Название: Der Schrei des Subjekts
Автор: Franz Josef Hinkelammert
Издательство: Bookwire
Жанр: Философия
isbn: 9783738051421
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Dies ist die Gewalt, die in der legalistischen Anwendung des Gesetzes geschieht, der Fluch, der auf dem Gesetz liegt. Es handelt sich um eine Gewalt, gegen die das Gesetz nicht schützt, denn das Gesetz selbst ist diese Gewalt. Es handelt sich um eine Gewalt, die kein Gesetz verletzt und ist das Ergebnis eines Gesetzes, das verbietet, zu töten und das dies weiterhin verbietet. Daher stehen das Gesetz und alle Machtapparate zu seiner Sicherung auf der Seite dieser Gewalt. Es ist die Gewalt als Rechtsstaat.
Dies ist die eine und grundlegende Seite der Sünde, die hinter dem Rücken des Gesetzes geschieht und daher des Fluches, der auf dem Gesetze liegt. Dennoch hat diese Gewalt im Namen des Gesetzes noch eine andere Seite. Es ist die Seite der Aufzwingung der legalistischen Geltung des Gesetzes. Damit sich die blinde, legalistische Form der Gesetzeserfüllung ohne Widerstand durchsetzt, muß jeder Widerstand gehen die Konsequenzen dieser Gesetzeserfüllung gebrochen werden. Einen Widerstand dieser Art kann nicht der einzelne Schuldner, der eine unzahlbare Schuld hat, ausüben, denn die Gerichte werden ihn brechen. Übt er Widerstand, so muß er sterben ganz so, wie im Fall der Schuldenzahlung: erschossen oder gehenkt. Er hat keine Chance. Aber der Widerstand kann sich verallgemeinern und sich organisieren. Der Mensch als Subjekt kann seinen Widerstand in Aufstand verwandeln. Damit aber tritt die Gewalt als Gewalt für die Aufzwingung des Gesetzes auf, um jenes Subjekt zu zerstören, das Widerstand leistet und sich selbst bestätigt gegen den Tod, der aus der Erfüllung des Gesetzes folgt und der daher das Verhältnis zum Gesetz in Frage stellt. Diese Gewalt des Gesetzes läßt jetzt das Gewicht des Gesetzes über den fallen, der den Widerstand ausübt. Dies ist dann die Gewalt der Nacht der langen Messer im Namen von “law and order”. Jetzt entsteht die Gewalt, die den Terror ausübt, die Gewalt des Leviathan. Sie wird ausgeübt, damit sich nie wieder jemand sich erdreistet, den Kopf zu erheben gegenüber der Sünde, die begangen wird in Erfüllung des Gesetzes.
Diese Gewalt des Leviathan scheint ebensowenig eine Verletzung des Gesetzes zu sein. Das Gesetz verlangt die Bedingung der Möglichkeit seiner Anwendung. Der offene Terror wird jetzt zum Weg des Gesetzes. Den Völkern, die sich der Schuldenzahlung widersetzen, werden jetzt Lebensbedingungen aufgezwungen, die schlimmer sind als die, die sie im Fall ihrer totalen Unterwerfung hätten. Der Staatsterrorismus wird zur Gegenwart des Rechtsstaats.
Diese Gewalt ist nicht etwa diejenige, die in der legalistischen Anwendung des Gesetzes selbst impliziert ist, wie dies im Falle des Wertgesetzes oder des Gesetzes des Sabbats der Fall ist. Es ist die Gewalt in der Aufzwingung einer Gesetzlichkeit, deren legalistische Erfüllung selbst in Gewalt einmündet. Es gibt allerdings Typen dieser Gewalt, die durchaus spezielle Bedeutung haben.
Dabei handelt es sich zum ersten um die Gewalt, die dem auferlegt wird, der das Gesetz verletzt. Auch in diesem Falle geschieht Gewalt. Derjenige, der das Gesetz verletzt, wird mit Gewalt behandelt. Der Mörder, der das Gesetz “Du sollst nicht töten” übertreten hat, wird getötet, wo es die Todestrafe gibt, oder er wird lebenslänglich verurteilt. Man übt Gewalt aus gegen sein Leben, weil er Gewalt ausgeübt hat in Verseletzung des Gesetzes. Diese Gewaltausübung gilt nicht selbst als Gesetzesverletzung, sondern als gerechte Antwort auf eine Gesetzesverletzung. Der Mörder hat getötet, folglich ist er selbst zu töten. Indem der Mörder getötet wird, gilt das verletzte Gesetz als wieder hergestellt. Damit ergibt sich eine Gewalt gegenüber dem menschlichen Leben, die nicht als Verletzung des Gesetzes gilt, sondern als seine Wiederherstellung. Diese Gewalt schließt je nach Kulturtradition Gefängnis, Folter, Todestrafe und Enteignung ein. Aber es handelt sich immer um eine Gewalt, die das Gesetz selbst fordert und die unter Anwendung des Gesetzes ausgeübt wird, sodaß sie nicht als Gesetzesverletzung interpretiert wird.
Es handelt sich hierbei um spezifische Gewalt, die spezifischen Gesetzesübertretungen gegenüber angewendet wir und die vom Gesetz selbst normiert wird. Jesus in seiner Gesetzeskritik geht nur am Rande auf diese Gewalt ein, mit der das Gesetz auf Gesetzesübertretungen reagiert. In der Geschichte von der Ehebrecherin, die ich weiter oben zitiert habe, sieht man seine Stellung gegenüber dieser Gewalt. Jesus diskutiert nicht einmal das Problem der Verhältnismäßigkeit zwischen der Übertretung des Gesetzes, die im Ehebruch besteht, und der verhängten Todesstrafe. Was er kritisiert ist die Heuchelei derer, die sie verurteilen. Es ist die Heuchelei der angeblichen Unschuld gegenüber der Schuldigen: Wer von euch ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein. Was in dieser Geschichte bedeutet: Wer von euch ohne Ehebruch ist, werfe den ersten Stein.
Hier wird die Unschuldsvermutung gegenüber dem Richter – und dem Ankläger - aufgehoben. Kein Richter ist unschuldig. Er ist Komplize des Verbrechens, über das er urteilt. Es geht hier nicht um mildernde Umstänge für den Angeklagten und auch nicht die feine psychologische Frage, ob er vielleicht als Kind zu heiß gebadet worden ist. Es geht um die Verwicklung des Richters in das Verbrechen. In dieser Geschichte nimmt auch Jesus sich davon nicht aus, denn auch er wirft nicht den ersten Stein.
Dies ist wohl auch der Grund dafür, daß Johannes kein letztes Gericht mit einem allwissenden, unschuldigen Richter kennt. Gemäß Johannes sagt Jesus: Denn Gott hat den Sohn nicht in die Welt gesandt, damit er die Welt richte, sondern damit die Welt durch ihn gerettet werde. (Joh 3,17) Der Mensch lebt sein Gericht, und dieses ist das letzte. Das Gericht ist dieses Leben und wie man es führt. Aber dies heißt keineswegs, daß es dem Guten gut geht und dem Bösen schlecht im Sinne des Erfolgs im Leben, sondern im Sinne eines in-der-Wahrheit-sein. Diese Wahrheit aber ist kein Bekenntnis, sondern ein Weg.
Aber auch diese spezifische Gewalt gegenüber spezifischen Übertretungen ist Teil eines Kreislaufs der Gewalt. Das Gesetz, das legalistisch erfüllt wird, zerstört den Menschen. Der Mensch aber kann sich jetzt als Subjekt, das rebelliert, gegenüber dem Gesetz verhalten. In diesem Fall aber verwandelt sich das Gesetz in den Leviathan und wendet die Gewalt des Leviathans an. Damit aber geht die Gewalt über alle spezifische Gewalt hinaus und wird zum Terror. Das Gesetz entwickelt eine jetzt unendliche Fähigkeit zur Gewalt, die überhaupt keinen Gesetzen mehr unterliegt. Diese Gewalt als Terror zwingt jetzt die Gesetzlichkeit selbst auf, und ihr gegenüber kann man auf kein Gesetz zurückgreifen. Es ist die Gewalt des Ausnahmezustands, in der im Namen des Gesetzes alles Gesetz zur Verfügung steht. Diese Gewalt kennt keine Grenzen und stellt die andere Seite der Gewalt dar, die in Erfüllung des Gesetzes begangen wird. Sie bezieht sich nicht auf spezifische Transgressionen und antwortet auch nicht durch spezifische, normierte Gewaltausübung. Ihr Ziel ist die Sicherung der Gesetzlichkeit selbst und ihre Mittel unterliegen keinen Normen.
Jesus gegenüber wird nicht etwa eine spezifische Gewalt angewendet, die sich auf spezifische Übertretungen von Gesetzen bezieht. Er wird nicht etwa bestraft, weil er das Gesetz des Sabbats oder des Privateigentums verletzt hat. Er hat durchaus beide Gesetze verletzt, aber die Gewalt, die er erleidet, ist nicht eine spezifische Strafe für spezifische Gesetzesverletzungen. Jesus hat das Gesetz selbst in Frage gestellt als Gesetz, das durch Legalität legitim zu sein bansprucht. Er stellte alles Verhältnis zur Gesetzlichkeit selbst in allen ihren Verästelungen in Frage. Seine Gesetzeszverletzungen geschehen bewußt und Jesus gibt ihnen symbolische Bedeutung, um die Gesetzlichkeit selbst in Frage zu stellen. Er bestand auf dem menschen als Subjekt gegenüber dem Gesetz, und stellte damit alles geltende Gesetz seiner Zeit in Frage. Vom Standpunkt eines Gesetzes, das sich als Gesetz Gottes versteht, beging er tatsächlich Blasphemie. Dieselbe Blasphemie begeht er einem Gesetz gegenüber, das sich als Gesetz der Vernunft versteht. Ob sich das Gesetz als Gesetz Gottes oder als Gesetz der Vernunft versteht, ist hier völlig zweitrangig. Wenn es sich als formale Gesetzlichkeit versteht, die durch legalistische Gesetzeserfüllung СКАЧАТЬ