Название: Verspielte Erbschaften
Автор: Werner Linn
Издательство: Bookwire
Жанр: Социология
isbn: 9783847692102
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Sicher ist es einfacher, dem Bürger klarzumachen, dass wenn noch keine direkten Leistungen erbracht worden sind, grundsätzlich nur Leistungen beansprucht werden dürfen, wenn es sozial definitiv unumgänglich ist(123).
Gerade hier gibt es auch noch eine soziale Scham(124), die dazu führt, dass gewisse Leistungen zumindest von vielen Inländern nicht in Anspruch genommen werden, weil sie sich der Inanspruchnahme solcher Leistungen wie beispielsweise der Sozialhilfe schämen. Diese Scham ist aber nicht mehr so ausgeprägt und verbreitet wie früher und bei manchen Ausländern so gut wie nicht vorhanden.
Es bedarf hier eines Lernprozesses(125) im Rahmen des Sozialstaats, der in den Vordergrund zu stellen ist:
Die Gemeinschaft hat weniger Sozialaufwendungen, wenn weniger Inanspruchnahmen auf Leistungen zu verteilen sind.
Noch schwieriger zu erfassen sind dem Sozialstaatsgedanken entspringende Leistungen, die sich als solche überhaupt nicht mehr in einer Zahlung niederschlagen, wie z. B. die auf dem Sozialstaatsgedanken beruhende Lohnfortzahlung im Krankheitsfall des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber oder Kündigungsschutzvorschriften im Arbeits- oder Mietrecht. Auch hier ist das „Wir-Gefühl“ des gruppenegoistisch gestalteten Gemeinwesens in einer etwas besseren Lage, als im heutigen System(126).
Das heutige System ist gerade in diesen Bereichen mehr vom Gegeneinander als vom Miteinander der Wirtschaftskräfte geprägt. Was dem Gegner an Leistungen weggenommen wird, wird gruppenintern allgemein akzeptiert(127).
Nach einem entsprechenden Bildungs- und Besinnungsvorgang wird das Verhältnis Arbeitgeber/Arbeitnehmer anders zu betrachten sein und es wird deutlich ein Miteinander im Vordergrund stehen, so wie es heute schon bei kleineren Betrieben vielfach die Regel ist.
In solchen Betrieben ist sich der Arbeitnehmer sehr wohl bewußt, dass ein Überspannen des hier eben nicht vorhandenen krassen Klassengegensatzes die Existenz des Arbeitgebers und damit die eigene Existenz aufs Spiel setzen würde. Gerade dieser Vorgang aber ist gleichbedeutend mit dem Wandel vom Gegeneinander zum Miteinander.
Die Tarifautonomie unseres Systems hat ab einem bestimmten Moment zu einer gegeneinander gerichteten Gruppen- oder Klassenbildung im Sinn früherer Jahrhunderte geführt, wonach auf der einen Seite “die Arbeitgeber” und auf der anderen Seite “die Arbeitnehmer” jeweils in Verbänden organisiert sind und sich eher kritisch bis feindselig als kooperativ gegenüberstehen.
Die Schwierigkeiten bei der Bildung der vielgerühmten und vielzitierten „Bündnisse für Arbeit“(128) machen deutlich, um was es hier geht:
Es herrscht ein Verteilungskampf, der nicht zuletzt das Ergebnis einer Umverteilung im breiten Stil ist(129). Damit sind die Gegensätze auch heute noch wie schon im vorletzten Jahrhundert existenziell, denn wie damals bei Fehlen einer Sozialgesetzgebung den Arbeitnehmern der Entzug nahezu jeglicher Lebensgrundlage drohte, droht heute bei sozialer Abfederung dieser Interessen eher den Betrieben der Entzug der Existenzgrundlage zu einer Zeit, in der eine Konzentrationswelle nach der anderen ebenso wie eine Insolvenzwelle nach der anderen über das Land rollt(130) und die Steuer- und Abgabenbelastung(131) zum Erhalt des Sozialsystems die unternehmerischen Existenzen bereits jetzt vielfach im Keim zu ersticken droht(132).
Im Modell des nationalen Sozialstaats verschwinden solche Gegensätze zusehends, insbesondere weil die Umverteilung ersetzt wird durch eine das System der Marktwirtschaft ergänzender Sozialgesetzgebung(133).
Begrifflich kann es diesen Gegensatz schon deshalb nicht mehr geben, weil das Spektrum möglicher Gegensätze kleiner geworden ist und damit ein sozialschädliches Verhalten des Einzelnen vielmehr als „Akt gegen alle“ verstanden werden würde, so dass sich der als „Sozialschädling“ Verschrieene sofort in ausgegrenzter Position wiederfinden würde(134). Das Prinzip des nationalen Sozialstaats würde im Gruppenegoismus ein Disziplinierungsinstrument ohnegleichen finden, das allein den meisten Missbräuchen vorbeugen könnte.
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