Der Bauch von Paris: mehrbuch-Weltliteratur. Emile Zola
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Название: Der Bauch von Paris: mehrbuch-Weltliteratur

Автор: Emile Zola

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783753199191

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СКАЧАТЬ daß er zurückging, um in die Rue SaintDenis einzubiegen. Dort geriet er wieder in das Gemüse. Auf beiden Seiten hatten die Markthändler gerade ihre Stände aus auf hohe Körbe gelegten Brettern errichtet, und die Sintflut von. Kohl, Möhren und Kohlrüben begann von neuem. Die Hallen flossen über. Er trachtete aus dieser Woge herauszukommen, die ihn in seiner Flucht einholte. Er versuchte es mit der Rue de la Cossonnerie, der Rue Berger, dem Square des Innocents, der Rue de la Ferronnerie und der Rue des Halles. Und er blieb stehen, entmutigt, verstört, weil er sich aus diesem Teufelsreigen von Kraut nicht zu befreien vermochte, der schließlich um ihn herumtanzte und mit seinem feinen Grün seine Beine umschlang. In der Ferne verloren sich bis zur Rue de Rivoli, bis zum Place de l'HôteldeVille hin endlose Züge von Rädern und vorgespannten Tieren in dem Durcheinander der Waren, die aufgeladen wurden. Große Rollwagen schafften den Einkauf der Obsthändler eines ganzen Viertels weg; Breaks, deren Seitenwände krachten, fuhren in die Außenbezirke ab. In der Rue du PontNeuf verirrte er sich vollends. Er stolperte mitten in einen Abstellplatz für Handwagen hinein; Straßenhändler richteten hier ihre fliegenden Stände her. Unter ihnen erkannte er Lacaille, der, eine Karre voll Möhren und Blumenkohl vor sich her schiebend, in die Rue SaintHonoré einbog. Florent folgte ihm in der Hoffnung, daß er ihm helfen werde, aus dem Gewühl herauszukommen. Das Pflaster war glitschig geworden, obwohl trockenes Wetter herrschte: Haufen von Artischockenstielen, welken Blättern und Stengeln machten die Fahrbahn gefährlich. Bei jedem Schritt strauchelte er. Er verlor Lacaille in der Rue Vauvilliers. Bei der Getreidehalle waren die Straßenenden durch ein neues Hindernis von Fuhrwerken und Karren versperrt. Er versuchte nicht mehr dagegen anzukämpfen; die Markthallen hatten ihn wieder eingefangen, die Woge trug ihn zurück. Langsam kehrte er um und fand sich erneut an der Pointe Saint Eustache.

      Jetzt vernahm er ein anhaltendes Rollen, das von den Markthallen ausging. Paris zerkaute die Bissen für seine zwei Millionen Einwohner. Es war, als schlage ein mächtiges Herz wie rasend und schleudere das Blut des Lebens in alle Adern. Geräusch riesiger Kinnladen, polternder Lärm der Nahrungsbeschaffung, vom Peitschenknallen der zu den Märkten der Stadtviertel aufbrechenden Großhändler bis zu den schlürfenden Schlappen der armen Frauen, die von Tür zu Tür gehen, um aus Körben Salatköpfe anzubieten.

      Er betrat eine überdachte Straße links in der Gruppe der vier Hallen, deren großen schweigenden Schatten er in der Nacht bemerkt hatte. Er hoffte, sich dorthin zu flüchten, dort irgendeinen Schlupfwinkel zu finden. Aber um diese Stunde waren sie erwacht wie die andern. Er ging bis ans Ende der Straße. Im Trab kamen kleine Rollwagen angefahren und überfüllten den Markt von La Vallée mit Käfigen voll lebendem Geflügel und viereckigen Körben, in denen totes Geflügel eng aufeinandergeschichtet war. Auf dem gegenüberliegenden Bürgersteig luden andere Rollwagen ganze Kälber aus, die in ein Tuch gewickelt waren und der Länge nach wie Kinder in Waschkörben lagen, aus denen nur die vier blutigen, weitauseinandergespreizten Stümpfe herausragten. Außerdem waren da ganze Hammel, Rinderviertel, Lenden und Schulterstücke. Die Fleischer mit großen weißen Schürzen zeichneten das Fleisch mit einem Stempel, fuhren es weg, wogen es ab und hängten es an Stangen zur Versteigerung aus. Das Gesicht an die Gitter gepreßt, beobachtete Florent diese Reihen herunterhängender Leiber, die roten Rinder und Hammel, die vom Fett und den Sehnen gelbgefleckten blasseren Kälber mit ihren aufgeschlitzten Bäuchen. Weiter ging er zum Kaldaunenmarkt hinüber, unter die bleichen Kalbsköpfe und füße, die säuberlich zu Packen zusammengerollten Kaidaunen in Kisten, die lecker in flachen Körben aufgereihten Hirne, die blutigen Lebern, die blaßvioletten Nieren. Er blieb bei den langen zweirädrigen, mit bauschigen Planen gedeckten Karren stehen; sie brachten halbe Schweine heran, die zu beiden Seiten an den Wagenleitern oberhalb einer Strohschicht befestigt waren. Die offenen Hinterteile der Karren ließen im flammenden Schimmer dieser regelmäßigen und nackten Fleischmassen von brennenden Kerzen umgebene Katafalke und Tabernakelvertiefungen sehen, und auf der Strohschicht standen Weißblechbüchsen voll Schweineblut. Eine dumpfe Wut erfaßte Florent; der fade Schlachthofgeruch und der scharfe Kaldaunengeruch brachten ihn zur Verzweiflung. Er trat aus der überdachten Straße und zog es vor, noch einmal zum Bürgersteig der Rue du PontNeuf zurückzukehren.

      Es war ein Ringen mit dem Tode. Morgendliches Frösteln überkam ihn, er klapperte mit den Zähnen; er hatte Angst, hinzufallen und auf der Erde liegenzubleiben. Er suchte und fand nicht eine Ecke auf einer Bank; er wäre dort eingeschlafen, und es war ihm gleich, von Schutzleuten geweckt zu werden. Dann lehnte er sich, die Augen geschlossen, ein Sausen in den Ohren, mit dem Rücken an einen Baum, als blende ihn ein Flimmern. Die rohe Mohrrübe, die er, fast ohne sie zu kauen, hinuntergeschlungen hatte, zerriß ihm den Magen, und das Glas Punsch hatte ihn benebelt. Er war benebelt vor Elend, Erschöpfung und Hunger. Ein glühendes Feuer brannte ihm von neuem in der Brusthöhle; für Augenblicke faßte er mit beiden Händen dahin, wie um ein Loch zu verstopfen, durch das er, wie er glaubte, sein ganzes Sein entfliehen fühlte. Der Bürgersteig schwankte weit; sein Schmerz wurde so unerträglich, daß er wieder gehen wollte, um ihn zum Schweigen zu bringen. Er ging geradeaus, geriet in Gemüse und verlor sich darin. Er schlug einen schmalen Seitenweg ein, bog in einen anderen ab, mußte umkehren, irrte sich und war wieder mitten im Gemüse. Einige Haufen waren so hoch, daß die Menschen zwischen zwei aus Packen und Bunden errichteten Mauern umhergingen. Die Köpfe ragten ein wenig darüber hinaus; an dem weißen oder schwarzen Fleck der Kopfbedeckungen sah man sie vorüberziehen, und die großen, in Höhe der Blätter schwankenden Kiepen glichen Nachen aus Weidenruten, die auf einem See von Moos schwammen. Florent stieß gegen tausend Hindernisse, gegen Träger, die Lasten aufnahmen, gegen Händlerinnen, die mit ihren rauhen Stimmen herumstritten. Er glitt aus auf der dicken Schicht von Kehricht und Obstresten, die den Fahrdamm bedeckte. Der starke Geruch der zertretenen Blätter benahm ihm den Atem. Da blieb er stumpfsinnig stehen; er nahm die Stöße der einen und die Schimpfworte der anderen hin. Er war nur noch eine Sache, die auf dem Grunde des steigenden Meeres hin und her geschlagen und gewälzt wurde.

      Eine tiefe Mutlosigkeit befiel ihn. Er hätte am liebsten gebettelt. Sein alberner Stolz in der Nacht brachte ihn außer sich. Wenn er das Almosen von Frau François angenommen, wenn er nicht wie ein Blödling vor Claude Angst gehabt hätte, wäre er nicht mehr hier am Verröcheln zwischen diesen Kohlköpfen. Und er ärgerte sich vor allem, daß er sich nicht bei dem Maler über die Rue Pirouette erkundigt hatte. Jetzt war er allein und konnte auf dem Pflaster verrecken wie ein verlorener Hund.

      Ein letztes Mal blickte er auf und betrachtete die Markthallen. Sie flammten in der Sonne. Ein großer Strahl drang hinten in den Eingang der überdachten Straße und durchbohrte die Masse der Hallen mit einem Säulengang von Licht; und prasselnd fiel auf die Fläche der Dächer ein glühender Regen. Das ungeheure Eisengebälk verschwamm, wirkte blau und war nur noch ein dunkler Schattenriß auf den Flammen der Feuersbrunst im Osten. Oben entzündete sich ein Fenster. Ein Tropfen Helligkeit rollte an den schrägen breiten Zinkblechplatten bis zu den Dachrinnen hinab. Das war jetzt eine in fliegendem Goldstaub brodelnde Stadt. Das Erwachen war angewachsen vom Schnarchen der Gemüsebauern, die unter ihren Mänteln dalagen, bis zum lebhafteren Wirbel der eintreffenden Waren. Die ganze Stadt zog jetzt die Gitter hoch; das Straßenpflaster summte, die Hallen dröhnten. Alle Stimmen setzten ein – man möchte sagen – in einem meisterhaften Erstrahlen dieses Tonsatzes, den Florent seit vier Uhr morgens im Dunkel sich dahinschleppen und anschwellen hörte. Rechts, links, von allen Seiten brachte Versteigerungsgekreisch die spitzen Töne der Pikkoloflöte in die dumpfen Bässe der Menge. Das war beim Seefisch, das bei der Butter, das beim Geflügel, das beim Fleisch. Glockenläuten wehte herüber, und hinterdrein bebte das Murmeln der Märkte, die geöffnet wurden. Rings um Florent setzte die Sonne das Gemüse in Flammen. Er erkannte das zarte Aquarell der bleichen Morgendämmerung nicht mehr wieder. Die weiter gewordenen Herzen des Salats brannten. Die Tonleiter des Grüns rauschte in strotzender Pracht. Die Möhren bluteten; die Rüben wurden weißglühend in diesem sieghaften Brand. Links von Florent stürzten noch immer Fuhrwerke mit Kohl unter ihrer Last fast zusammen. Er wandte den Blick und sah in der Ferne Rollwagen, die unaufhörlich aus der Rue Turbigo einmündeten. Das Meer stieg weiter. Er hatte es an seinen Knöcheln gefühlt, dann an seinem Bauch; jetzt drohte es, ihm über den Kopf zu gehen. Geblendet, ertränkt, mit sausenden Ohren und den Magen zermalmt von allem, was er gesehen, und neue unendliche Tiefen von Nahrung ahnend, bat er um Gnade, und СКАЧАТЬ