Название: Ein Lotterielos
Автор: Jules Verne
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783754184370
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»Ich werde mich also morgen mit all diesen Dingen befassen,« versetzte Frau Hansen; »in zwei Stunden denke ich die nötigen Einkäufe besorgt zu haben, der Bote mag alles herschaffen, und ich komme dann mit Joel in der Karriole zurück.«
»Falls Ihr den Postboten unterwegs trefft, Mutter, dann vergeßt doch nicht zu fragen, ob er etwa für uns einen Brief hat.«
»Für dich, meinst du doch? Na, das kann schon der Fall sein, denn der letzte Brief von Ole ist wohl schon vier Wochen alt.«
»Ja, ja, Mutter, vier Wochen – ganze vier Wochen!«
»Laß dich das nicht bekümmern, Hulda! Solche Säumnis kann doch uns nicht verwundern! Wenn übrigens der Postbote von Möl nichts gebracht hat, so kann doch auch, was über Christiania nicht herkommt, über Bergen herkommen.«
»Ohne Frage, Mutter! ohne Frage!« antwortete Hulda; »aber warum redet Ihr denn so? Was mir das Herz schwer macht, ist doch bloß, daß es von hier bis zu den Neufundländer Fischgründen so weit ist! quer über ein ganzes großes Weltmeer; und wenn nun gar noch schlimmes Wetter ist! Fast ein ganzes Jahr ist nun mein armer Ole weg, und wer vermöchte zu sagen, wann er wieder bei uns in Dal sein wird?«
»Und ob wir noch da sein werden, wenn er heimkehrt!« flüsterte Frau Hansen, aber so leise, daß ihre Tochter es nicht hören konnte.
Hulda klinkte die Herbergstür zu, die auf den Wjesforddaler Weg hinaus führte, nahm sich aber nicht erst die Mühe, den Schlüssel im Schlosse herumzudrehen. Hier in dem gastlichen Norwegen sind solche Vorsichtsmaßregeln nicht nötig. Hier müsse, meint man, jeder Wanderer, ob bei Tage ober bei Nacht, in dem Wohnhause der Gaards Gaard: Gehöft, Landgut. oder Soeters Soeter: Vorwerk, Siedelstätte. Eingang finden können, ohne daß ihm erst jemand aufzumachen brauche.
Besuche durch Landstreicher oder Bösewichte hat man hierzulande nicht zu befürchten, weder auf den einsamen Pachthöfen, noch in den abgelegensten Weilern. Noch nie hat hier ein verbrecherischer Anschlag gegen Gut oder Leben die Sicherheit der Bewohner gefährdet!
Mutter und Tochter wohnten in zwei Stuben nach vorn heraus im Oberstock der Herberge. Es waren zwei frische, reinliche Stuben, freilich mit bescheidenem Mobiliar, aber was man drin sah, verriet die sorgende Hand einer tüchtigen Hausfrau. Ein Stock höher, unterm Dache, das über die Grundmauer vorsprang wie bei einem Schweizerhause, lag Joels Stube. Sie bekam ihr Licht durch ein Fenster, das in einem nicht ohne Geschmack aus Tannenholz geschnitzten Rahmen saß. Von dieser Dachstube aus reichte der Blick über einen majestätischen Gebirgshorizont, bis in den tiefen Grund des engen Tales hinunter, wo der Maan, halb Gieß-, halb Waldbach, tobte. Von der großen Stube im Erdgeschoß zu den oberen Stockwerken hinauf führte eine Holztreppe mit wuchtigem Geländer und spiegelblanken Stufen. Einen Anblick von so anheimelnder Art, wie dieses norwegische Haus ihn bot, in welchem der Wanderer eine Bequemlichkeit und einen Wohlstand antraf wie nur selten in norwegischen Herbergen, konnte man sich kaum vorstellen.
Hulda und ihre Mutter bewohnten also das obere Stockwerk. Dorthin zogen sie sich, wenn sie allein waren, beizeiten zurück. Schon hatte Frau Hansen, die mit einem bunten Leuchter in der Hand voraus ging, die ersten Stufen der Holztreppe hinter sich, als sie noch einmal stehen blieb.
Es klopfte draußen, und eine Stimme rief:
»He, Frau Hansen! Frau Hansen!«
Frau Hansen ging die Stufen wieder hinunter.
»Wer kann denn so spät noch etwas wollen?« fragte sie.
»Es wird doch dem Joel nichts zugestoßen sein?« versetzte lebhaft Hulda.
Gleich war sie an der Tür.
Ein junger Bursch stand dort: einer von jenen halbwüchsigen Jungen, die dem Gewerbe eines »Skydskarl« ober »Schußknechts« nachgehen, das darin besteht, hinten auf der Karriole aufzusitzen und von der Station ober dem Endziel der Fahrt das Pferd wieder heimzureiten. Der Schußknecht, der vor Frau Hansens Herberge stand, dicht an der Schwelle, war zu Fuß, also ohne Pferd, gekommen.
»He! was willst denn zu solcher Zeit?« fragte Hulda.
»Fürs erste Euch guten Abend wünschen,« versetzte der junge Bursche.
»Ist das alles?«
»Nein! nicht alles, aber soll man nicht immer höflich sein, wenn man was bei jemand will?«
»Hast recht! Na, wer schickt dich denn?«
»Ich komme im Auftrag Eures Bruders, des Joel!«
»Vom Joel? und aus welcher Ursach?« erwiderte Frau Hansen.
Sie kam zur Tür hin, mit jenem langsamen, gemessenen Schritte, der das Kennzeichen der in Norwegen üblichen Gehweise bildet. Daß sich in den Adern ihres Erdreichs Quecksilber findet, soll Geltung haben; in den Adern ihres Leibes aber ist von diesem beweglichen Stoffe wenig oder nichts vorhanden. Immerhin mochte die Antwort des Burschen die Mutter in eine gewisse Aufregung versetzt haben, denn sie beeilte sich, weiter zu fragen:
»Meinem Sohne ist doch nichts zugestoßen?«
»O doch! es ist ein Brief gekommen; der Postbote von Christiania hat ihn gebracht – von Drammen.«
»Ein Brief? und von Drammen?« fragte, die Stimme senkend, Frau Hansen lebhaft.
»Kann nichts sagen,« antwortete der junge Bursch; »was ich weiß, ist, daß Joel vor morgen nicht heimkommen kann, und daß er mich deshalb mit dem Briefe hergeschickt hat.«
»Also ist es eilig?«
»Wie es scheint.«
»Gib her,« sagte Frau Hansen mit einer Stimme, die eine ziemliche lebhafte Unruhe verriet.
»Hier habt Ihr ihn, ganz sauber und nicht zerknittert! Bloß ist er nicht an Euch adressiert!«
»Und an wen sonst?« fragte sie, scheinbar minder beklommen.
»An Eure Tochter.«
»An mich?« rief Hulda. »Also ein Brief von Ole! ganz gewiß, Mutter – mit der Post über Christiania. Joel hat mich warten lassen wollen!«
Hulda hatte den Brief genommen, war zu dem Tische getreten, auf dem der Leuchter stand, hatte den Brief an das Licht gehalten und die Aufschrift angesehen.
»Ja!« sagte sie, »ein Brief von ihm, Mutter! richtig von ihm! möchte er mir doch melden, daß der »Biken« auf der Heimfahrt ist.«
Unterdes fragte Frau Hansen den Burschen:
»Du trittst nicht ein?«
»Auf eine Minute schon! muß aber noch heute abend heim, weil ich morgen früh eine Karriolfahrt habe.«
»Na, dann sage Joel, daß ich ihn in Möl treffen will, er soll auf mich warten.«
»Morgen abend?«
»Nein! in der Frühe! er soll nicht von Möl weg, sondern auf mich dort warten!«
»Abgemacht, Frau Hansen!«
»Nun, СКАЧАТЬ