Название: Status Quo
Автор: Thorsten Reichert
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783847618287
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So begann er, einzelne Dokumente nach und nach durchzulesen und zu versuchen, ihren Inhalt in den entsprechenden historischen und geografischen Zusammenhang zu setzen.
Saalgasse, Wiesbaden, Dienstag 16.50 Uhr
„Du musst da echt mal mitkommen, das tut sooo gut.“
Stefanie Wohlfahrt telefonierte noch immer mit ihrer besten Freundin. Sie waren über deren gestriges Liebesabenteuer auf das Wetter, auf aktuelle Kinofilme, auf Einkaufen, Kleider, Kosmetik und schließlich auf Wellness im Allgemeinen gekommen. Carmen ging seit einiger Zeit einmal die Woche zur Massage, etwas, das Stefanie eigentlich zu teuer war, aber nach den schwärmenden Berichten ihrer besten Freundin hatte sie wirklich Lust, das auch mal auszuprobieren.
„Jorge ist echt der Hammer. Aber für den Anfang kannst du dir natürlich auch ne Masseurin aussuchen, das ist ja nicht jedermanns Sache, sich splitternackt vor einen gut gebauten Spanier auf eine Massageliege zu legen.“
Stefanie stellte sich die Situation vor ihrem inneren Auge vor und beschloss, sich weder von einem Mann massieren zu lassen noch sich dabei komplett zu entkleiden.
„Könnten wir wirklich mal zusammen machen. Gehst du Donnerstag wieder?“
„Ja, wir können uns dort um 5 treffen, oder du holst mich ab.“
Carmen besaß kein Auto, weshalb sie gern Stefanies Fahrdienste in Anspruch nahm. Das war ok, denn sie machte nur in einem gesunden Maße davon Gebrauch, dass ihre beste Freundin einen schicken, kleinen Flitzer fuhr. Da sie selbst meist mit Fahrrad oder Bus zur Arbeit und zum Einkaufen fuhr, tat es ihrem Auto gut, wenn es gelegentlich bewegt wurde. Daher sagte sie, um das Telefonat einem baldigen Ende entgegen zu führen: „Klar, ich hol dich um kurz vor 5 ab. Jetzt muss ich mich glaub ich mal wieder um meine Arbeit kümmern, sonst wird das nichts mit Wellness übermorgen.“
Das Gespräch dauerte anschließend noch immer weitere fünfzehn Minuten, weil Carmen und sie sich immer etwas zu sagen hatten. Der Gesprächsstoff war ihnen noch nie ausgegangen, selbst als sie einmal zwei Wochen mit dem Auto in Italien unterwegs gewesen waren und es fast nur geregnet hatte. Sie tickten einfach ähnlich, so unterschiedlich sie auch in manchen Dingen sein mochten. Mit Carmen wurde es nie langweilig, das war eine der vielen schönen Seiten, die sie an ihr schätzte.
Als sie das schnurlose Telefon auf die Ladestation legte, blinkte der Akku bereits. Ihr rechtes Ohr fühlte sich heiß und zerdrückt an, weil sie bei Telefonaten mit Carmen oft beide Hände zum Abspülen oder Kochen frei haben musste und den Apparat daher zwischen Ohr und Schulter klemmte. Sie drehte ihren Kopf langsam nach links und rechts bis es hörbar knackte. Eine Massage wäre tatsächlich eine gute Sache, so verspannt wie sie in letzter Zeit oft war.
In diesem Moment piepste ihr Smartphone, um ihr das Eintreffen einer SMS anzuzeigen.
hey du, lust mal wieder was zu unternehmen? xo m.
Michi. Sein Schreibstil war minimalistisch und von konsequenter Kleinschreibung geprägt. Lustig, dass er sich gerade jetzt meldete, nachdem sie erst heute früh an ihn gedacht hatte. Sie hatten sich seit sicherlich drei Monaten nicht gesehen, es wäre also durchaus mal wieder an der Zeit, Einblick in sein Nerd-Leben zu bekommen und sich anschließend wieder darüber zu freuen, dass ihr Leben sich nicht in Internet und einer dreckigen Kellerwohnung abspielte. Sie mochte ihn, keine Frage. Er war so etwas wie ihr einziger und bester männlicher Freund. Aber beim Gedanken an sein Leben grauste es ihr.
Warum nicht? Schlag was vor?
Drei Sekunden später war seine Antwort da.
morgen um 8 ins kino?
Das war ihr eigentlich nicht recht. Sie musste dringend mit ihrer Arbeit voran kommen und würde schon Donnerstag früher Schluss machen müssen, um sich für die Massage vorbereiten zu können. Lieber hätte sie ein Treffen aufs Wochenende verschoben, aber zwei Dinge sprachen dagegen. Erstens traf sie sich nie gern mit Michi an Abenden, an welchen sie am nächsten Morgen nicht sehr früh raus musste. Sie wusste selbst nicht so genau warum, vielleicht hatte sie Angst, sie könnte Michi damit eine Andeutung zukommen lassen, dass sie gern den ganzen Abend oder mehr mit ihm verbringen wollte (was natürlich nicht der Fall war). An einem Mittwochabend war von vornherein klar, dass ihre Verabredung nach dem Kinobesuch zu Ende sein würde, weil sie am nächsten Tag früh aus den Federn musste. Sie glaubte nicht, dass Michi etwas von ihr wollte, aber sie würde dafür nicht ihre Hand ins Feuer legen. Und dann gab es da noch den zweiten Grund: Sie musste ihm nichts von der NSA-Sache erzählen, vielleicht könnte sie dennoch ein paar Tipps von ihm bekommen, wie man sich in einer gigantischen Menge von Daten zurechtfinden könnte. Er musste ihr nicht gleich eine neue Suchmaske programmieren, nur ein paar gute Tipps zu „Suchen und Finden mit Windows“, das würde vielleicht reichen, um einen Kinobesuch mit ihm zu rechtfertigen.
Gute Idee. Um viertel vor 8 vor dem Cineplex. Bis morgen! Lg
Sie wartete ein paar Minuten, aber es kam keine weitere Antwort von ihm. Es war nun viertel nach 5, und sie hatte seit vier Stunden nichts gearbeitet. Es sah so aus als stünde heute eine längere Nachtschicht an. Daher beschloss sie, zunächst ihren Magen zu füllen und sich dann ihrer Arbeit zu widmen. Sie ging in die Küche und schaltete das Radio ein.
Spiegel-Redaktion, Hamburg, Dienstag 17.24 Uhr
Auf der Schreibtischunterlage waren mit Kugelschreiber fünf Behörden gekritzelt: Bundesinnenministerium, Bundeskanzleramt, BND, BKA, LKA. Die ersten beiden waren doppelt durchgestrichen, die dritte kaum noch lesbar mit dickem Zickzack übermalt, die letzten beiden ebenfalls durchquert, jedoch nur einfach. Grit Junkermann blickte auf die Unterlage. Ob sie es nochmals versuchen sollte beim LKA Hamburg? Oder erst beim BKA? Eine Bundesbehörde machte pünktlich Feierabend, um diese Uhrzeit würde sie da nicht mehr viel erreichen. Sie hatte zu viel Zeit mit Internetrecherche und ziellosem Herumklicken bei Wikipedia vertrödelt, um diese Uhrzeit war kaum zu erwarten, dass sie heute noch einen Recherchedurchbruch erringen würde. Manchmal beneidete sie Friederike, die sich nur abends ins Hamburger Nachtleben werfen musste und am nächsten Tag genug Material für drei Kolumnen hatte. Nicht dass sie keinen Spaß an nächtlichen Vergnügungsoptionen einer Großstadt wie Hamburg hatte, aber sie trennte streng zwischen Privatem und Beruflichem. Diese Trennung würde auch jetzt, um halb sechs abends angebracht sein. Noch eine Stunde produktiv arbeiten, und sie hätte sich eine Verabredung verdient, wie sie gerade in ihren Gedanken ablief. Sie schüttelte sich und riss sich zusammen. Dann nahm sie das Telefon und wählte eine Nummer. Zu ihrer eigenen Überraschung war es weder die Nummer des BKA noch die des LKA Hamburg. Es war Leitners Nummer, ihr Kontaktmann beim LKA Schleswig-Holstein, Kiel, den sie seit Wochen zur möglichen Wiederaufnahme der Barschel-Sache auszuquetschen versuchte. Noch überraschter war sie, als er bereits beim zweiten Klingeln abnahm.
„Oh, hallo Herr Leitner, Junkermann hier, ich hatte gar nicht erwartet, dass sie noch im Büro sind.“
„Und СКАЧАТЬ