Der Intellektuelle, der klug genug war, sich nicht dafür zu halten. Joachim Kath
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Название: Der Intellektuelle, der klug genug war, sich nicht dafür zu halten

Автор: Joachim Kath

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783847659433

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СКАЧАТЬ Sunniten bilden die größte Glaubensrichtung im Islam und eine der sunnitischen Rechtsschulen sind die Malikiten. Ich bin auf diesem Gebiet auch kein Experte und weiß nicht, worin sich die einzelnen Rechtsschulen inhaltlich unterscheiden. Jedenfalls sollen die Grundlagen in Medina entstanden sein, der zweitheiligsten Stadt des Islam, die genauso wie Mekka, für Nichtmuslime gesperrt ist.“

      „Wenn wir unsere Maßstäbe anlegten, was Politik, Religion und Menschenrechte angeht, würden wir zu einer anderen Einschätzung kommen!“ sagte ich.

      „Ja, aber das ist doch völlig klar! So naiv sollten wir die Geschehnisse des arabischen Frühlings nicht beurteilen. Wenn ich mir vor Augen führe, wie mit den Paraden nach dem Golfkrieg das Vietnam-Trauma in den USA aufgearbeitet wurde, dieser nicht enden wollende Werbefeldzug für die Rüstungsindustrie, der das Kurdenelend und die Naturzerstörung in Kuwait überdeckte – alles nicht gar nicht lange her! In Nordafrika ist seitdem eine Menge in Bewegung geraten und doch sind manche der alten Potentaten trotz allem aus taktischen Erwägungen weiter an der Macht. Ich bin mir nicht sicher und habe große Zweifel, ob unsere Politiker und wir die Dinge, vor allem die katastrophalen Folgen, richtig einschätzen.“

      Agadir, bei dem verheerenden Erdbeben 1960 vollkommen zerstört, ist nach dem Wiederaufbau die modernste Stadt Marokkos, mit breiten Prachtstraßen, mehrstöckigen Hotels in internationaler Betonarchitektur und einem mehrere Kilometer langen Sandstrand, auf dem sich die schaumgekrönten Wellen des Atlantiks im ewigen Rhythmus brechen. Das diese Stadt inzwischen über 600.000 Einwohner hat, war für mich überraschend. Sie wirkte gar nicht wie eine Großstadt, weil sie keine Hochhäuser hat und keinen alten Stadtkern.

      „Ich wüsste wirklich nicht, weshalb ein Mensch von irgendeinem Ort der Welt hierher reisen sollte, außer er ist Strandläufer im Rentenalter oder passionierter Tennisspieler. König Hassan der II. jedenfalls, der Vater des jetzigen Herrschers, war ein Freund des weißen Sports. Deshalb gibt es hier den königlichen Tennisclub und zahlreiche, gut gepflegte Anlagen mit vielen Plätzen. Er war auch Mitglied im Rotary-Club und getreu deren Wahlspruch zu selbstlosem Dienen und ethischen wie moralischen Handeln verpflichtet. Dazu stand seine Regierungszeit allerdings in krassem Widerspruch, denn sie war offenbar so stark mit Menschenrechtsverletzungen belastet, dass sein Sohn 2004 eine Wahrheitskommission einsetzen ließ, die eine Wiedergutmachung bei den Hinterbliebenen der Opfer bewirken sollte.“

      „Das klingt alles sehr vorsichtig und nicht besonders kritisch für einen Intellektuellen“, versuchte ich den Professor aufzustacheln.

      Er nahm einen Schluck von dem ausgezeichneten marokkanischen Wein und ließ ihn genießerisch durch die Kehle rinnen. Erst dann begann er mit Bedacht: „Ich kenne dieses Land seit Jahrzehnten und war immer mal wieder hier. Es ist für mich nicht möglich, zu verifizieren, was die Opposition im Exil berichtet. Wie gravierend die Repressionen waren, ob es Folter gab, wie viele Menschen spurlos verschwanden. Selbstverständlich bin ich grundsätzlich gegen jede Art von Unterdrückung und Gewalt, nur als Tourist liest man höchstens darüber und bekommt im Land selbst davon nichts mit. Es ist nicht möglich, sich sein eigenes Bild zu machen. Schon gar nicht, wenn man nicht arabisch spricht.

      Die Landschaft und die Menschen finde ich großartig. Marokko ist als Reiseland sehr sehenswert. Es gibt einen vorzüglichen Wein, die Weinberge haben noch die Franzosen angelegt und die verstehen bekanntlich das Winzerhandwerk. Die Königsstädte Rabat, Fès und Marrakesch oder eine Fahrt durch das wildromantische Atlasgebirge bis hinein in die Sahara gehören zu meinen beeindruckensten optischen Erlebnissen. Es ist, den Tourismus weggedacht, fast noch eine Reise in 1001 Nacht mit Märchenerzählern und Schriftgelehrten, die anderer Leute Post auf der Straße erledigen und mit Schlangenbeschwörern sowie Heilkundigen, die vor der gaffenden Meute Zähne reißen.

      Ich war vor mehreren Jahrzehnten zum ersten Mal in diesem Land. Damals bin ich von Marrakesch aus mit dem Bus bis nach Quazazarte gefahren. Ich hatte mir extra ein Ticket 1. Klasse geleistet, wie sich herausstellte, war es der Sitz hinter dem Fahrer. Im Heck wurde das Publikum immer bunter, am Ende bestand es aus Ziegen und Hühnern. Der alte Bus schnaufte die Serpentinen hoch und runter ging es dann in einer lebensgefährlichen Schussfahrt unter ständigem Hupen. Die Bremsen wurden dagegen nie betätigt. Jedenfalls kam es mir bei dieser Höllenfahrt so vor. In jedem Dorf wurde angehalten. Wer einkaufen wollte, stieg aus um das an Haken hängende Fleisch zu befühlen und die Fliegen zu verscheuchen, während im Gegenzug einige blinde Bettler den Bus erklommen und sich tastend durch den Mittelgang bewegten. So ging die Fahrt stundenlang, bis endlich nach ungezählten Stopps unter dem Gejohle der gesamten Passagiere der erfolgreiche Kauf eines Huhnes gefeiert werden konnte.

      Diese unmittelbaren Eindrücke ursprünglichen Lebens haben Sie natürlich nicht in Agadir, der ganz auf europäische Touristen eingerichteten, neuen Stadt. Hier sind tatsächlich ganzjährig das Meer mit dem breiten Sandstrand und praktisch das gesamte Jahr über, bis auf Juli und August, wo es zu heiß ist, Tennis und Golf die drei Attraktionen“, sagte Jonathan Seyberg.

      Ich wunderte mich, dass er überhaupt nicht von seinen sportlichen Aktivitäten sprach und brachte deshalb das Thema selbst darauf, denn ich wollte ihn endlich spielen sehen. „Morgen soll im Kasbah Club das Gästeturnier losgehen“, sagte ich, weil ich ein Plakat mit der Ankündigung gesehen hatte. Seit Kindesbeinen an war ich ein Sportfan. Keiner von der ausübenden Sorte, sondern eher Zuschauer und Statistiker. Genaugenommen konnte ich die Wimbledon-Sieger seit 1892 aufzählen, aber auch die Fußball-Weltmeister und Olympiasieger. Natürlich hatte das keinen praktischen Nutzen außer den, dass ich gelegentlich Sportglossen schrieb, unter mehreren Pseudonymen, schon weil niemand den Redaktionen im Mutterland des Sports glaubwürdig erschien, der vorgab, in der großen weiten Welt des Sports so gut wie alles zu wissen. Da waren sie sehr speziell.

      Manche sehen so unsportlich wie Sofakissen aus, werden aber zu Kugelblitzen, sobald ein Ball in Sichtweite kommt. Mir hätten alle in jungen Jahren eine steile Laufbahn als Profi zugetraut, solange ich auf einem Stuhl saß. Ich sah wirklich extrem sportlich aus. Doch das Antizipationsvermögen war in unserer Familie ungefähr so ausgeprägt wie bei griechischen Statuen. Niemand konnte sich das medizinisch erklären, aber unsere Nervenbahnen schienen überall außerhalb des Gehirns unterbrochen zu sein, besonders in den Armen und Beinen.

      „Das Turnier morgen organisiert ein steinalter Franzose, der hier vor dreißig Jahren hängen geblieben ist. Er sieht seit Jahren genauso aus wie immer. Der lässt einfach die Schläger der Teilnehmer auf einen Haufen werfen und zieht dann nach Gutdünken einen nach dem anderen hervor. Ich weiß nicht, ob er sich merkt, wem welcher Schläger gehört. Manchmal lässt er Prince gegen Price spielen, oft aber auch Head gegen Wilson. Ich denke, er hat da kein System. Nur wenn Babolat kommt, wird er schon mal hellwach, und wenn dann Lacoste dran ist, was selten genug vorkommt und viel seltener als bei den Hemden, dann ruft er immer: „Attention, s’il vous plait!“ Angeblich hat er noch selbst gegen Henri Lacoste persönlich gespielt, oder ihn spielen sehen, den sie das Krokodil nannten. So entstehen Weltmarken!“

      „Es ist also reiner Zufall, gegen wen Sie antreten!“ stellte ich trocken fest.

      „Grundsätzlich schon, aber zu rund 90 Prozent ist es hier in Agadir ein französisch sprechender männlicher Mensch unter siebzig Jahren.“

      „Bon Chance!“ versuchte ich mich romanisch.

      „Ich bin kein in seinem Selbstverständnis erschütterter moderner Mann. Es kommt mir gar nicht so sehr auf den Erfolg an. Erfolg ist so ziemlich das abgenutzteste Wort, das ich kenne. In dem vergangenen Vierteljahrhundert habe ich es täglich oft mehrmals als Programm vernommen. Alle meine Bratungsklienten wollten Erfolg haben und ich habe sie in diesem Bestreben tatkräftig unterstützt. Doch sie sahen den Erfolg meistens nur betriebswirtschaftlich, als Unterschied zwischen Erlös und Kosten, also Ertrag und Aufwand. Das ist mir heute eine viel zu enge Betrachtungsweise. Der zahlenmäßig ausgedrückte Erfolg oder Misserfolg, sagen wir mal, ob ich einen Satz 6:0 gewinne oder 0:6 verliere, beziffert СКАЧАТЬ