste ich durch die Staaten Utah, Idaho, Montana und Washington nach Vancouver in British Columbia. Der »Gem State«{54} Idaho ist wie Utah ein Wüstenstaat mit herrlichen Landschaften. Der Sonnenuntergang in dieser Region sah aus wie ein Bild des Surrealisten René Margritte: hell leuchtende Wolkenformationen vor schwarzer riesenhafter Bergkulisse. In Montana liegt die Quelle des Flusses Missouri und der Staat wird auch als »Big Sky Country«{55} bezeichnet. Leider fuhr ich fast ausnahmslos durch das nächtliche Montana und konnte lediglich den hell leuchtenden Vollmond bewundern. Am Ende dieser langen Busfahrt angelangt, musste leider feststellen, dass mein Rucksack nicht so weit gekommen war. Ob er in Butte, Montana, in Spokane,Washington, in Portland, Oregon, oder in Vancouver, Washington, lag? Ich wusste es nicht. Greyhound kannte dieses Problem bereits zur Genüge und versprach mir, dass er bald auftauchen würde. Wann dies geschehen würde? Das wusste ich ebenfalls nicht.

      Abschied von Freunden

      Etappe: Von Vancouver BC, Canada 49° Nord 123° West (GMT-7) nach Seattle WA, USA 48° Nord 122° West (GMT-7): 420 km – Total 22.782 km

      Seattle, 24. Oktober 2002

      Vor lauter Ärger mit Greyhound, wegen meines verlorengegangen Rucksacks, bemerkte ich erst später, dass ich mittlerweile den Pazifik erreicht habe, der mich von nun an lange auf meiner Reise begleiten wird.

      Es war schon ein komisches Gefühl in Vancouver, nun ohne großen Rucksack weiterzureisen, nachdem Greyhound mein Gepäck verschlampt hatte. Wenigstens konnte ich meine Reise fortsetzen, versprachen doch die Angestellten der Busgesellschaft, das Gepäck nach Vancouver Island nachzusenden, für den Fall, dass es gefunden würde. Dabei war eigentlich alles ganz einfach. In Butte, Montana, stieg ich in den Bus nach Seattle, Washington, das zugleich Endstation des Busses war. Warum jemand den Rucksack irgendwo dazwischen auslud, war mir wirklich unbegreiflich, schließlich befand sich ein Gepäckanhänger mit dem Ziel Vancouver, BC, via Seattle, WA, daran. Dieser Gepäckanhänger gab mir aber die Hoffnung, dass der Rucksack nicht für immer verschwunden war, da zumindest bei Fluggesellschaften die meisten Gepäckstücke früher oder später ihren Besitzer wiederfinden. Bei diesen bekommt man allerdings ein »Überlebenspäckchen« ausgehändigt, um sich seine Zähne zu putzen und sich rasieren zu können, damit man sich in der Zivilisation noch blicken lassen kann, ohne gleich als behaartes, stinkendes Etwas abgestempelt zu werden. Bei Greyhound bekam ich hingegen nur warme Beileidsbezeugungen nach dem Motto »We are so sorry«, zu Deutsch: Pech gehabt.

      Lediglich mit einem Tagesrucksack, neuer Zahnbürste und Deo »bewaffnet«, setzte ich von Vancouver nach Vancouver Island über, um Astrid, mit der ich in Neufundland getrampt war, zu besuchen. Da ich weder Schlafsack noch Matte mehr besaß, war unser Plan, eine Mehrtagestour zu unternehmen, völlig durchkreuzt. Auf Vancouver Island musste ich mir zunächst neue Unterwäsche zulegen, schließlich hatte ich keine Austauschklamotten mehr bei mir . Ich genoss die Tage auf Vancouver Island auch ohne Übernachtungen im Zelt, nasse Füße, Moortee und Wanderung durch die unberührte Natur. Stattdessen tranken wir den wirklich guten Kaffee in einem der vielen urgemütlichen »Coffeeshops« in Victoria, der Hauptstadt der Provinz British Columbia und das gute Bier, auf Vancouver Island gebraut, das nun endlich wieder nach Gerstensaft schmeckte. Das »Indian Pale Ale« hatte es mir besonders angetan. Der Name stammt von dem Ort, an dem es vor mehr als 150 Jahren bereits gezapft wurde. Die englischen Brauer stellten dieses Bier für die Kolonialisten in Indien her. Damit das Bier auf seiner weiten Fahrt von Kanada zum Subkontinent nicht verschimmelte, wurde es mit besonders viel Alkohol und Hopfen versehen. Das Resultat konnte sich wirklich sehen lassen. Es handelte sich nicht um das amerikanische Bier, das, wie es Alexander in Oklahoma ausdrückte, als so genanntes »Flavoured Water«{56} zu bezeichnen war.

      Statt eines Mehrtagesmarsches unternahmen wir Tagestouren auf kleinen Inseln am Meer entlang, sodass der Aufenthalt trotz des verschwundenen Rucksacks sehr angenehm war. Da wir dieses Mal selbst ein Auto besaßen, konnten wir uns auch einmal bei anderen Trampern revanchieren und nun diese mitnehmen, statt selbst mitgenommen zu werden. Dieses Auto, das wir von einem Freund von Astrid liehen, machte schließlich aber das Wochenende auch wieder zu einem besonderen Erlebnis, als es einfach seinen Geist kurz vor der Greyhound Fracht-Station aufgab, an der mein Rucksack mit drei Tagen Verspätung schließlich eingetroffen war. Nun durfte ich endlich einmal nach fast zehn Wochen Fahrt mit dem eigenen Auto unterwegs sein und plötzlich ging das gute Gefährt kaputt. Daher war ich auf Greyhound kaum noch sauer, da wenigstens deren Busse nicht kaputt gehen. Das Problem mit meinem Rucksack war gelöst, doch nun hatten Astrid und ich ein neues Problem: wie das Auto in die Werkstatt kriegen, denn eine ADAC-Karte war sicherlich nutzlos?

      Am nächsten Tag fuhren wir mit einem anderen Auto von Astrids Freundinnen wieder zu der Stelle, an welche wir das Auto am Tag zuvor in einer schweißtreibenden Aktion hingeschoben hatten. Wir waren beide überrascht, als es wieder ansprang, und so durfte ich zum ersten Mal auf dieser Reise selbst ein Transportmittel steuern. Doch es war leider nur ein kurzes Intermezzo, da die Karre natürlich auf dem Highway wieder verreckte. Astrid besorgte irgendwo ein Abschleppseil und so zuckelten wir hintereinander über den Highway der nächsten Werkstatt entgegen. Leider hatten wir beide keine Ahnung, dass das Abschleppen auf dem Highway in Kanada verboten war. Daher zeigte uns ein besonders »netter« Zeitgenosse bei der Polizei an, wie wir am nächsten Tag erfuhren. Aber es blieb nur bei einer Verwarnung an die Halter der beiden Autos, die wir gar nicht waren. Wir erfuhren es von Astrids Freundin, da sich die Polizei bei ihr als Halterin meldete.

      Am nächsten Tag nahm ich von Astrid und ihren Freundinnen Abschied. Es wurde langsam Herbst und mich zog es nach Süden. Andria aus Boston, die wegen des Greyhound-Missgeschickes ihren Transatlantik-Flug stornieren musste, schrieb mir, dass es in Boston bereits schneite. Es herrschte wunderschönes Wetter und die Überfahrt von Sidney in British Columbia nach Anacortes in Washington war traumhaft schön. Wie durch ein Labyrinth ging es an Dutzenden von kleinen, mit Nadelbäumen bewaldeten Inseln vorbei. Im Hintergrund thronten die Schneeberge des Küstengebirges, und die wärmende Herbstsonne lud zum Erholen auf der Terrasse der Fähre ein. Kleine Dörfer, Klippen, Felsen und Strände zogen wie in einem Film an mir vorbei, bis ich im »Evergreen State«{57} Washington ankam.

      Nicht nur die Fahne des Staates ist teilweise grün, sondern auch ein Großteil der Landschaft, die von Wäldern geprägt wird. Washington ist der nordwestlichste Bundesstaat der »48 States«.{58} Seine Nordgrenze zu Kanada ist der 49. Breitengrad, der zugleich die Grenze zwischen den USA und Kanada bis zum Oberen See rund 3.000 Kilometer weiter östlich bildet. Die künstliche Grenzziehung ist das Resultat eines Krieges. Der »Krieg von 1812« zwischen den USA und Kanada beziehungsweise England СКАЧАТЬ