Название: Neue Zeiten - 1990 etc.
Автор: Stefan Koenig
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Zeitreise-Roman Band 7
isbn: 9783753185569
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Ende Januar bekommt das DDR-Finanzministerium Besuch vom stellvertretenden Generaldirektor Ullrich. Er legt die Karten auf den Tisch und unterbreitet den Vorschlag, die Allianz als Partner zu beteiligen. Das Ministerium stimmt zu.
Die Allianz-Vorstände sind positiv überrascht, weil alles so gut läuft. Ihr Chefunterhändler Haasen äußert die Vermutung, dies sei dem zunehmenden Verfall der »Staatlichen« geschuldet, denn immer mehr Betriebe zahlen einfach ihre Beiträge nicht mehr. Die DDR-Versicherung muss ihren Kunden und Mitarbeitern jedoch eine Perspektive bieten. Auch der Generaldirektor und sein Stellvertreter brauchen demnächst Jobs.
Im Februar gibt der Vorstand der Allianz-Holding grünes Licht für das Joint Venture, das eher einer Übernahme gleichkommt. Schieren betont auf der Vorstandssitzung, es sei unabdingbar, dass die Allianz der einzige westliche Partner der »Staatlichen« werden müsse. Ein Konkurrenzkonsortium aus fünf westdeutschen Versicherern ist bereits ausgestochen worden.
Der Ministerrat der DDR schafft am 8. März die gesetzliche Grundlage für den Deal – die Arbeit der staatlichen Versicherung wird auf marktwirtschaftliche Prinzipien umgestellt. Zum 1. Mai wird sie in eine Aktiengesellschaft umgewandelt werden, an der eine ausländische Firma bis zu 49 Prozent halten darf. Schon längst ist klar, dass das die Allianz aus München sein wird.
Im Unterschied zu ihren Gästen wissen es die Manager des Münchner Konzerns schon sehr genau, als sie das Hundertjährige ihres Multis feiern. Und so genießen sie die extravagante Großfeier im Prinzregententheater umso entspannter.
Privat entspannten Emma und ich uns im Kreis unserer zehn Nachbarn. Jede Woche fand bei uns eine kleine Saunafeier statt. Nicht immer war es unbedingt entspannend, hauptsächlich nicht, wenn die einen oder anderen fürs Abendessen sorgen wollten, ihr Versprechen aber vergessen hatten. Aber immer war es spannend. Jedenfalls war es etwas sehr Privates und nicht nur Job, Job, Job. Wer das Essen versemmelt hatte, musste eine große Pizza-Runde samt Lambrusco vom Bornheimer »Dick und Doof«, unserem ersten italienischen Lieferservice, spendieren.
Die Saunarunde fand nun jeweils Freitagabends statt. Wir alle legten zusammen und engagierten eine professionelle Masseurin. Steffi baute im Saunaraum ihre Spezialliege auf und knetete immer drei von uns für jeweils eine halbe Stunde durch, dann saunierte sie selbst, ruhte eine dreiviertel Stunde aus, um dann die nächsten eineinhalb Stunden ihr Durchwalk-Programm fortzusetzen.
Natürlich waren die Ereignisse in der DDR die Themen des Tages, wobei wir – wie alle Westdeutschen – nicht wirklich wissen konnten, was hinter dem Rücken von uns Bürgern alles verhandelt und veranstaltet wurde. Die heiße Luft der Sauna wurde durch die heiße Luft unserer wilden Spekulationen zusätzlich aufgeheizt. Wenn uns diese Diskussionen zu heiß wurden, musste ein Schiedsrichter eingreifen. Gunnar, mein Prokurist aus der Frankfurter GTU, war der Bestgeeignete. Er schlug dann vor, eine Runde Witze zu erzählen.
Als erster legte seine Frau Moni los: „Warum kann Helmut Kohl nicht in den Himmel kommen?“
Tobias und seine Frau Anne, beide eifrige CDU-Sympathisanten, schauten erst etwas konsterniert, dann spekulierten sie wild drauflos. Auch von den anderen folgten einige mehr oder weniger kreative Spekulationen in Richtung Saumagen, Oggersheim und Flick-Spenden-Skandal, bevor Moni die Frage auflöste: „Natürlich weil er nicht durchs Ozonloch passt.“
Dann rasselte Stefan, unser inzwischen gealterter Jungschauspieler, mit entsprechend theatralischer Gestik eine Latte ungelöster Fragen herunter: „Warum gibt’s im Flugzeug-Klo kein Fenster? Wer soll denn da reingucken?“ Er reckte seinen Hals so, als wolle er irgendwo reinschauen. Wir mussten lachen.
„Wenn ein Forscher sich ein Sandwich macht, ist das wissenschaftlich belegt?“ Stefan strich mit einem imaginären Messer etwas auf seine Hand.
„Da hätte ich auch eine Frage“, sagte Gitti, unsere Arznei-Expertin vom Paul-Ehrlich-Institut, die absolut Spitze im Kuchenbacken war: „Heißen Teigwaren Teigwaren, weil sie mal Teig waren?“
Wir hätten uns geschüttelt vor Lachen, wenn uns nicht die Schweißperlen um die Ohren geflogen wären.
Ich war kein Witze-Erzähler, aber einen hatte ich erst kürzlich gehört: „Wenn ich Buchstabensuppe wieder auskotze, ist das dann gebrochenes Deutsch?“
Stefan machte auf seiner Ruheliege eine Mimik, als müsse er sich übergeben.
„Ich hab auch einen auf Lager“, meinte Gunni: „Wenn mich die Polizei anhält und sagt »Papiere!« und ich sag »Schere!«, hab ich dann gewonnen?“
Stefan war wieder dran und warf unbedarft einen Witz in die Runde: „Wenn ein Zuckerkranker vom Blitz getroffen wird, entsteht dann Karamell?“ Unser Lachen gefror ein wenig zu einem höflichen Lächeln. Und das nicht, weil Tobias, unser Nachbarschaftsarzt, Diabetologe war. Eher dachten wir im Stillen an Arndt, unseren ehemaligen Nachbarn, der sich als brandneu etablierter und begehrter EDV-Experte von seiner ebenso brandneuen Firma hatte verschleißen lassen. Er war zuckerkrank gewesen und war bereits vor einem halben Jahrzehnt, 1986, im Alter von nur 37 Jahren einem Herzinfarkt erlegen.
Aber keiner sagte jetzt ein Wort.
Deutsche Bank verpflanzt Konten
Infarktzeit in der DDR, Zuckerbrot und Peitsche aus dem Westen, viele Worte und doch viel zu wenige ehrliche Sätze. Die Leipziger Frühjahrsmesse startet am 12. März und dauert dieses Jahr bis zum Samstag vor der Wahl. Die Messe erlebt die letzten Tage der sozialistischen DDR. Noch immer ist völlig ungewiss, wer die Wahl am kommenden Wochenende gewinnen könnte und was aus der DDR wird. Ob und wann und unter welchen Bedingungen die Einheit kommen wird, ist noch immer offen.
Seit der Ankündigung Helmut Kohls, dass die D-Mark in die DDR kommt, hat sich Leipzig schlagartig verändert. An den Häuserwänden hängen Plakate, auf denen westdeutsche Politiker abgebildet sind. Noch kennen die DDR-Bürger nicht die wahre Bedeutung des Loriot-Spruchs: „Ich liebe Politiker auf Wahlplakaten. Sie sind tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen.“
Auf den Straßenbahnen klebt Werbung für westdeutsche Produkte. In der ehemaligen Kantine der Stasi-Zentrale hat ein Ehepaar aus Rheinland-Pfalz eine Kneipe eröffnet. Die Straßen sind voller westdeutscher Autos der Marken BMW, Daimler, Audi. Siemens hat massenhaft Hochglanzprospekte in die Briefkästen werfen lassen. Über dem Messegelände kreisen Hubschrauber, die westdeutsche Vorstandsvorsitzende zum Messegelände fliegen.
Dort präsentieren sich die Branchengrößen aus dem Westen mit aufwendigen Ständen. Sie sind in Lauerstellung, wollen Kontakte knüpfen, Informationen sammeln und die kommenden Mächtigen beeindrucken. Der Transrapid wird vorgestellt. SEL Alcatel führt Computer vor, die Produktionsabläufe steuern können. Vertreter von Mannesmann berichten über das neue Mobilfunknetz, das ihr Unternehmen mit Erlaubnis der Deutschen Bundespost aufbauen darf. Das Netz soll einmal »D2« heißen.
Der Generaldirektor eines DDR-Werkzeugmaschinenbau-Kombinates wird am Rand der Messe interviewt: „Fühlen Sie sich von den Westdeutschen vereinnahmt?“
„Das ist keine Frage des СКАЧАТЬ