Krakatit. Karel Čapek
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Читать онлайн книгу Krakatit - Karel Čapek страница 9

Название: Krakatit

Автор: Karel Čapek

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783754186558

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СКАЧАТЬ Fenster glitt vorbei, eine Allee, ein dunkles Feld. »Hrrr.« Das Pferd trabte unermüdlich weiter und bewegte dabei die Beine so steif und unnatürlich, als wäre es längst tot.

      Prokop blickte seinen Mitreisenden von der Seite an. Es war ein alter Mann mit einem dicken Schal um den Hals. Er kaute ständig an etwas, schob es von einem Mundwinkel in den andern und spuckte es dann wieder aus. Da erinnerte sich Prokop, diese Gestalt schon einmal gesehen zu haben. Sie hatte dasselbe scheußliche Gesicht wie damals im Traum, als sie mit den hohlen Zähnen knirschte, bis sie splitterten, und sie dann stückweise ausspie. Es war merkwürdig und gräßlich zugleich.

      »Hrrrr.« Die Straße bildete eine Kehre, wand sich einen Hügel hinauf und wieder hinab. Dann tauchte ein Gutshof auf, ein Hund bellte, ein Mann kam die Landstraße daher und grüßte »Guten Abend«. Nun ging es bergan; immer mehr kleine Häuser tauchten auf. Der Postwagen bog ein, das hohe »Hrrr« brach plötzlich ab, und das Pferd blieb stehen.

      »Hier wohnt Doktor Tomesch«, sagte der Postkutscher.

       Prokop wollte etwas erwidern, war aber außerstande. Er bemühte sich, das niedrige Geländer loszulassen, doch die Finger waren verkrampft und klamm.

      »Wir sind da«, wiederholte der Postkutscher. Langsam ließ der Krampf nach; Prokop kletterte vom Bock herunter, er zitterte am ganzen Körper. Wie im Traum öffnete er eine Gartenpforte und klingelte an der Haustür. Drin erscholl wütendes Bellen; eine junge Stimme rief: »Ruhe, Hansi!« Die Türe öffnete sich, und Prokop fragte, kaum daß er die Zunge bewegen konnte: »Ist der Herr Doktor zu Hause?«

      Eine Weile blieb es still; dann sagte die junge Stimme: »Treten Sie ein!«

      Prokop befand sich in einer warmen Stube. Auf dem Tisch stand eine Lampe; es war zum Abendessen gedeckt; Buchenholz duftete. Ein alter Herr, die Brille auf der Stirn, erhob sich vom Tisch, ging auf Prokop zu und fragte: »Nun, wo fehlt's denn?«

      Prokop entsann sich nur trübe, weshalb er eigentlich hier war. »Ich . . . nämlich . . .«, begann er verwirrt, »ist Ihr Sohn daheim?«

      Der alte Herr sah Prokop aufmerksam an. »Nein. Was ist Ihnen?«

      »Georg . . . Georg«, murmelte Prokop, »ich . . . ich bin sein Freund und bringe ihm . . . ich soll ihm etwas übergeben . . .« Er suchte in den Taschen nach dem versiegelten Umschlag. »Es handelt sich um . . . eine wichtige Sache, ich – ich –«

      »Georg ist nicht da«, unterbrach ihn der alte Herr. »Setzen Sie sich doch!«

      Prokop war sehr erstaunt. »Aber er hat doch . . . er hat mir doch gesagt, daß er hierher fährt. Ich muß mit ihm sprechen . . .« Der Fußboden unter ihm begann zu schwanken und zu weichen.

      »Anni, einen Stuhl!« rief der alte Herr mit merkwürdiger Stimme.

      Prokop vernahm noch einen gedämpften Aufschrei und brach zusammen. Unendliches Dunkel hüllte ihn ein. Dann war nichts mehr.

      6

      Nichts mehr. Nur wie im Nebel, der sich ab und zu teilte, wurden ein Muster der Wandmalerei sichtbar, der geschnitzte Rand eines Schrankes, ein Stück Gardine oder der Fries der Zimmerdecke. Manchmal neigte sich ein Gesicht gleichsam wie über einen Brunnenrand, ohne daß jedoch die Züge erkennbar wurden. Etwas ging vor, hin und wieder befeuchtete jemand die heißen Lippen oder hob den ohnmächtigen Körper auf; aber alles schwand wieder dahin und löste sich in verschwommene Bilder eines Traumes auf.

      Es waren Landschaften, Teppichmuster, Differentialrechnungen, feurige Kugeln, chemische Formeln. Zeitweise trieb etwas an die Oberfläche, wurde einen Augenblick lang zu einem klareren Traum, aber gleich darauf zerrann es wieder im breiten Strom der Bewußtlosigkeit.

      Endlich trat der Augenblick ein, da er erwachte. Er sah über sich eine anheimelnde, sichere Zimmerdecke mit einem Stuckfries, fand mit den Augen seine eigenen abgezehrten, todblassen Hände auf der geblümten Bettdecke und entdeckte dahinter die Bettleiste, einen Schrank und eine weiße Tür, alles gleichsam liebenswert still und vertraut. Er hatte keine Ahnung, wo er sich befand. Er wollte darüber nachdenken, doch sein Kopf war unsagbar matt. Alles begann wieder zu verschwimmen; da schloß er die Augen und ruhte, in seine Schwäche ergeben, aus.

      Die Tür knarrte leise. Prokop öffnete die Augen und setzte sich im Bett auf, als hätte ihn etwas emporgehoben. Ein Mädchen stand in der Tür, groß und schön, blickte aus klaren, ungemein erstaunten Augen und hielt ein weißes Linnen an die Brust gedrückt. Sie rührte sich nicht vor Verlegenheit; ihre langen Wimpern zuckten, und ihr rosiger Mund begann unsicher und scheu zu lächeln. Prokop blickte finster drein. Er bemühte sich angestrengt, etwas zu sagen, aber sein Kopf war leer. Er bewegte lautlos die Lippen und beobachtete das Mädchen mit strengen, nachdenklichen Augen.

      »Gúnúmai se, anassa«, kam es jäh und unbewußt von seinen Lippen, »theos ny tis é brotos essi?« Und weiter, Vers um Vers, strömte der göttliche Gruß, mit dem Odysseus Nausikaa angeredet hatte. »Flehend nah' ich dir, Hohe, der Göttinnen, oder der Jungfraun! Bist du der Göttinnen eine, die hoch obwalten im Himmel; Artemis gleich dann acht' ich, der Tochter Zeus der Erhabenen, dich an schöner Gestalt, an Größ' und jeglicher Bildung. Bist du der Sterblichen eine, die rings umwohnen das Erdreich, dreimal selig dein Vater fürwahr und die würdige Mutter, dreimal selig die Brüder zugleich! Muß ihnen das Herz doch stets von entzückender Wonne ob deiner Schöne durchglüht sein, wenn sie schaun, wie ein solches Gewächs hinschwebt zum Reihntanz!«

      Das Mädchen lauschte reglos, wie versteinert, dieser Begrüßung in einer ihr unbekannten Sprache. Ihre glatte Stirn kräuselte sich vor Verwirrung, und ihre Augen blickten so kindlich und unerschrocken, daß Prokop den Eifer des ans Ufer geschleuderten Odysseus verdoppelte, obgleich er selber nur unklar den Sinn der Worte begriff.

      »Keinos d'au peri kéri makartatos«, sagte er rasch her. »Aber wie ragt doch jener an Seligkeit hoch vor den andern, der mit Geschenk obsiegend, als Braut zum Heime dich führet! Denn noch nie so einen Sterblichen sah ich mit Augen, weder Mann noch Weib; mit Staunen erfüllt mich dein Anblick.«

      Das Mädchen war über und über errötet, als ob sie den Gruß des griechischen Helden verstanden hätte. Eine linkische und zugleich anmutige Verwirrung lähmte ihr die Glieder, und Prokop sprach, die Hände über der Bettdecke gefaltet, als ob er bete:

      »Da warf hierher mich ein Dämon, daß noch hier ich dulde des Weh's. Denn schwerlich ja wird's nun endigen; viel noch drohn mir vorher zu erfüllen die Götter!«

      Prokop atmete schwer und hob die erschreckend mageren Hände. »Alla, anass', eleaire! Aber erbarme dich, Hohe! Denn dir, nach unendlicher Trübsal, naht' ich zuerst hilflos – der anderen Sterblichen kenn' ich niemand, welche das Land und die Stadt hier bewohnen. Zeige mir jetzt doch die Stadt, und gib mir ein Stück zur Bedeckung, etwa ein Wickeltuch, worin du die Wäsche gebracht hast.«

      Nun hellte sich das Gesicht des Mädchens ein wenig auf, die feuchten Lippen öffneten sich leicht. Vielleicht wird Nausikaa antworten, aber Prokop wollte sie noch für das Wölkchen lieblichen Mitleids, das ihr Gesicht so rosig färbte, segnen. »Mögen die Götter dir schenken, so viel dein Herz nur begehret, einen Mann und ein Haus, und Fried euch gewähren und Eintracht, selige! Nichts ist wahrscheinlich so wünschenswert und erfreulich, als wenn Mann und Weib, in herzlicher Liebe vereinigt, ruhig ihr Haus verwalten; dem Feind ein kränkender Anblick, aber Wonne dem Freund, und mehr noch genießen sie selber.«

       Die letzten Worte hatte Prokop nur noch geflüstert. Er verstand sie selbst kaum. Sie entströmten fließend und ohne seinen Willen einem unbekannten СКАЧАТЬ