Название: Neue Zeiten - 1990 etc.
Автор: Stefan Koenig
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Zeitreise-Roman Band 7
isbn: 9783753185569
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„Entschuldigen Sie“, sagte ich zu ihr. „Ich dachte, ich hätte Ihnen von diesem Impf-Reinfall damals berichtet.“ Als sie mich unwissend anschaute, fuhr ich fort: „Ich werde den Teufel tun und mich impfen lassen. Nein, das mute ich mir nach meiner Erfahrung nicht mehr zu. Es ist zu gewagt. Nie wieder.“
„Vielleicht war es damals nur ein Zufall, eine verunreinigte Ampulle oder so.“ Ihr treuer Augenaufschlag und ihr zutrauliches und zuversichtlich wirkendes Lächeln sollten mir Mut machen. Doch ich hatte unüberwindbaren Schiss vor einer Grippeimpfung.
„Ob Zufall oder nicht, ich lasse mich auf nichts mehr ein, außer auf die Auffrischung von Tetanus und Polio und diesem üblichen Kram.“ Aus irgendeinem Grund strich ich mir bedächtig übers Haar.
„Und genau davon bekommen Männer Haarausfall“, sagte Frau Wenzel und lachte schallend.
Hochstapler stapeln oft zu hoch
Gert Postels Aufgabe besteht derzeit im Implantieren von Haaren. Er hat es mit seiner Hochstapelei bisher nicht allzu weit gebracht – nun gut, immerhin zum falschen Dermatologen. Er, der gelernte Postbote, ist vor einigen Wochen bei dem zu einem extravaganten Haarkünstler avancierten Friseurmeister, Herrn Richter, gelandet, dem er sich als Hautarzt vorgestellt hatte. Sein gefälschtes Zeugnis war dem eitlen Chef eines Institutes für Haar-Transplantation beim Einstellungsgespräch nicht aufgefallen. Postel ist nur hier, um für eine gewisse Zeit so viel Geld wie möglich abzukassieren.
Postels große Karriere als geschätzter Oberarzt für Klinische Psychiatrie in Sachsen steht ihm noch bevor. Er, der Postbote, wird psychiatrische Gutachten für Schwurgerichte schreiben – er wird in einigen Jahren selbst nicht begreifen, wie weit und hoch ihn seine Hochstapelei katapultiert hat.
Wie verabredet tritt Postel pünktlich am Montagmorgen seinen Dienst an und wird von Dr. Warga, dem zweiten Arzt des Haar-Institutes, in seine Tätigkeit eingeführt. Warga, ein ungefähr fünfzigjähriger Kettenraucher mit leichtem Tremor, ist kein Facharzt für Dermatologie, wie Postel es vortäuscht, sondern nur Allgemeinarzt. Er erhält deshalb auch nur die Hälfte des Honorars, das Postel einsackt. Das sind immer noch fast 9000 Mark bar auf die Kralle. Und darauf kam es Dr. Warga entscheidend an, denn er gab sich, wie Postel in Erfahrung bringen konnte, gegenüber seiner geschiedenen Frau, die ihn mit Unterhaltsklagen verfolgte, vermögens- und einkommenslos.
Schon beim ersten Patienten, einem Installateur-Meister mit großem Wagen und großen Händen, zeigt sich, dass sich Postels Trockenübungen am Wochenende unter Anleitung seiner neu angelachten Freundin gelohnt haben. Es gelingt ihm anstandslos im richtigen Winkel mit der Kanüle in die Kopfhaut des vierschrötigen Mannes zu stechen und die sich bildenden Hügel aus Anästhesieflüssigkeit gleichmäßig wegzudrücken, sodass bald die beiden Implanterinnen ihr Werk beginnen können.
Mit großem Geschick und in Windeseile – sie werden nach Akkord bezahlt – setzen sie Haar für Haar in die betäubte Kopfhaut. Postel zieht sich zurück, bleibt aber in Rufbereitschaft, um im Falle des Nachlassens der Betäubung nach zu spritzen.
Während Dr. Warga ihn im Aufenthaltsraum mit seinen zweijährigen Instituts-Erfahrungen vertraut macht, geschieht etwas Ungeheuerliches: In dieser Villa, in der es normalerweise so leise wie in einem Mönchskonvent zugeht, erhebt sich plötzlich ein schrecklicher Lärm. Jemand brüllt so entsetzlich, dass Dr. Warga und Postel zunächst annehmen, ihrem Installateur-Meister sei etwas zugestoßen, eine Implanterin habe versucht, ihm ein Kunsthaar ins Auge einzupflanzen oder etwas ähnliches.
Nach und nach lassen sich aus dem Lärm einzelne Satzbrocken aussondern und verstehen: „Schauen Sie her, wie ich aussehe … Sie Verbrecher! … Geben Sie mir die siebzig Mille zurück, und zwar sofort … Eher gehe ich hier nicht raus … Was? Sie wollen mir mit der Polizei drohen? … Die hol ich gleich selber … die nehmen Sie mit … dafür werde ich sorgen … Sie hätten mich gewarnt, Sie Rindvieh … nicht föhnen …“
Nach diesem letzten Ausruf sagt Dr. Waga ganz trocken: „Ach so, das ist ein Föhnfall.“
„Wie bitte?“, fragt Postel.
„Hat man das Ihnen nicht gesagt?“, erwidert Dr. Warga. „Sie dürfen die eingepflanzten Kunsthaare unter keinen Umständen föhnen, also mit hohen Temperaturen in Verbindung bringen. Das Kunsthaar kräuselt sich dann zu winzigen Korkenzieherlöckchen. Im Extremfall schmilzt es sogar zusammen. Wenn Sie so in wenigen Minuten siebzigtausend Mark vernichten und dann auch noch absolut verboten aussehen, dann kriegen Sie natürlich eine gehörige Wut.“
„Puhh, das verstehe ich!“, stöhnt Postel.
„Stellen Sie sich einen glatthaarigen, geschniegelten Manager vor, dessen früherer Glatzenbereich plötzlich nicht mehr von teuer erworbenem Kunsthaar, sondern von einer Art Afrogekröse besetzt ist“, fährt Warga fort. „Der kann sich auf keiner Vorstandssitzung mehr sehen lassen, ohne Heiterkeit zu erregen. Und wenn er sich alles abrasieren und die Kunsthaare entfernen lässt, dann bleiben hässliche Narben. Dann greifen Sie, siebzigtausend Mark ärmer, wieder zum guten alten Toupet und fühlen sich wie ein Esel.“
„Was macht denn der Chef“ – es war inzwischen ruhig geworden – „mit solchen Föhnkunden?“, fragt Wargas neuer Kollege.
„Entweder bietet er ihnen eine Neuimplantation zum halben Preis an, der aber dann auf jeden Fall in bar zu entrichten ist, oder kostenlose Entfernung der Implantate plus ein Toupet als Zugabe. Geld zurück, das gibt’s beim Chef nicht. Da ist er eisern“, sagt Dr. Warga.
Kurze Zeit später kommt der Chef zu den beiden in den Aufenthaltsraum. Er ist etwas verschwitzt und außer Atem: „Dieser Groß, der Automatenaufsteller, ist ein harter Brocken. Brandstiftung in einer seiner Spielhallen. Er rennt, geldgierig wie er ist, noch mal in das bereits brennende Hinterzimmer, um die Kasse zu retten, holt sich ein paar schlimme Brandwunden und ist wütend darüber, dass unser Kunsthaar solche waghalsigen Abenteuer nicht übersteht. Habe ihn mit zwei Toupets abgefunden.“
Dann wird Gert Postel zum Nachspritzen zum Installateur-Meister gerufen.
Auch in der DDR ist Nachspritzen angesagt. Aber Bundeskanzler Kohl weigert sich weiterhin. Die Regierung des Runden Tisches unter dem PDS-Politiker Hans Modrow steht unter vielfältigem Druck. Sie will einerseits verhindern, dass bisherige SED-Genossen unter der Hand das Tafelsilber verhökern und andererseits, dass das Volk der DDR enteignet wird, indem man das Volkseigentum westdeutschen Kapitalanlegern zu Billigpreisen vor die Füße wirft. Die Regierung bekommt nicht mit, dass genau das bereits schon wenige Tage nach dem Fall der Mauer vonstattengeht.
Uwe Haasen, der Chef der Allianz-Lebensversicherungssparte, versucht einige Tage nach der Grenzöffnung eine weitere »Grenzöffnung« ins Leben zu rufen; anders gesagt: er versucht einen Türöffner für die »Staatliche Versicherung der DDR« zu finden. Die mächtige Allianz will die monopolistische »Staatliche« schlucken. Er denkt an den Anwalt Wolfgang Vogel, der auch in Westdeutschland bekannt ist, weil er die Freikäufe von Häftlingen aus der DDR und im Kalten Krieg den Agentenhandel organisierte. Bis zum 9. November 1989 war er an der Freilassung von 150 Agenten aus 23 Ländern beteiligt. Zu den Freigelassenen zählte auch Günter Guillaume, der 1972 aufgeflogene DDR-Kundschafter bei Bundeskanzler Willy Brandt. Erich Honecker beurteilte den Spionage-Fall Guillaume als »größten Fehler des MfS«, des Ministeriums für Staatssicherheit.
Den Anwalt kennt und respektiert jede politische Seite. Doch für den Allianzmanager Uwe Haasen fällt Vogel derzeit als Unterhändler aus, da er inzwischen aufgrund von böswilligen Falschbeschuldigungen verhaftet wurde. Die Zeit drängt, man СКАЧАТЬ