Status Quo. Thorsten Reichert
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Название: Status Quo

Автор: Thorsten Reichert

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783847618287

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СКАЧАТЬ angegebenen Tags stand neben DDR, Doping, Bundesinnenministerium und einigen anderen auch Bubka. Daher also das „BKA“. Offenbar konnte die Suchsoftware nicht unterscheiden zwischen einem Tag und einer Buchstabenfolge innerhalb eines Tags. Sie gab „Bundesinnenministerium“ ein und erhielt mehr als 150.000 Treffer. Aus Spaß probierte sie noch einige andere Suchbegriffe und fand heraus, dass „deutsch“ und „bund“ mit gut 20 Millionen bzw. knapp 30 Millionen Treffern zu den wohl häufigsten Schlagwörtern in den Abhördokumenten gehörten. Erst jetzt machte sie sich langsam die gigantische Menge an Daten klar, die sie da vor sich hatte. Der Begriff Sisyphosarbeit brachte das nicht einmal ansatzweise zum Ausdruck. Sie hatte hier solch unfassbare Mengen an Daten vor sich, dass sich darin die Tagebücher Adolf Hitlers verbergen könnten, ohne je von ihr gefunden zu werden. Um sicher zu gehen, gab sie „Hitler“ ein und fand immerhin noch einige tausend Treffer. Ein rasches Überfliegen der Trefferliste legte nicht nahe, dass seine Tagebücher dabei waren. Sie gab „Hitler“ & „Tagebücher“ ein und erhielt diesmal nur noch 178 Treffer. Der nächste Versuch, „Hitler“ & „Tagebücher“ & „1983“ erzielte noch 86 Treffer, darunter Kopien der Stern-Artikel und der BKA-Stellungnahme vom 6. Mai 1983, in welcher die Tagebücher als Fälschung entlarvt worden waren. Sie erinnerte sich dunkel daran, dass dies in ihrer Ausbildung einmal Thema gewesen war, eine der glorreichsten Stunden ihres heutigen Arbeitgebers. Der letzte Treffer in der Liste war ein Tondokument, welches ein Telefonat zwischen Bundeskanzler Helmut Kohl und dem Chefredakteur des Sterns beinhaltete. Sie doppelklickte, und der Mediaplayer öffnete sich. Zu hören war allerdings nur extrem verzerrtes Rauschen. Sie zog das Dokument auf den Desktop und öffnete es mit einem Spezialprogramm, welches sie oft nutzten, um aus Abhörbändern Geräusche herauszufiltern oder die Abspielgeschwindigkeit zu manipulieren. Doch egal was sie versuchte, sie hörte nur ein Geräusch, das ihr Ohrenschmerzen bereitete. Der Pegel des Dezibelmessers schlug voll aus. Es sah so aus, als sei das Gespräch bewusst verzerrt worden, ähnlich wie etliche Textdokumente mithilfe der schwarzen Balken unbrauchbar gemacht worden waren. Sie musste schmunzeln, als sie sich vorstellte, dass der Herr Doktor Kohl bei diesem Anruf vermutlich nicht allzu gut gelaunt war und dass es deshalb vielleicht besser war, den Wortlaut nicht hören zu können.

      Eine halbe Stunde und ein paar Dutzend Bild- und Tondokumente später hatte Stefanie Wohlfahrt die Gewissheit, dass sich jemand bei der NSA ziemliche Mühe gegeben hatte, besonders interessante Dokumente oder Passagen unkenntlich zu machen. Die ganze Datenöffnungs-Geschichte war eine einzige, sinnlose Farce. An sechzehn Computern in allen Ecken Deutschlands saßen in diesem Moment LKA-Mitarbeiter und vergeudeten ebenso wie sie ihre Zeit mit dem ziellosen Eingeben von Tags und Suchbegriffen. Sie schloss den Windows Explorer, klemmte die USB-Festplatte ab und erstellte eine Rundmail an alle LKAs. Darin bat sie um Rückmeldung bis Ende der Woche, ob in den Akten kriminalistisch relevante Daten gefunden worden wären und bis wann eine Rücksendung der Festplatte absehbar sei. Sie las die Email noch zweimal durch, korrigierte einen Rechtschreibfehler, überlegte kurz, ob ihr Ton zu oberlehrerinnenhaft klang und fand, dass ihr das eigentlich ziemlich egal war, dann klickte sie auf „Senden“.

       LKA Schleswig-Holstein, Kiel, Montag 15.56 Uhr

      Martin Johannsen schreckte auf, als das Telefon klingelte. Seit Stunden war er in die Daten vertieft, die auf der Festplatte in zahllosen Ordner verteilt waren. Er hatte noch kein konkretes System erkennen können, aber das ziellose Herumklicken hatte ihm erstaunlich viel Vergnügen bereitet. Er wusste nun sehr persönliche Details über Erich Honecker, Franz-Josef Strauß oder Gerhard Schröder, hatte sich interne Memoranda des Bundesaußenministeriums aus den siebziger Jahren angesehen und Überwachungsfilme aus diversen Landesregierungen angesehen. Das laute, analoge Klingeln des alten Telefonapparates holte ihn in die Gegenwart zurück.

      „Johannsen?“

      „Hans-Gerhard hier. Sag mal, Martin, der Chef sagte mir, dass ich Deine Sachen für die nächsten zwei Wochen übernehmen soll, hat das mit der BKA-Sache zu tun?“

      „Ehrlich gesagt, es gibt da im Moment nicht viel zu übernehmen. Meine Leute arbeiten an kleineren Sachen, und das ziemlich selbstständig. Wichtig ist vor allem die Donnerstags- und Montagsrunde, da können wir uns vielleicht vorher zusammen setzen.“

      Er wollte nicht allzu viel über die NSA-Daten sprechen, schon gar nicht am Telefon, nachdem Furtwängler ihm so ins Gewissen geredet hatte.

      „Sag mal, was findet man denn so in den Abhördaten? Wusste der Kohl jetzt von den Schwarzgeldkonten oder nicht?“

      Der ironische Unterton war nicht zu überhören. Hans-Gerhard Leitner war ein durch und durch bodenständiger Mensch. Zwar war er genauso golfverrückt wie sein Chef Furtwängler, aber er machte sich nicht viel aus Geheimdiensten und Verschwörungstheorien. Nur was auf den Tisch kam, war auch relevant. Wenn sich herausstellen sollte, dass die Bundeskanzlerin in Wirklichkeit ein Transvestit sein sollte, dann würde er sagen: „Solange sie sich nicht im Bundestag auszieht, ist mir das sowas von egal.“ Diese Nüchternheit machte ihn zu einem hervorragenden Ermittler, kein Wunder, dass er in den letzten Jahren einige außerordentliche Fahndungserfolge errungen hatte und auf den Fluren des LKA als einer heißesten Kandidaten für die Furtwängler-Nachfolge galt. Für Martin Johannsen spielte das keine Rolle. Er kannte seinen Kollegen schon seit bald 20 Jahren und hatte mit ihm ein mehr als kollegiales Verhältnis. Ihre Jungs gingen in die gleiche Klasse, ihre Ehefrauen hatten sich seinerzeit im Schwangerschaftskurs kennen gelernt. Seitdem waren beide Familien freundschaftlich verbunden und hatten sogar schon ein paar Urlaube zusammen verbracht. Immer wenn Johannsen ihn brauchte, war Leitner da, um ihm den Rücken freizuhalten oder mit ihm einen besonders kniffligen Fall zu bearbeiten. Er kannte Johannsens Team sehr gut, daher war er für die Vertretung der nächsten zwei bis drei Wochen die naheliegende Wahl gewesen. Im Augenblick wollte sich Martin Johannsen ganz auf seine Aufgabe konzentrieren und selbst einen engen Vertrauten wie Leitner nicht zu tief in die Sache hinein ziehen.

      „Wir besprechen das am besten morgen oder Mittwoch mal in Ruhe, aber es sieht nicht so aus als würden diese Daten unser Weltbild im Innersten erschüttern.“

      „Viel Lärm um nichts, wie üblich.“

      Damit hatte er wohl den Nagel auf den Kopf getroffen.

      Nach Ende des Telefonats fiel Johannsens Blick auf die Uhr, und er stellte erschrocken fest, dass es bereits kurz nach vier war. Seine Frau würde wohl bereits auf dem Weg zum Arzt sein, daher tippte er eine Kurznachricht in sein Smartphone: „Wird wohl später, tut mir leid. VG“

      Er war kein Experte in Sachen Neue Medien, daher war ihm die 160-Zeichen-Sprache des 21. Jahrhunderts fremd, aber er lernte insbesondere durch seine Tochter Julia mehr und mehr die Vorzüge von Dingen wie SMS, MMS oder Skype wert zu schätzen. Nachdem er auf „senden“ gedrückt hatte, legte er das Smartphone weg und sah auf seinem Laptop, dass eine neue Email eingetroffen war. Da beim LKA viel über das interne Netz lief, waren Emails relativ selten. Er bekam meist nicht mehr als eine handvoll neue Mails am Tag, meistens lagen sie morgens im Posteingang, weil besonders die jungen, kinderlosen Kollegen gern bis tief in die Nacht arbeiteten. Kontakt nach außen lief häufig über sein Team, daher waren die Absenderadressen in seinem Posteingang meistens aus Kreisen von LKA oder BKA. Die neue Nachricht war vom BKA Wiesbaden, von einer Stefanie Wohlfahrt, von der er noch nie etwas gehört hatte. Offenbar war sie die Kontaktperson in der NSA-Sache. Da Furtwängler ihm lediglich die Festplatte ohne weitere Angaben gegeben hatte, konnte er diese Tatsache nur dem Inhalt der Email entnehmen. Er las die Email zweimal durch und konnte sich ein kurzes Lachen nicht verkneifen. Bis Ende der Woche möge er mitteilen, ob er auf „Kriminalistisch relevante Daten“ gestoßen sei.

      „Wenn sie mich fragen, Frau, äh...“ er musste nach oben scrollen, um den Namen der Absenderin nochmals nachlesen zu können, „...Wohlfahrt, dann ist jeder heimliche Abhörvorgang eine kriminalistisch relevante Sache. Vielleicht können sie mir gelegentlich mal eine Einführung in „kriminalistische Relevanz“ СКАЧАТЬ