Название: Der Bauch von Paris: mehrbuch-Weltliteratur
Автор: Emile Zola
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783753199191
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»Das macht siebzehn Sous?«
»Nein, vierunddreißig.«
Sie einigten sich auf fünfundzwanzig. Frau François wollte nach Hause. Als sich Lacaille mit den Möhren in seinem Sack entfernt hatte, sagte sie zu Florent:
»Sehen Sie, er hat mir aufgelauert. Auf dem ganzen Markt feilscht er herum, ohne etwas zu kaufen; manchmal wartet er bis zum letzten Glockenschlag, um für vier Sous Ware zu erstehen ... Ach, diese Pariser! Die streiten sich wegen eines halben Sous und gehen dann zum Weinausschank ihr ganzes Geld versaufen.«
Wenn Frau François über Paris sprach, war sie voller Spott und Geringschätzung; sie behandelte es als eine weit entlegene, durch und durch lächerliche und verachtungswürdige Stadt, in die sie nur nachts den Fuß zu setzen gesonnen war.
»Jetzt kann ich fortgehen«, redete sie weiter und setzte sich wieder neben Florent auf das Gemüse einer Nachbarin.
Florent senkte den Kopf, er hatte eben einen Diebstahl verübt. Als Lacaille davongegangen war, hatte er auf dem Erdboden eine Möhre liegen sehen. Er hatte sie aufgehoben und hielt sie in seiner rechten Hand umklammert. Hinter ihm verströmten Selleriebündel und Petersilienhaufen verwirrende Gerüche, die ihn an der Kehle packten.
»Ich werde jetzt gehen«, wiederholte Frau François.
Sie nahm Anteil an diesem Unbekannten; sie fühlte, wie er litt auf diesem Bürgersteig, von dem er sich nicht weggerührt hatte. Sie bot ihm von neuem ihre Hilfe an, aber er lehnte wieder ab mit noch starrerem Stolz als vorher. Er stand sogar auf, hielt sich gerade, um zu beweisen, daß er munter und guter Dinge war. Und als sie den Kopf wandte, steckte er die Möhre in den Mund. Aber er mußte sie einen Augenblick still halten, trotz des schrecklichen Verlangens, mit den Zähnen zuzubeißen; die Bäuerin blickte ihm wieder ins Gesicht und stellte ihm mit der Neugierde einer biederen Frau Fragen. Um nicht zu sprechen, antwortete er mit Kopfbewegungen. Dann aß er vorsichtig und langsam die Möhre.
Die Gemüsebäuerin schickte sich entschieden an aufzubrechen, als dicht neben ihr eine laute Stimme sagte:
»Guten Morgen, Madame François.«
Es war ein dürrer, bärtiger Bursche mit groben Knochen, einem mächtigen Kopf, feiner Nase und kleinen hellen Augen. Er trug einen schwarzen, fuchsig gewordenen Filzhut, der seine Form verloren hatte, und war tief in einen riesigen Überzieher eingeknöpft, der einst zart kastanienbraun gewesen war und den der Regen in langen breiten grünlichen Streifen verfärbt hatte. Ein wenig gebeugt und von dem üblichen Schauer nervöser Unruhe geschüttelt, blieb er wie festgewurzelt in seinen groben Schnürschuhen stehen, und seine zu kurzen Hosen ließen seine blauen Strümpfe sehen.
»Guten Morgen, Herr Claude«, antwortete freundlich die Gemüsebäuerin. »Sie wissen, ich habe Sie am Montag erwartet; und weil Sie nicht gekommen sind, habe ich Ihr Bild in Verwahrung genommen und in meiner Stube an einem Nagel aufgehängt.«
»Sie sind zu gütig, Madame François; dieser Tage werde ich meine Studie beendigen kommen ... Am Montag konnte ich nicht ... Hat Ihr großer Pflaumenbaum noch alle seine Blätter?«
»Gewiß.«
»Ich will ihn nämlich in eine Ecke des Bildes setzen. Links vom Hühnerstall wird er sich gut machen. Die ganze Woche habe ich darüber nachgedacht ... Ah! Das schöne Gemüse heute morgen! Ich bin früh heruntergekommen, weil ich ahnte, daß es über diesen Bergen von Kohl einen herrlichen Sonnenaufgang geben wird.« Er zeigte mit einer Handbewegung auf die ganze Länge des Pflasters.
Die Gemüsebäuerin sagte noch:
»Nun also, ich gehe. Lebt wohl ... Auf bald, Herr Claude!« Und als sie aufbrach, stellte sie Florent dem jungen Maler vor: »Das hier ist ein Herr, der von weither zurückkommt, wie es scheint, und der sich in Ihrem lumpigen Paris nicht mehr zurechtfindet. Vielleicht können Sie ihm eine richtige Auskunft geben.« Endlich ging sie, glücklich, die beiden Männer zusammen zurückzulassen.
Claude betrachtete Florent mit Anteilnahme; diese lange, dünne und schwankende Gestalt kam ihm irgendwie eigentümlich vor. Die Vorstellung durch Frau François genügte; und mit der Unbefangenheit eines an zufällige Begegnungen jeder Art gewöhnten Straßenbummlers meinte er gelassen zu ihm:
»Ich werde Sie begleiten. Wohin gehen Sie?«
Florent blieb gehemmt. Er war wenig mitteilsam; aber seit seiner Ankunft hatte er eine Frage auf den Lippen. Endlich wagte er sich damit hervor; er fragte und hatte dabei Angst vor einer verdrießlichen Antwort:
»Ist die Rue Pirouette noch vorhanden?«
»Natürlich«, sagte der Maler. »Ein höchst reizvoller Winkel des alten Paris, diese Straße! Sie dreht sich wie eine Tänzerin, und die Häuser da haben Bäuche schwangerer Frauen ... Ich habe von dieser Straße eine Radierung gemacht, die nicht allzu schlecht ist. Wenn Sie zu mir kommen, zeige ich sie Ihnen ... Dorthin wollen Sie also?«
Erleichtert und aufgemuntert durch die Nachricht, daß die Rue Pirouette noch vorhanden war, beteuerte Florent, er wolle nicht dorthin, und versicherte, er müsse nirgendwohin. Sein ganzes Mißtrauen erwachte wieder bei Claudes Beharrlichkeit.
»Das macht nichts«, erklärte der, »gehen wir trotzdem zur Rue Pirouette. Nachts ist sie von einer Farbe! Kommen Sie, es sind nur zwei Schritt.«
Florent mußte ihm folgen. Sie gingen Seite an Seite wie zwei Kameraden und stiegen dabei über die Körbe und das Gemüse hinweg. Auf dem Pflaster der Rue Rambuteau lagen riesige Stapel von Blumenkohlköpfen, die mit überraschender Regelmäßigkeit wie Kanonenkugeln aufgeschichtet waren. Das weiße und zarte Fleisch des Kohls erblühte wie ungeheure Rosen inmitten der dicken grünen Blätter, und die Haufen glichen auf Riesenblumentischen aufgereihten Brautsträußen. Claude blieb stehen und stieß leise Bewunderungsrufe aus.
Dann zeigte er auf die vor ihnen liegende Rue Pirouette und erklärte jedes Haus. Eine einzige Gaslaterne brannte an einer Ecke. Die zusammengehäuften, ausgebauchten Häuser streckten unten ihre Regenschutzdächer vor die »Bäuche schwangerer Frauen«, wie sich der Maler ausgedrückt hatte, neigten sich mit ihren Giebeln zurück und stützten sich gegenseitig mit den Schultern. Drei oder vier dagegen, die ganz hinten in dem dunklen Loch standen, schienen jeden Augenblick auf die Nase fallen zu wollen. Die Gaslaterne beleuchtete eines davon, das ganz weiß und neu getüncht war, mit seiner Gestalt einer alten gebrechlichen und schlaff gewordenen Frau, die über und über weiß gepudert und grell geschminkt ist wie ein junges Mädchen. Dahinter erstreckte sich die verbeulte Reihe der anderen und versank in tiefes Schwarz, rissig und grün geworden durch den abfließenden Regen, und in solch einem Durcheinander von Farben und Formen, daß Claude vor Entzücken darüber lachte. Florent war an der Ecke der Rue Mondétour gegenüber dem vorletzten Haus zur Linken stehengeblieben. Die drei Stockwerke mit ihren zwei Fenstern ohne Jalousien und ihren kleinen weißen, hinter den Scheiben sorgfältig zugezogenen Vorhängen schliefen. Oben ging hinter den Vorhängen eines schmalen Giebelfensters ein Licht hin und her. Aber der Laden unter dem Regenschutzdach schien Florent in ungewöhnliche Erregung zu versetzen. Eben wurde er geöffnet. Es war ein Laden, in dem es gekochtes Gemüse gab. Im Hintergrund glänzten Kochkessel. Spinat und Schikoreepasteten in Terrinen auf dem Auslagetisch waren abgerundet und liefen spitz aus, bereits aufgeschnitten mit kleinen Schaufeln, von denen nur der blanke Metallgriff zu sehen war. Bei diesem Anblick blieb Florent wie festgenagelt stehen. Er erkannte den Laden wohl nicht wieder. Er las den Namen des Kaufmanns Godebœuf auf einem roten СКАЧАТЬ