Название: Entfremdung und Heimkehr
Автор: Werner Boesen
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783741843419
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Ein problemloses Kind? Wo gibt es denn sowas, fragte ich mich. Nun beließ ich ihn in dem Glauben und fragte, wie ich denn dann schnell zu dem Kind käme, da ich wenig Zeit hätte. Zeit müsste ich schon mitbringen. Wie sollten wir sonst ihre Glaubwürdigkeit feststellen? Ich wiederholte nochmal meine Motivlage. Doch es war nichts zu machen. Er meinte dann auch, wenn potentielle Pflegeeltern nicht häufig vorsprechen, haben sie kaum eine Chance. Sie müssen zwar nicht jeden Tag hier vorbeikommen, aber eben oft. Wie oft, ließ er natürlich offen. Irgendwann klappt es halt dann.
Welche tolle Marschrichtung, dachte ich. Schade, dass auf diese Art dann doch vielen potentiellen Pflegekindern der Weg in eine bessere Zukunft verschlossen ist. Ist da möglicherweise auch der Neid zu spüren gewesen? Ein Arbeiterkind, das später mal besser dastehen könnte, wie der Sozialarbeiter?
Ich erinnerte mich an die Aussagen meiner Pflegemutter, die von der Leiterin des Jugendamtes informiert wurde, mich nicht auf die weiterführende Schule zu schicken und eine Lehre machen zu lassen, denn sie (die Pflegefamilie) habe eh schon zu viel für mich getan. Glücklicherweise traf ich auf Lehrer, die ihren Bildungsauftrag unabhängig vom Schicksal eines Kindes gesehen haben und bei denen Neid kein Handlungsmotiv war.
Hätte ich dem Sozialarbeiter meine wahre Geschichte erzählt, hätte er sie womöglich nicht geglaubt. So war die Diskussion auf etwas gehobenem Niveau verlaufen. Freilich kann ich auch hier wieder nun nicht alle Behördensozialarbeiter gleichsetzen.
Auch hier wieder eine exemplarische Geschichte, die sich leider doch allzu häufig wiederholen würde:
Ein Arbeiterkind in einer Akademikerfamilie –
wohl unmöglich?
Aber auch der umgekehrte Fall –
ein Akademikerkind in einer Arbeiterfamilie -
wohl auch unmöglich?
Welche einfallslose Behördenwelt?
Nun wäre es trotz der sehr eingeschränkten Kenntnislage vieler Sozialarbeiter in Jugendämtern wenig hilfreich, diese darauf hinzuweisen. Denn was Behördenmenschen kaum hinnehmen können, ist die einfache Tatsache, dass sie auf dem Irrweg sind. Es kann dann aussichtslos werden, zu einem Kind zu kommen. Viele potentielle Pflegeeltern geben dann nach und sagen schließlich zu allem Ja und Amen. Sie akzeptieren bedingungslos. Der Behördenmensch freut sich insgeheim, dass seine Pseudoweisheiten, die er natürlich zum Besten gibt, auf Widerhall stoßen und prüft dann wohlwollend die Angelegenheit. Es haben halt nur wenige 15.000 Euro und mehr, um ein Kind woanders her zu holen. Doch da gibt es inzwischen auch Vereine, an die sich Pflegeeltern wenden können, sog. Pflegekindervereine, in der Regel Zusammenschlüsse von Pflegeeltern. Es ist sicherlich empfehlenswert, erst einmal dort nachzufragen. Vielleicht entfällt dann der Behördenmarathon.
Ich möchte aber auch darauf hinweisen, dass es sicherlich Sozialarbeiter in Behörden gibt, die erkannt haben, welche originäre Aufgabe Ersatzeltern zukommt. Wäre da nicht noch ein Pferdefuß? Ja, unsere Gesetzeslage. Solange nämlich Eltern ihr Kind nicht freigeben, besteht zumindest immer die Aussicht, das Kind eines Tages zurückgeben zu müssen. Solcherlei Entscheidungen sind dann oft beim Behördenleiter angesiedelt, der zumeist am allerwenigsten von fundamentalen kindlichen Bedürfnissen versteht. Behördenleiter, die vornehmlich aus der juristischen Laufbahn kommen und so viel von Psychologie verstehen wie mein Nachbar um die Ecke, das heißt vielleicht hat der Behördenleiter Verständnis, wahrscheinlich aber nicht. Der Gipfel besteht dann darin, eine „Galionsfigur“ voranzustellen:
„Oberbürgermeister … stellte sich schützend vor seine Beamten, … “
(Schröder 1991 S. 9).
Juristisch Ausgebildete wissen wohl am besten was es heißt, nicht gesetzestreu zu sein. Sie haben nicht erst durch ihre Ausbildung vermittelt bekommen, was es bedeutet, konservativ zu sein. In aller Regel trifft man bei Juristen auf sehr anpassungswillige und -fähige Mitmenschen, die gerade kein Verständnis für unangepasste Menschen haben. Was anderes sind Heimkinder? Wem will man diese zumuten?
Gäbe es da nicht Mitmenschen, die das „Abenteuer“ auf sich nehmen wollten? Nun, warum nicht? Aber im Grundgesetz ist das Elternrecht fixiert. Ein Kind hat danach keine Rechte, bestenfalls Pflichten. Da jedoch auch ein Kind schon denken kann, wird es halt in einem bestimmten Alter befragt und man kann ja so tun, als könnte es nochmal zu seinen Eltern zurück, auch wenn schon lange feststeht, dass dies nicht mehr möglich ist.
Sollte das Kind zu seinen Eltern zurückwollen, wird es kritisch betrachtet bezüglich seiner „Familienfähigkeit“. Auch dieser Begriff ist ein juristisches Konstrukt, das davon ausgeht, Kinder zu haben, die nicht familienfähig sind. Juristen und sonstige Fachleute, die dies postulieren, sind abartig und seelische Verbrecher. Allein der Gedanke daran, Kinder seien möglicherweise nicht familienfähig, ist absurd. Leider dürfte das Konstrukt „Familienfähigkeit“ auch darauf hinweisen, weshalb es noch so viele geschlossene Einrichtungen gibt. Es wird ja gerne damit argumentiert, dass bei den Kindern erst die Voraussetzungen geschaffen werden müssen, um sie in eine Pflegefamilie zu geben. Welche abartige Welt?
Kinder werden nicht dadurch familienfähig, wenn sie einer Familie ferngehalten werden. Glücklicherweise erkannte in meinem Fall das Jugendamt, mich nun im 15. Lebensjahr in eine Pflegefamilie gehen zu lassen statt in eines dieser kindesverachtenden Erziehungsheime mein Dasein fristen zu müssen. Doch es bedurfte einer immensen Anpassungsleistung und Disziplin meinerseits, um dem drohenden Damoklesschwert zu entgehen. Ich konnte dies nur meiner Eigenliebe verdanken und dem dadurch möglichen Vertrauensvorschuss an mögliche liebende Pflegeeltern, die ihrem Pflegekind ihre ganze Wertschätzung entgegenbrachten.
Sind die Kinder dann in einer Pflegefamilie untergebracht, sollten sie dort bleiben. Die Eltern, die es zulassen, dass Kinder in Heimen und zu Pflegeeltern hin- und hergeschoben werden, haben ihr Elternrecht verwirkt. Dem Kind ist das nicht verständlich zu machen. Dies versteht es erst als Erwachsener, sofern es sich mit dem gesellschaftlichen Normensystem vertraut gemacht hat. Geschwisterkinder sollten zudem zusammenbleiben. Die Gewähr dafür bieten wohl nur die sogenannten Kinderdörfer.
Ich habe heute als Erwachsener Verständnis dafür, dass man nicht vier Geschwister gleichzeitig zu Pflegeeltern geben kann, habe jedoch kein Verständnis dafür, Geschwister auseinanderzureißen. Sie hätten ihren Platz in einem Kinderdorf, sei es ein SOS- oder Albert-Schweitzer-Kinderdorf. Skandalös war es für mich, als ich als Erwachsener erfuhr, dass es noch ein Geschwisterkind gibt, zu dem keinerlei Kontakte existieren. Hierbei fällt mir dann nur noch ein: Denn sie (die Sozialarbeiter) wissen nicht was sie tun! Sie gehen den Weg des geringsten Widerstandes. Sie wursteln sich durch. Gott möge ihnen vergeben; ich habe meinen Frieden damit gefunden.
4. Erzieher in Kinderheimen: Ordnung schaffen im kindlichen Chaos. Kinder haben noch keine Rechte!
Aufgrund СКАЧАТЬ