Название: Der Ruf aus Kanada
Автор: Rudolf Obrea
Издательство: Bookwire
Жанр: Сделай Сам
isbn: 9783847620402
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Paul blieb der Heimat treu, wohnte zu Hause, ließ sich, wie von klein auf gewohnt, von der Mutter verwöhnen und beschränkte seinen Ehrgeiz auf die lokale Anerkennung, die er als junger Angestellter bei der Bergedorfer Kreissparkasse anstrebte. Seine umgängliche Art verschaffte ihm einen großen Freundeskreis und nicht zuletzt auch die Zuneigung vieler Frauen seines Alters , deren Bekanntschaft er zwar häufig wechselte, die ihn aber trotzdem verehrten und als soliden Bestandteil ihres gewohnten Umfeldes für einen aussichtsreichen Ehekandidaten hielten, den sie gerne erobern wollten.
Den Außenseiter überkamen bei diesen Gedanken heimlich direkt so etwas wie Neidgefühle. Er merkte, dass er diese Geborgenheit und die damit verbundene Beständigkeit gegen die Hektik und Ungewissheit eines ruhelosen Einzelkämpfers eingetauscht hatte. Paul holte ihn in die Gegenwart zurück, indem er ihm freundschaftlich auf die Schulter klopfte und ausrief: „Willkommen zu Hause, du alter Ausreißer! Hat dich die Kälte wieder aus Kanada vertrieben?“ Erstaunt sah er den Bruder an und antwortete: „ Als ich Ende Juli Toronto verließ, erreichte die Sommerhitze des dortigen Kontinentalklimas gerade 35 Grad Celsius und dieses bei 90 % Luftfeuchte, beides dazu angetan, dich anstelle der Kälte schnell nach Hause zu schicken.“ Enttäuscht wollte Paul bereits aufgeben. Der verängstigte Blick der Eltern, die eine Neuausgabe der alten Streitereien zwischen den Brüdern befürchteten, veranlasste ihn jedoch, seine zweifellos limitierten Kenntnisse von Kanada noch einmal zu testen und etwas versöhnlicher nachzuhaken. „ Hast du auch schon den Vorteil der vielen kanadischen Seen genießen können?“ Svens Blick heiterte sich auf und er berichtete ihnen von seinem gelungenen Segelbootsausflug auf dem Ontariosee.
„Stellt euch vor, ich hatte keine Ahnung von der Größe dieser Wasserfläche. Die Ausrüstung der Boote entspricht der Takelage derjenigen, die bei uns für Fahrten auf der Nord- und Ostsee benutzt werden. Mein Kollege Jim Shaw hatte mich nur für einen Tagesausflug mitge- nommen. Seine Bootsausrüstung eignete sich aber auch für einen Wochentörn, den dieses Binnenmeer mit Abstechern zu den verschiedensten Orten in USA ermöglicht. Jim prüfte meine Fähigkeiten und ich hatte Mühe, seinem großzügigen Angebot als Skipper gerecht zu werden. Arne Erikson, ein Bekannter von Jim, den ich an der Bar des Segelclubs kennen- lernte und der ein eigenes Boot besitzt, hat mich anlässlich eines Besuches bei ihm zu Hause auf einen Bootsausflug am Wochenende nach Buffalo im Staate New York und zu den dortigen Niagarafällen eingeladen. Ich freue mich bereits darauf, wenn wir den Plan nach meiner Rückkehr verwirklichen. Zusätzlich bedeuten für mich als Hamburger diese Kontakte den notwendigen Rückhalt in der Großstadt, um ab und zu der Einsamkeit der Wälder um die Baustelle in Bancroft, 300 km nordöstlich von Toronto, zu entfliehen.“
Jetzt war Paul derjenige, der seinen Bruder beneidete; hatte er doch bisher in Bergedorf, trotz der Nähe zur Elbe in Altengamme und Geesthacht, noch keinen Gönner gefunden, der ihn auf einer Segeljacht mitgenommen hätte. Alle mussten sich schließlich eingestehen, dass jeder auf seine Art mit den Vor- und Nachteilen der von ihm gewählten Lebensweise auskommen musste. Die Erziehung der Eltern hatte bei dem großen Altersunterschied ihrer Kinder zwangsläufig zu deren entgegengesetzter Ausrichtung geführt, die nur mit Hilfe einer toleranten gegenseitigen Anerkennung auch in Zukunft ihrer familiäre Bindung einen dauerhaften Bestand als bedeutender Teil ihres Wesens ermöglichte.
Sven sehnte sich nicht nach seiner Tätigkeit bei der Firma seines Vaters zurück, genoss aber gleichwohl das wiedererwachte Gefühl des Geborgenseins, das ihm das Zusammensein mit der Familie vermittelte. Er erinnerte sich daran, dass sie bei schwierigen Situationen stets die Köpfe zusammengesteckt hatten und so, ähnlich den Bewohnern einer belagerten Festung, die aussichtsreichsten Befreiungsschläge gemeinsam berieten und meist auch erfolgreich umsetzten.
Gleich nach dem Abendessen bekundete Paul allerdings die beim Gleichklang ihres Verständnisses eingetretene Veränderung. Er stand auf und verkündete zur Überraschung der anderen: „ Entschuldigt mich bitte! Ich muss zu einer Vorstandssitzung des Gesangvereins, die ich leider nicht mehr absagen konnte.“ Dieser plötzliche Aufbruch verkürzte in jeder Hinsicht das Wiedersehen mit dem Bruder. Sven gab sich Mühe, seine Enttäuschung zu verbergen und trotz des abgeänderten Programmes, bei den Eltern mit der Erzählung der Einzelheiten seiner kanadisch-schwäbischen Erlebnisse die maximal mögliche Anteilnahme zu erzeugen, damit ihre Kommentare mangels Kenntnis nicht nur Kritik sondern, wie früher, eine wertvolle Korrektur und Unterstützung seines Vorgehens auslösten.
Am anderen Morgen schlief sich der Heimkehrer nach den Strapazen der Reise und im Wohlgefühl des lang vermissten, eigenen Bettes erst einmal aus und verpasste Vater und Bruder, die frühzeitig zur Arbeit fuhren. Die Mutter begrüßte ihn zum Frühstück und verwöhnte ihn mit frischen Brötchen und selbstgemachter Brombeermarmelade, einfache Leibspeisen, die ihm zusammen mit einer Tasse starkem, schwarzen Kaffee hervorragend schmeckten. Während ihrer Unterhaltung versuchte sie Svens gute Laune auszunutzen, indem sie Pauls plötzliches Verschwinden am Vorabend mit den Worten entschuldigte: „Du musst verstehen, dass Paul bei der Sparkasse am Schalter viele Kunden bedient, die ihn deshalb besonders schätzen, weil sie ihn auch privat kennen. Sein Chef aus Lüneburg besitzt nicht denselben Kontakt zu den Einheimischen und fördert deshalb Pauls Ehrgeiz, sich mit dem ihm entgegengebrachten Vertrauen als Anlagenberater zu qualifizieren. Besondere Kunden besucht er auch am Abend und vermehrt seine Beziehungen, indem er als ehrenamtlicher Kassenwart die Konten verschiedener Vereine betreut.“ Dieser ungewöhnliche Arbeitseifer und der bis dahin kaum in Erscheinung getretene Ehrgeiz seines Bruders ließen Sven vermuten, dass das „Goldstück“ mal wieder mit viel Rücksicht auf die Gefühle der Mutter den Anteil der Damen an seiner abendlichen Beschäftigung elegant verschwiegen hatte. Er baute damit seine Vorzugsstellung als „Lokalmatador“geschickt weiter aus. Sven blieb nichts anderes übrig, als den Schmeichler mit der ihm bei seinen Auslandsaufenthalten zugewachsenen größeren Toleranzbreite zu ertragen und sich damit den weiteren Zugang zum Elternhaus zu erhalten.
Mit dieser Erkenntnis bewaffnet, überging er jetzt kommentarlos die Ausführungen der Mutter und fragte sie stattdessen: „So viel ich mich erinnere, ist heute Markttag. Wollen wir zusammen hingehen und Obst und Gemüse besorgen?“ Er hatte ein gutes Stichwort gewählt, bei dem sich ihr Gesicht sofort aufheiterte und sie, alles andere vergessend, sofort aufstand und antwortete: „Wir müssen uns beeilen, weil sonst die besten Sachen bereits ausverkauft sind. Ich ziehe mich nur schnell um und dann marschieren wir los.“
Bald darauf gingen sie einträchtig oberhalb eines mit Büschen wilder Rosen und verschiedenen Sommerblumen bepflanzten Abhanges der Bille und des anschließenden Schwimmbades entlang und bogen am Ende nach links in die Marktstraße, die sich hinter dem Schlossgarten entlang zog. Der bunte Anblick der Stände mit ihren verschiedenen Auslagen, die hauptsächlich von dunkel gekleideten, beschürzten älteren Bäuerinnen aus den benachbarten Vierlanden angeboten wurden, gehört ein seiner Einmaligkeit zu Svens bleibendem Heimatbewusstsein. Ähnlich wirkte nur noch die Fassade des Fachwerkturms der alten Schlosskirche aus dem 17.Jahrhundert und dahinter, versteckt zwischen den Bäumen des Parks, das Schloss selbst, ein weniger bedeutender, finsterer, viereckiger Backsteinbau, der als Wasserschloss von einem dunkelgrauen, fast schwarzen Wassergraben umgeben war.
Wieder zu Hause verschwand die Mutter in der Küche, um das eingekaufte Gemüse zu verstauen und ihnen ein leichtes Mittagessen zuzubereiten. Sven verzog sich ins Wohnzimmer, setzte sich in den braunen, vom Vater etwas abgewetzten Ohrensessel und probierte den neu, erstandenen Tabak, der ihm, wie versprochen, mit dem milden Aroma in seiner Lieblingspfeife sehr gut schmeckte. Der Nierentisch vor dem Sofa und die alles beherrschende, eichene Schrankwand auf der gegenüberliegenden Seite entsprachen zwar nicht СКАЧАТЬ