Friedrich Gerstecker: Streif- und Jagdzüge durch die Vereinigten Staaten von Amerika 1837-43. Friedrich Gerstecker
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Читать онлайн книгу Friedrich Gerstecker: Streif- und Jagdzüge durch die Vereinigten Staaten von Amerika 1837-43 - Friedrich Gerstecker страница 10

СКАЧАТЬ wir wieder mit vollen Segeln darauf zu. Um elf Uhr ungefähr kam ein kleiner Kutter uns entgegen; die nordamerikanische Flagge flatterte an seiner Segelstange; wir hissten die Bremer Flagge auf. Es war der Lotse.

      Jetzt kam neues Leben an Bord. So nahe vor dem Hafen wurde frisches Wasser ausgeteilt, da das Seewasser, mit dem wir uns bis jetzt abgerieben hatten, keine Seife annimmt, und das ganze Schiff glich eher einer Reinigungsanstalt als etwas anderem. Überall wurde geputzt und blank gemacht. Hier schmückte sich eine junge israelitische Dame vor einem Stückchen Spiegelglas mit falschen Ohrringen, dort wusch sich ein armer Teufel noch in der Geschwindigkeit ein Hemde aus; an jener Seite saßen mehrere Frauen und kämmten und bürsteten die Kinder, und an dieser stiegen ein halbes Dutzend, schon fix und fertig, in ihrem schönsten Sonntagsstaat stolz einher. Dort, an der Winde, ach ja, da lagst du, lieber Seiler, auf dem Bauche, du besaßest nur das eine Paar Beinkleider, du Armer, und hattest diese auf der langen Überfahrt durchgesessen; aber mit erbarmendem Mitleiden im Blick bog sich der lange Schneider über dich und setzte dir einen großen schwarzen Flicken auf den defekten Teil, – eine Träne glänzte in seinen großen blauen Augen – es verdunkelte sich, die Nadel stach zu tief, und mit gewaltigem Satze sprangst du, lieber Seiler, in die Höhe und hieltest die Hand auf den Flicken.

      Der Lotse, ein schöner, großer Mann, der, wie alle amerikanischen Lotsen, ganz unähnlich den unseren, die in ihrem groben blauen Pilotenzeuge einhergehen, höchst geschniegelt und modern mit schwarzem Frack und Zylinder angezogen war, brachte uns bald in die Einfahrt des New-Yorker Hafens nach Staten Island.

       Wo nehme ich jetzt die Feder her, das zu beschreiben, was wir sahen, das zu schildern, was wir fühlten? Der Anblick des im lieblichsten Grün prangenden, mit üppigen Feldern und köstlichen Gebäuden besäten Landes, zwischen denen hier und da wieder der dunkelgrüne herrliche Urwald durchschimmerte, der rechts und links zur Beschützung des Hafens angelegten Forts, des freundlichen, blauen Himmels über uns, der nur leise plätschernden Wogen unter uns, machte mir das Herz aufgehen, und mich trieb es, allein zu sein. Ich stieg hinauf in den Mastkorb und schaute von dort mit entzückten, warum soll ich's leugnen, mit nassen Augen das wundervolle Land, das uns hier mit liebenden Armen zu umfangen schien, und unwillkürlich drängte sich mir die Frage auf: „Warum ist das nicht die Heimat, warum musste ich alles, alles verlassen, an dem das Herz hing, um diesen Anblick zu erkaufen?“

      Die Matrosen, die wie Katzen die Strickleitern heraufliefen, störten mich in meinen Betrachtungen; die Segel wurden befestigt, und in wenigen Minuten rauschte der schwere Anker in die Tiefe.

      Unter gelber Flagge kam jetzt ein kleines Schiff von Staten Island; es brachte einen Arzt an Bord, der die Mannschaft und die Passagiere untersuchen musste, um sich zu überzeugen, ob sie alle gesund seien. Glücklicherweise waren unsere drei Pockenkranken genesen; die Leutchen sahen alle wohl und frisch aus, so dass der gute Doktor trotz seiner sechseckigen Brille keine Spur vergangener Krankheit finden konnte und mit einem „All well“ das Schiff verließ. Gegen Abend sprangen H., unser Doktor und ich wieder über Bord, uns zu baden.

      Diese Nacht durften wir das Schiff noch nicht verlassen. Erst am 20. Juli wurden wir mit unserem Gepäck durch einen kleinen Schoner in ein großes viereckiges Blockhaus gebracht, das einige hundert Schritte vom Lande ablag. Dort mussten wir gewissermaßen eine kleine Quarantäne aushalten und nachsehen lassen, ob unsere Koffer entweder etwas Steuerbares oder schmutzige Wäsche enthielten, das erstere zu versteuern, die letztere zu waschen.

       Mit den steuerbaren Sachen wurde es übrigens nicht streng genommen, und keiner von allen bezahlte etwas. Strenger wurde die Wäsche nachgesehen, wobei einige wirklich schaudererregende Stücke entdeckt wurden, welche einzelne des liederlichen, faulen Zwischendecks-Gesindels unter ihre reinen Sachen versteckt hatten. Große Kübel wurden jetzt herbeigeschafft, und die guten Leute mussten das Versäumte nachholen. Wir fünfe hatten nichts Schmutziges, weil wir stets auf dem Schiffe unsere Wäsche gereinigt hatten, d. h. die getragenen Gegenstände, an ein Tau gebunden, etwa vierundzwanzig Stunden lag vom Schiffe hatten nachziehen lassen, was die Wäsche, wenn auch nicht sehr weiß, doch tragbar macht und, wie jeder gestehen muss, sehr bequem ist.

      Als wir die „KONSTITUTION“, in der wir nun vierundsechzig Tage in Freud und Leid zugebracht, verließen und von der Mannschaft Abschied nahmen, war es uns, wenigstens mir, fast, als wenn wir alte, liebe Bekannte zurückließen. Wir brachten ihnen auch, als die Bootsleute abstießen, ein donnerndes Hoch, das lauttönend von den Matrosen mit dem gebräuchlichen englischen „Hip, hip, hip, Hurra!“ dreimal zurückgegeben wurde. So gut es übrigens gemeint war, so fand es bei dem israelitischen Teil unserer Passagiere doch wenig Anklang. Diese, obschon sie tüchtig ihre englischen Gespräche durchstudiert haben mochten, hatten doch dieses „hip, hip, hip“ noch nicht in ihrem Wörterbuche gefunden, und einer von ihnen bemerkte ganz treuherzig: „Na, se hätten uns aach nicht gebraucht auszeuzen, ze guter letzt.“

      Obgleich das Blockhaus, wohin man uns brachte, das „Quarantänegebäude“ genannt wurde, hielt man es mit der Quarantäne doch nicht sehr streng, und ein großer Teil von uns fuhr noch denselben Abend auf einem Kahne an Land. Zum ersten Mal betraten wir die neue Welt, für uns wahrlich eine wunderschöne, herrliche, aber doch eine neue und deshalb fremde Welt.

       Sonderbare Gefühle bestürmten mich, als ich allein unter den fremden Bäumen, an den bleichen Amerikanern vorbei, zwischen fremdartig gebauten Straßen hindurchwandelte und mir ein ruhiges Plätzchen aussuchte, ganz meinen Gedanken nachzuhängen; es waren wehmütige und doch auch wieder hoffende, vertrauende Gefühle. Erst spät kehrte ich zu den Unsrigen zurück, die ich um Bier, Butterbrot und Käse versammelt fand, und die es sich zum guten Anfang gar wohl in der neuen Heimat sein ließen. Was halfen auch die trüben Gedanken, wir waren einmal da und mussten jetzt sehen, wie wir durchkamen. So ließ ich mich denn ebenfalls nicht lange. nötigen und setzte mich zu den übrigen Schiffsgefährten.

      Während wir noch dort zechten und uns die langentbehrten Gottesgaben gut schmecken ließen, kam ein Fremder zu uns in die Stube, redete uns jedoch deutsch an, so dass wir in wenigen Minuten wie alte Bekannte waren. Es war ein Bäcker, der, schon einige dreißig Jahre in Amerika, sich ein bedeutendes Vermögen erworben hatte, und er kam einzig und allein in der löblichen Absicht zu uns, uns einige wohlgemeinte Warnungen zu geben. Der gute Mann hätte sich die Mühe ersparen können, wir wussten, wie alle Neuankommenden, das alles besser.

       Er hatte die meiste Zeit seines Aufenthaltes in Pennsylvanien gelebt und redete, wie die dortigen Bürger, alle Leute mit du an. „Nehmt euch vor den Amerikanern in acht“, sagte er, „sie betrügen euch, wo sie können; wenn ihr aber einmal einem vertrauen müsst, so vertraut lieber einem Amerikaner als einem Deutschen. Es ist eine Schande für die Deutschen, es ist aber wahr. Hütet Euch vor ihnen, denn sie sind gegen ihre Landsleute viel schlimmer als gegen alle anderen, weil diese“, setzte er vertraulich hinzu, „immer die dümmsten sind. Wenn Ihr nach New-York kommt, so geht nicht in die Kneipen nahe am Wasser – William Tell und wie sie alle heißen, – es sind Mordhöhlen; tut ihr's dennoch, so ist es Euch eigene Schuld, und Ihr dürft euch nicht beklagen.“ In dieser Art redete er noch lange fort, und obgleich ich damals keine Ausnahme von der allgemeinen Regel machte, d. h. alles besser wissen und diesen bösen Warnungen nicht glauben wollte, weil sie nicht mit meinen Ideen übereinstimmten, so habe ich doch später gefunden, wie recht der Mann hatte. Nur in der einen Sache hatte er nicht ganz recht, dass er die Deutschen allein als Betrüger anklagte. Allerdings für ihre Landsleute sind sie die gefährlichsten; die dortigen Landhaie suchen sich aber eben immer und ganz hauptsächlich ihre Landsleute aus, weil sie deren Sprache am besten verstehen, und diese, sobald sie an der fremden Küste die heimischen Laute hören, denen, die sie reden, auch am leichtesten vertrauen. Der Franzose sucht sich den Franzosen, der Deutsche den Deutschen, der Engländer den Engländer, und was er aus ihm herauspressen kann, geschieht mit Vergnügen. „Sie werden das Geld doch hier in Amerika los“, trösten und entschuldigen sie sich dabei, „und es ist doch besser, dass es ein Landsmann bekommt, als einer der verdammten Fremden.“

      Wir СКАЧАТЬ