Multisystem-Erkrankungen erkennen und verstehen. Sibylle Reith
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Название: Multisystem-Erkrankungen erkennen und verstehen

Автор: Sibylle Reith

Издательство: Bookwire

Жанр: Медицина

Серия:

isbn: 9783754949412

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СКАЧАТЬ unerklärliche Symptome

      Ein Komitee des Institute of Medicine/IOM (Washington, USA) veröffentlichte 2013 eine Publikation, die sich mit „Chronischen Multisymptom-Erkrankungen“ befasste und Behandlungs-Optionen untersuchte. Das IOM-Komitee betonte, dass die für die Golfkriegs-Veteranen beschriebenen Symptome nicht nur bei dieser Gruppe zu finden waren, sondern auch in der zivilen Bevölkerung weite Verbreitung zeigten. Für vergleichbare Erkrankungen im zivilen Bereich wurden Begriffe wie “Medically unexplained (physical) symptoms/MU(P)S”, auf Deutsch: „Medizinisch unerklärbare (körperliche) Symptome“ oder „Funktionelle somatische Störung“ verwendet.

Diese “Medically unexplained (physical) symptoms/MU(P)S” ließen sich weder bei den definierten psychischen Erkrankungen einordnen noch als organische Erkrankungen im klassischen Sinne. [Ü.d.A.] 2.1/2 Burton

      Mediziner vermuteten, dass diese Art von Erkrankung multifaktoriell verursacht sei und physiologische, psychologische und soziale Faktoren einschließe. Eine niederländische Studie, die 2009 veröffentlicht wurde, zeigte, dass nahezu 60 % der Patienten, die unter „unerklärbaren Symptomen“ litten, auch nach zwölf Monaten noch keine Diagnose erhalten hatten. 2.1/3 Koch et al. Um dieser rätselhaften Erkrankung anhand einer Falldefinition näherzukommen, verfasste das IOM-Komitee eine Definition für Multisymptom-Erkrankungen. Die englischsprachige Abkürzung lautet „CMI“ für Chronic Multisymptom Illness. Diese Abkürzung wird in anderen Veröffentlichungen auch für „chronic multisystem illness“ verwendet.

      Definition des US-amerikanischen IOM-Komitees für Chronische Multisymptom-Erkrankungen/CMI (2013)

      „CMI ist ein komplexer, uneinheitlicher Zustand, und seine Falldefinition kann sich ändern, wenn neue wissenschaftliche Informationen auftauchen. Für die Zwecke dieses Berichts hat der Ausschuss CMI wie folgt definiert:

      Das Vorhandensein eines Spektrums chronischer Symptome, die in mindestens zwei von sechs Kategorien – Müdigkeit, Stimmung und Kognition, Muskel-Skelett, Magen-Darm, Atmung und Neurologie – auftreten, die mit bekannten Syndromen (wie Reizdarm, CFS und Fibromyalgie) oder anderen Diagnosen überlappen können, aber nicht vollständig erfasst werden.

      Es ist wichtig zu beachten, dass die Definition des Ausschusses keine Syndrome mit genau definierten diagnostischen Kriterien wie Reizdarm, CFS und Fibromyalgie umfasst. Aufgrund der gemeinsamen Symptome können jedoch wirksame Therapien für diese definierten Syndrome für Patienten mit CMI von Vorteil sein.“ [Ü.d.A.] 2.1/4 IOM

      2.2 Erworbene Multisystem-Erkrankungen

      Multisymptom- oder Multisystem-Erkrankung?

Während für „chronic multisymptom illness“ eine erste, weit gefasste Definition vorliegt, scheint es für den Begriff „Multisystem-Erkrankung“ keine ausgearbeitete einheitliche Definition zu geben. Je nach Quelle werden sehr unterschiedliche Erkrankungen unter diesem Begriff subsummiert.

      Die medizinische Herausforderung unserer Zeit

      Bei Erworbenen multisystemischen (Komplex-)Erkrankungen scheinen alle Faktoren variabel, uneinheitlich und kaum greifbar zu sein: Die Symptome, der Verlauf, die Schwere, die Auslöser und die Ursachen. Betroffene leiden unter zahlreichen, meist unspezifischen und oft kaum lokalisierbaren Beschwerden. In Studien werden bis zu 200 unterschiedliche Symptome aufgezählt. Diese organübergreifenden „Ganzkörper“-Phänomene, die auf regulativen Störungen beruhen, werden als „systemisch“ bezeichnet. Als organübergreifende Ganzkörper-Erkrankungen erfüllen sie weder die Kriterien der Organpathologie im klassischen Sinn noch die der klassischen Infektionskrankheiten. Die Patientengruppen sind selbst bei gleicher Diagnose sehr heterogen.

      Sie lassen sich auch nicht, das ist wichtig, als Primäre Psychische und Psychiatrische Erkrankungen klassifizieren. (Für PTBS lesen Sie bitte Kapitel 11).

EmKE sind multikausal begründetEs gibt nicht die eine Ursache, sondern stets mehrere (Summenbelastung). Dabei spielen biologische, chemische, physikalische und psychosoziale Belastungen eine jeweils individuell zu gewichtende Rolle. Stoffliche (z.B. Viren, Umweltschadstoffe) und nichtstoffliche (z.B. elektromagnetische) Reize interagieren synergistisch und ziehen biochemisch ähnliche Reaktionskaskaden nach sich.
EmKE betreffen multiple Regulations-SystemeDurch quantitativ und qualitativ unüberschaubare Einflüsse werden die regulierenden Abläufe im Immun-, Hormon- und Nervensystem extrem herausgefordert. Dadurch entstehen einmalige, individuelle Kombinationen von multisystemischen Fehlsteuerungen. Auch die Psyche wird in Mitleidenschaft gezogen.
EmKE betreffen multiple Organe in ihrer FunktionsfähigkeitDie Fehlsteuerungen betreffen den ganzen Organismus. Sie haben funktionelle Auswirkungen auf mehrere Gewebe, Strukturen und Organe. Sie führen zu meist unspezifischen Symptomen. Patienten beschreiben typischerweise, dass die Beschwerden „überall und nirgends“ auftreten.
EmKE zeigen multiple SymptomeBei den drei EmKE werden jeweils spezifische Leitsymptome beschrieben. Typischerweise treten zugleich zahlreiche unspezifische Symptome auf – die häufigsten sind Schmerzen und Fatigue.
EmKE bedürfen einer multimodalen Diagnostik und TherapieErkrankungen, die aus so vielen Variablen entstehen sind „einzigartig“. Kein Patient ist identisch mit einem anderen, auch wenn es bei den EmKE grobe Gemeinsamkeiten gibt, die als Symptom-Komplexe zusammengefasst werden. Der multisystemisch erkrankte Patient benötigt die personalisierte, interdisziplinäre Diagnostik und Behandlung.

      Abb. 2.2/1 Die „Multis“ der EmKE

      COVID-19

Mit dem Post-COVID-19-Syndrom (Spätfolgen einer COVID-19-Infektion) entsteht vor unseren Augen gerade ein Paradebeispiel einer neuen multisystemischen Komplex-Erkrankung.

      Auch hier zeigen die üblichen Standard-Untersuchungen keine Befunde. Betroffene erleben und erleiden die typischen Merkmale, bzw. Hindernisse wie andere multisystemisch komplex Erkrankte, z. B. die Verharmlosung der Symptome, Stigmatisierung (trotz erwiesen COVID-19-Infektion), keine Anlauf- und Beratungsstellen, fehlende Therapieangebote, soziale Isolation und sozialrechtliche Minderversorgung. In Kapitel 10 wird die COVID-19 Erkrankung und das Post-COVID-Syndrom (PCS) beschrieben.

      Ein hochaktuelles Thema

      In Fachpublikationen wird zunehmend von multisystemischen Erkrankungen oder Beschwerden berichtet. Die Datenbank PubMed® zeigt die erste Publikation für den Suchbegriff „multisystem“ für das Jahr 1958. Es dauerte 54 Jahre, bis die Zahl der Publikationen 2012 vierstellig wurde (1.013 Publikationen). 2020 verzeichnet PubMed® einen sprunghaften Anstieg mit einer Verdoppelung der Publikationen von 1.404 im Jahr 2019 auf 2.214. Am 10.5.2021 hat die Zahl der Publikationen schon fast den Stand des Jahres 2019 eingeholt.

      In Zusammenhang mit COVID-19 Erkrankungen wird beispielsweise die Bezeichnung „Multisystem Inflammatory Syndrome in Children“ verwendet. Seit Juni 2020 gibt es mehrere Berichte über ein ähnliches multisystemisches Entzündungssyndrom bei Erwachsenen, das als „Multisystem Inflammatory Syndrome in adults“ bezeichnet wird.

      2.2.1 Erworbene Multisystemische Komplex-Erkrankungen/EmKE

      Multisystem-Erkrankungen

      In der Fachliteratur und in wissenschaftlichen Datenbanken wie PubMed® wird der Begriff „Multisystemische Erkrankung“ je nach Autor enger oder weiter gefasst verwendet, er kann z. B. alle (Zivilisations-)Erkrankungen einschließen oder sich auf einzelne Erkrankungen (z. B. Sarkaidose) beziehen.

      Multisystem-Erkrankungen nach Prof. Pall

      Im vorliegenden Buch geht es um sehr komplexe, СКАЧАТЬ