Название: Der Schrei des Subjekts
Автор: Franz Josef Hinkelammert
Издательство: Bookwire
Жанр: Философия
isbn: 9783738051421
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Die Sünde, die in Erfüllung des Gesetzes begangen wird und die Verhärtung der Herzen
Im Kontext der Sünde, die in Erfüllung des Gesetzes begangen wird, erscheint die Analyse dessen, der diese Sünde begeht. Dies ist der Bezugspunkt der Herzensverhärtung. Wenn das Gesetz erfüllt wird um des Gesetzes willen, bleibt die Wirklichkeit des Menschen außer Sicht. Man sieht ohne zu sehen. Es handelt sich um eine Erfahrung, die sich durch die gesamte christliche Botschaft hindurchzieht als eine Grunderfahrung Jesu in seinem Verhältnis zu seinen Ggenern. Das Gesetz, das um seiner selbst erfüllt wird, ist vollkommen tautolisch in bezug auf die Wirklichkeit. In diese Tautologie einzutreten, macht es unmöglich, noch menschliche Beziehungen zu haben. Alles wird dem Gesetz unterworfen, während sich das Gesetz in einen Despoten verwandelt, der niemandem unterworfen ist. Es wird zum Despoten, indem es als Gesetz behandelt wird, dessen Erfüllung gerecht macht.
Jetzt rechtfertigt das Gesetz und seine legalistische Erfüllung das Handeln. Dieses hat keine Verantwortung mehr außerhalb der streng legalistischen Gesetzeserfüllung. Das Gesetz ist legitim, weil es legal ist. Das Handeln dem Gesetz entsprechend bekommt sein gutes Gewissen ganz unabhängig von den Konsequenzen des Handelns. Das Gesetz tötet, aber derjenige, der in Erfüllung des Gesetzes tötet, hat kein Bewußtsein und kein Gewissen in bezug auf die Tatsache, daß er tötet. Er tötet, ohne Gewissensprobleme zu haben. Das Gesetz verwandelt sich in einen Schleier, und der Akt des Tötens erscheint als ein Akt der Gerechtigkeit. Es handelt sich um eine Gerechtigkeit, die sich nur von der Erfüllung des Gesetzes als Norm herleitet. Der Mörder, der in Erfüllung des Gesetzes mordet, erscheint zugleich als Lügner. Jetzt heißt die Ungerechtigkeit Gerechtigkeit und die Gerechtigkeit heißt Ungerechtigkeit. Alles moralische Bewußtsein wird durch das Bewußtsein der Erfüllung des Gesetzes ausradiert. Die Tatsache, das Gesetz erfüllt zu haben, löscht die Stimme des moralischen Gewissens aus. Das Gewissen selbst dreht sich um. Es schlägt, wenn man in Betracht der Konsequenzen das Gesetz nicht erfüllt. Der Mensch ist jetzt für den Sabbat da und der Schuldner ist da, um das Wertgesetz zu erfüllen und die Schulden zu bezahlen. Über den Sabbat und das Wertgesetz hinaus gibt es nichts. Das Gewissen fragt nur noch nach der Erfüllung des Gesetzes; das menschliche Leben als Unterscheidungskriterium verschwindet. Derjenige, der das Gesetz erfüllt, geht über alle Wirklichkeit hinweg und kann sie zerstören, vorausgesetzt, er tut dies in Erfüllung des Gesetzes.
Dies ist unsere Wirklichkeit, nicht nur ein Problem von vor 2000 Jahren. So sagt Hayek: "Selbstverständlich ist die Gerechtigkeit nicht eine Frage der Ziele einer Handlung, sondern ihres Gehorsams gegenüber den Regeln, denen sie unterworfen ist."6 Es erscheint als selbstverständlich, das Gesetz so zu erfüllen, daß es erfüllt wird. Wer es tut, ist gerecht. Es scheint kein Fluch über dem Gesetz zu liegen, und daß das Gesetz tötet, geht das Gesetz nichts an. Es ist zum Despoten geworden. Diese Welt des Gesetzes ist einfach unsere Welt, und von dieser Welt zu sein, heißt, diese Gerechtigkeit zu verwirklichen. Das Gesetz ist dabei heute fast ausschließlich das Wertgesetz und Gesetze, wie das Gesetz des Sabbats vor 2000 Jahren, sind selbst dem Wertgesetz unterworfen. Wo aber auf solchen Gesetzen noch bestanden wird, gilt dies als Fundamentalismus. Das Wertgesetz ist jetzt selbst alles, es ist auch der Sabbat. Der Gewinn als Kriterium, sofern er innerhalb der Geltung des Wertgesetzes gemacht wird, legitimiert die Aktion, auch wenn diese die Menschheit und die Natur zerstört. Der Mord, der dabei geschieht, wird durch die Lüge verdeckt, nach der der Automatismus des Marktes das Allgemeininteresse verwirklicht. Dies ist die Sünde, die in Erfüllung des Gesetzes begangen wird und selbst für das orthodoxe Christentum ist die Anklage dieser Sünde längst etwas völlig Fremdes geworden ist. Aber die Anklage dieser Sünde steht im Ursprung eben dieses Christentums.
Das, was hier in dem Handelnden geschieht und es ihm ermöglicht, alle Verantwortung für sein Tun von sich zu weisen, ist die Verhärtung des Herzens, die durch Argumente kaum durchdrungen werden kann. Die Tautologie des Gesetzeshandelns verwandelt das Herz – um mit Max Weber zu sprechen - in eine “stählernes Gehäuse”, das nicht mehr zugänglich ist. Die ausschließliche Verantwortung vor dem Gesetz verwandelt sich in nackte Verantwortungslosigkeit gegenüber der Wirklichkeit des Menschen. Für Jesus ist diese Erfahrung der Verhärtung der Herzen eine schockierende Erfahrung. Kein Argument dringt durch, denn das verhärtete Herz antwortet ausschließlich durch Rückgriff auf die Erfüllung des Gesetzes. Es fühlt sich gerecht, weil es das Gesetz erfüllt. Und eines dieser Zentren der Erfahrung Jesu ist gerade die Erfahrung der Verhärtung des Herzens durch das Wertgesetz. Dies ist der Gott Mammon, der Moloch der im Rücken des Wertgesetzes handelt und den lebenden Menschen als Subjekt erdrückt. Er verwandelt die Zahlung von Schulden in einen kontinuierlichen Mord und verwandelt das Haus Gottes in ein Kaufhaus, das schlimmer ist als eine Räuberhöhle. Aber es gibt kein Argument gegenüber dieser Tautologie des verhärteten Herzens, das sein Gewissen unterdrückt durch seine Bezugnahme auf die Erfüllung des Gesetzes.
Sie sehen ohne zu sehen. Sie sehen nicht, obwohl sie sehen. Ganz im Gegenteil verhärtet sich das verhärtete Hertz umso mehr, je mehr man es zu durchdringen versucht. Es ergibt sich eine Spirale des verhärteten Herzens. Je mehr es auf die Zerstörung des menschlichen Lebens hingewiesen wird, umso mehr verhärtet es sich durch den Verweis auf die Erfüllung des Gesetzes. Es reagiert dann agressiv und gewaltsam, um die Argumente zum Schweigen zu bringen und um sich als erfülltes Gesetz aufzuzwingen. Johannes analysiert diese Verhärtung im Kapitel 8 seines Evangeliums, das die Geschichte von der Heilung des blind Geborenen erzählt: die Blinden sehen und die Sehenden werden blind. Dies mündet in ein Spiel der Gegensätze ein:
“Hierauf sprach Jesus: Zu einem Gericht bin ich in diese Welt gekommen, damit die, die nicht sehen, sehend und die Sehenden blind werden. Das hörten einige von den Pharisäern, die bei ihm standen, und sagten zu ihm: Sind etwa auch wir blind? Jesus sprach zu ihnen: Wenn ihr blind wäret, so hättet ihr keine Sünde. Nun aber sagt ihr: Wir sehen. Eure Sünde bleibt.” (Joh 9, 39-41)
Sie sehen, ohne zu sehen. Die Verhärtung als Sünde kann keine Vergebung haben, solange sie nicht sieht. Aber sie kann nicht sehen und will nicht sehen. Sie verschließt sich. Johannes zeigt die Sicht dieses Problems in der mosaischen Trdition, indem er den Popheten Jesaja zitiert:
“Er hat ihre Augen blind und ihr Herz hart gemacht, damit sie nicht mit ihren Augen sehen und mit ihren Herzen verstehen und sich bekehren und ich sie heile.” (Is 6, 9f, Joh 12, 40)
Einem anderen Evangelium nach nennt Jesus diesen Prozeß der Verhärtung des Herzens die Sünde wider den Heiligen Geist, aus der es keinen Ausweg gibt durch die Vergebung von Sünden.
Dies ist die Vorstellung von der Sünde im Singular nicht nur im Evangelium des Johannes, sondern in aller christlichen Botschaft, vor allem auch bei Paulus. Es ist die Sünde, die sich mit dem formalen Gesetz verbindet in dem Grade, in dem es nicht durch den lebenden und bedürftigen Menschen als Subjekt herausgefordert wird, indem dieser ihm gegenüber rebelliert. Das Gesetz ist für das Leben notwendig, aber wenn es nicht durch das Subjekt herausgefordert wird, führt es zum Tode. Es ist dann ein Gesetz zum Tode, auch wenn es ein von Gott gegebenes Gersetz ist. Dieser Tod ist impliziert in der Trägheitslogik des Gesetzes und nicht das Ergebnis seiner Verdrehung.
Das Gesetz, wenn es nicht durch den Menschen als Subjekt herausgefordert wird, verwandelt sich in eine große Dampfwalze, die alles Leben erdrückt, in eine Todesmaschine und schließlich in das Medium des kollektiven Selbstmords der Menschheit, wie dies etwa die Apokalypsis auffaßt.
Sich dieser Sünde zu unterwerfen ist das “von der Welt” sein im Sinne dessen, was Jesus im Jahannesevangelium sagt (vor allem in Joh 15, 18-27). Ihr gegenüber erfolgt die Forderung, in der Welt zu sein, ohne von der Welt zu sein. Es heißt, in der Welt zu leben ohne sich mitreißen zu lassen durch die Sünde, die in der Erfüllung des Gesetzes begangen wird. Von hier aus ist verständlich, daß Jesus erlebt, daß die Welt, durch ihre Verhärtung des Herzens hindurch, diejenigen haßt, die in der Welt nicht von der Welt sein wollen. Es handelt sich um einen Begriff der Welt, der durchaus auch bei СКАЧАТЬ