Название: Friedrich Gerstecker: Streif- und Jagdzüge durch die Vereinigten Staaten von Amerika 1837-43
Автор: Friedrich Gerstecker
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
Серия: maritime gelbe Buchreihe
isbn: 9783753191874
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Da der Dampfwagen denselben Morgen nach Utica abging, so benutzte ich diese Gelegenheit. Die damals noch kleine Stadt Albany lockte mich auch sehr wenig, sie genauer kennen zu lernen. Das waren nur eben wieder Häuser mit Läden und Schankwirtschaften und fremden gewinnsüchtigen Menschen – nichts weiter. Die aufzusuchen, war ich nicht nach Amerika gekommen; ich suchte die Natur.
Dampfwagen – ich schreibe das jetzt so leichtsinnig hin und kann mich doch noch recht gut jenes mächtigen Eindrucks erinnern, den dies erste Befahren einer Eisenbahn auf mich machte. Das Klappern und Schnauben der Maschine, das rasche Durchschneiden der Luft, das fremde wunderbare Land, das an beiden Seiten pfeilschnell an uns vorüberflog – ich konnte mich nicht satt an dem allen sehen.
Übrigens fuhr ich meiner sehr beschränkten Kasse wegen dritter Klasse, zwischen einer keineswegs mehr gemischten Gesellschaft. Es waren fast durchschnittlich irische Arbeiter, die irgendwo in das Land hinaufgingen, am Kanal oder der Eisenbahn zu hacken und zu graben. Die Nähe dieser Leute war allerdings nicht angenehm, und ein Teil derselben, nach der gewöhnlichen Art der Iren, außerdem betrunken. Glücklicherweise saß ich aber an einem Fenster und hielt mich so viel wie möglich fern von ihnen, als plötzlich ein wilder Tumult und lautes, schallendes Gelächter aus der ärgsten Gruppe herübertönte. Ich drehte den Kopf dorthin und sah, wie der Zugführer mit einem der Schar, der ebenfalls leicht angetrunken schien, stritt und heftig gestikulierte.
Im Anfang konnte ich nicht verstehen, was die beiden miteinander hatten, aber das Lachen wurde bald allgemein, als sich herausstellte, dass der Bursche auf den falschen Zug gekommen war und nun verlangte, der Zugführer sollte anhalten und ihn aussteigen lassen. Natürlich weigerte sich dieser; der Arbeiter tobte dabei im Anfang, legte sich aber dann, als er sah, dass er damit nichts ausrichtete, aufs Bitten und erklärte, er verlöre sein Brot und mache seine Familie unglücklich, wenn er nicht augenblicklich umkehre und mit dem nächsten Zug von New-Albany, ich weiß nicht mehr wohin, fahre. Der Beamte erklärte ihm endlich, dass er unter keiner Bedingung anhalten könne, dass er aber ihm zu Gefallen etwas langsamer wolle fahren lassen; mehr könne er nicht für ihn tun, und wolle er dann herausspringen, möge er es auf die Gefahr seines eigenen Nackens versuchen.
Der Ire ging mit Freuden auf den Vorschlag ein, und der Führer ließ wirklich den Zug etwas langsamer gehen, mehr aber vielleicht, wie ich ziemlich fest überzeugt bin, den Spaß zu haben, den armen Teufel „über Bord“ springen zu sehen, als ihm irgendeinen Gefallen zu erweisen. Was liegt den Leuten dort an einem Menschenleben!
Der Zug ging jetzt nicht mehr so rasch, aber doch immer noch schneller als vier Pferde in gestreckter Karriere einen leichten Wagen fortreißen könnten, und der Ire schaute unschlüssig aus der halbgeöffneten Tür.
„Jetzt springt oder eure Zeit ist vorbei!“ rief der Zugführer.
„Aber ich breche den Hals“, sagte der Mann; „könnt ihr nicht langsamer fahren?“
„Wenn ihr nicht wollte, lässt 's bleiben“, brummte der andere – „'s wird gleich wieder rascher gehen“, und dabei wollte er die Tür schließen.
„Halt – ich will!“ rief aber der Mann, – „lässt mich hinaus – da kommt Gras –“
„Halt um Gottes willen!“ schrien ein paar Stimmen und fassten ihn am Kragen, – „da unten liegt Holz und ihr brecht Hals und Beine.“
„Jetzt kommt Rasen!“ rief der Führer, – „eins, zwei –“
„Drei!“ schrie der Mann, indem er sich von denen, die ihn halten wollten, losriss, und flog im nächsten Augenblick aus der Tür hinaus, die sich rasch wieder hinter ihm schloss. Ich steckte den Kopf aus dem Fenster, zu sehen, was aus ihm würde, konnte aber nur noch die auf dem Rasen lang ausgestreckte dunkle Gestalt erkennen; denn der Zug schoss in diesem Augenblicke wieder mit rasender Schnelle vorwärts.
„Hol's der Teufel, er hat den Hals gebrochen!“ rief einer der Leute.
„Und was läg' daran?“ sagte der Führer, der sich lachend abwandte, seinem Geschäfte nachzugehen.
Ich habe später nie erfahren können, was aus dem Manne geworden ist.
In der Nacht kamen wir nach Utica, einem damals noch kleinen Städtchen im New-York-Staat, wie denn die meisten amerikanischen Ortschaften, und wenn sie nur aus ein paar Häusern bestehen, gern hochtrabende Namen führen.
Ich stieg aus und trat auf die Straße, wo einige Männer mit einem Wagen hielten. Ich fragte sie nach einem abgehenden Kanalboot, und sie nötigten mich sehr freundlich in den Wagen, wobei mir jeder von ihnen unter einen Arm griff; ich aber, alter Warnungen eingedenk, setzte den Fuß gegen den Schlag und fragte nach der Bezahlung.
„Keine Bezahlung, keine Bezahlung!“ riefen beide, und mit einem Satze saß ich im Wagen, der bald vor einem sehr eleganten Hause still hielt. Mir war nicht wohl bei dieser Gastfreundschaft, denn jedes Licht im weiten Gebäude schien mir zuzurufen: „money is the principal thing, therefore get Money“ wie ich bei Herrn Dr. Flügel in Leipzig so oft übersetzen musste, doch trat ich ein und fragte nach dem ersten abgehenden Kanalboot nach Buffalo (beiläufig gesagt, war meine Ahnung nicht ganz unrichtig, denn ich musste für eine Tasse Tee und ein kleines Butterbrot 50 Cents, ungefähr 20 Gr., bezahlen.) Außerdem war ich übrigens hier in das rechte Haus gekommen, denn die Bootsakkorde wurden hier abgeschlossen und man forderte mir, Kost mit eingerechnet, 6 Dollars bis Buffalo am Eriesee ab. Von dort aus sollte wieder ein Schienenweg nach den Niagarafällen gehen.
Der Preis schien mir etwas teuer, und ich überlegte mir eben, ob ich die ganze Tour nicht am Ende ebenso rasch und weit billiger zu Fuß machen könne, als ein Deutscher, jedenfalls jüdischer Abkunft, der mit den Leuten gut bekannt schien, meine Partie nahm und die Passage für mich mit 4 Dollar ausmachte.
Nun ging ich an Bord, denn die Abfahrt des Bootes sollte gleich stattfinden, und der warme, behagliche Raum, den ich dort traf, tat mir, durchgefroren wie ich war, ungemein wohl.
Der nächste Morgen kam trüb und regnerisch angeschlichen und die Frühstücksglocke rief uns fast zu früh vom Lager.
Ein amerikanisches Frühstück aber ist für den erst kürzlich angekommenen Deutschen ein höchst merkwürdiger Gegenstand. Mit Erstaunen sieht er Kaffee, fettes Schweinefleisch und saure Gurken, mit Kartoffeln, Rüben und Eiern, nebst Butter und Käse hier zusammengestellt, und der Magen muss sich wirklich erst an diese sonderbare Zusammenstellung gewöhnen. Ist das aber einmal geschehen, dann behagt es, wie ich offen bekenne, einem recht hungrigen Christenmenschen besser als trockenes Weißbrot zum dünnen Kaffee.
Nach dem Essen hatte ich vollkommen Zeit, meine Reisegefährten, mit denen ich den engen Raum eines Kanalbootes bewohnte, genauer zu betrachten.
Es waren ungefähr zehn Herren mit drei Damen. Die letzteren wohnten in einem durch einen roten Vorhang von unserer Kajüte getrennten Raume, der die Überschrift „ladies cabin“ nebst der freundlichen Erinnerung „no admittance“ führte.
Unsere Damen bestanden aus zwei alten und einer nicht mehr jungen Frau. Die Bekanntschaft war übrigens, so gern ich sonst in Damengesellschaft bin, eben keine angenehme, denn ich lernte hier eine Unart der Amerikanerinnen kennen, die einen fatalen, ja widerlichen Eindruck auf mich machte. Die Damen schienen keineswegs den unteren Ständen anzugehören, genierten sich aber nicht im mindesten, in fast regelmäßigen Zwischenräumen dermaßen laut aufzustoßen, dass ich mich im Anfang ein paarmal ordentlich erschreckt nach ihnen umschaute. Rührend war in der Tat die Unbefangenheit, mit СКАЧАТЬ