Название: Neue Zeiten - 1990 etc.
Автор: Stefan Koenig
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Zeitreise-Roman Band 7
isbn: 9783753185569
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Da lachte der Clubbesitzer, weil er glaubte, Harksen hätte einen besonders guten Scherz gemacht. Aber der Kapitalanlage-Zauberer wusste um die Macht der Illusionen. Und er wusste, dass man eben nicht besser als mit der Wahrheit lügen konnte.
Die DDR im Lockdown
In der zweiten Märzwoche wird in München ein großes Fest gefeiert. Die Allianz-Versicherung hat ins Prinzregententheater geladen. Sie feiert heute ihren hundertsten Geburtstag. Als erstes ist eine vieraktige Komödie im Geburtstagsangebot. „Der Barbier von Sevilla oder Die unnütze Vorsicht“. Beaumarchais Komödie von 1775 belustigt 1400 Gäste aus deutschen Landen und der ganzen Welt. In der ersten Reihe sitzt Richard von Weizsäcker, der Bundespräsident.
Als ich von der Veranstaltung im Radio höre, muss ich schmunzeln und denke: Die Geschichtsschreiber werden später schmunzeln. „Die unnütze Vorsicht“? Wer soll über „den Löffel barbiert“ werden?
Der Barbier von Sevilla hat ausbarbiert und nun kümmern sich über hundert Hostessen bei mehreren Banketten um die Gäste in den Festsälen. Wolfgang Schieren führt als Vorstandsvorsitzender seit zwanzig Jahren die Allianz AG Holding. In seiner Rede legt er jetzt stolz dar, wie es um den Konzern bestellt sei. Man verwalte Kapitalanlagen im Wert von 130 Milliarden DM und gehöre zu den größten Immobilienkonzernen des Kontinents. Doch wolle man weiter wachsen, Firmenübernahmen tätigen und neue Partnerschaften in der ganzen Welt aufbauen.
Schieren weist auf neue Geschäftsfelder in Russland, Japan, Thailand, Griechenland hin – und in der DDR. Gerade am Vortag habe man die Erlaubnis erhalten, in Ostberlin eine Repräsentanz zu eröffnen. Das ist ein maßloses Understatement, eine zweckgerichtete Verniedlichung eines eigentlich skandalösen Vorgangs. Denn er selbst hat bereits am 14. November 1989, also nur fünf Tage nach dem Fall der Mauer, dem Chef der Lebensversicherungssparte, Uwe Haasen, telefonisch den Eilauftrag erteilt, die »Staatliche Versicherung der DDR« zu akquirieren. Seitdem arbeitet Haasen, der aus Ostdeutschland stammt, an der Übernahme dieses fetten Sahnestücks.
Die »Staatliche«, wie sie Allianz-Mitarbeiter bald nur noch nennen, ist natürlich ein volkseigener Monopolist auf dem ostdeutschen Markt. Haasen weiß das zu schätzen und für das monopolistische Ziel der Allianz zu nutzen. In der Firma liebt man Tiervergleiche, der Stärkere schluckt den Schwachen oder wird Bruder des Gleichstarken. Der Tiger setzt zum Sprung an.
Und was mich betraf, so war ich zwar kein Tiger, wäre aber gerne ein einziges Mal der Stärkere gewesen und hätte zum Sprung angesetzt. Das Arbeitsamt hätte mich mal kennen lernen sollen. Ob ich je gesprungen wäre, war mir nicht klar. Aber ich teilte Emmas Wutausbruch.
„Diese Trickser! Verwaltungen sollten neutral und fair sein. So eine Schweinerei!“, fluchte Emma.
Meine Frau hatte absolut Recht. Unser gemeinnütziges Bildungsinstitut war mit dem allerersten ökologischen und umwelttechnischen Weiterbildungsangebot in der Bundesrepublik an den Start gegangen. Das war vor dreieinhalb Jahren gewesen, im Oktober 1986. Das zuständige Frankfurter Arbeitsamt hatte unsere Lehrgänge für arbeitslose Natur- und Ingenieurwissenschaftler begrüßt und bewilligt. Aber das Offenbacher Amt, in dessen Bezirk unsere GTU-Gründerzeit-Villa neben dem Deutschen Wetterdienst stand, versuchte alles, um uns loszuwerden.
Wir waren mit den mehrmonatigen Lehrgängen sehr erfolgreich; die Kursabsolventen fanden ihre Berufswege im angewandten Umweltschutz. Umwelttechnik und Umweltgesetzgebung waren zwischenzeitlich vorangeschritten. Noch Anfang der Achtziger Jahre bis hinein ins Jahr 1985 hatte bei den Arbeitsämtern die Ansicht vorgeherrscht, Umweltschutz vernichte Arbeitsplätze. Auch in Wirtschaftsmagazinen hatte man in dieses Horn geblasen. Doch das Gegenteil war der Fall. Inzwischen waren über 250.000 Arbeitsplätze im Umweltschutz entstanden.
Nun also befanden sich Umwelt, Wirtschaft und wir im Aufschwung. Doch da war diese ewige Drangsaliererei aus dem Offenbacher Amt. Die heimtückischen Amtsattacken machten uns arg zu schaffen. Nach zwei Jahren waren wir nach Frankfurt geflüchtet. Und jetzt mussten wir gegen das Offenbacher Amt klagen. Es ging um 320.000 Mark, um die man uns aus unserer Sicht geprellt hatte.
„Du solltest zuvor unbedingt mit dem Chef der Frankfurter Arbeitsverwaltung sprechen, damit die nichts in den falschen Hals bekommen. Mit denen verstehen wir uns gut, wenn die aber erfahren, dass wir gegen Offenbach klagen …“, sagte Emma.
Ich hatte bereits im Januar einen Termin vereinbart, denn wir rechneten jederzeit mit der Nachricht des Sozialgerichts. „Den in Aussicht stehenden Prozess würde ich gerne absagen und unsere Klage zurücknehmen“, antwortet ich Emma. „Doch ich befürchte, die Offenbacher bleiben unzugänglich. Meine letzte Hoffnung ist Direktor Griesheimer.“ Er war der Frankfurter Amtsleiter, und nun hatte ich in drei Tagen eine Vorsprache bei ihm. Vielleicht konnte er auf seinen Offenbacher Kollegen einwirken.
Frau Söhnlein, die Beamtin, die uns mit ihrem willkürlichen Verwaltungsgebaren aus dem Offenbacher Bezirk vertrieben hatte, hatte in Offenbach das Z-Büro geleitet; das war das zentrale Büro für die Bearbeitung von Fortbildungs- und Weiterbildungsangeboten. Unglücklicher Weise war uns diese angestaubte Beamtin wenige Monate nach unserer wirtschaftlich bedingten Flucht in den freundlichen Frankfurter Arbeitsamtsbezirk nachgefolgt. Nun hatten wir sie wieder auf der Pelle. Der Notausgang hatte sich als Sackgasse erwiesen.
Die von Emma angesprochene Schweinerei war gerade vor wenigen Monaten aufgeflogen. Parallel zu unserer neuen Frankfurter Einrichtung hatten wir weiterhin noch Kurse in der Offenbacher Villa laufen. So ganz waren wir dieses Amt also noch nicht los. Nun hatten die Offenbacher hinter unserem Rücken eine Auftragsmaßnahme ausgeschrieben.
„Das ist ein Ding der Unmöglichkeit“, hatte sich Herr Lewin entrüstet, als ich ihn in seinem Büro besuchte. Er war der fachliche Arbeitsamtsexperte aus Frankfurt und hatte den Zahn der Zeit rechtzeitig erkannt. Sein Revier war der FVD, der Fachvermittlungsdienst; somit war er für die Beurteilung der arbeitsmarktlichen Notwendigkeit der von uns angebotenen Umwelt-Maßnahmen zuständig.
„Hier, Sie sehen es doch! Die Anzeige ist uns rein zufällig in die Hände gefallen. Man hat haargenau unsere Inhalte abgekupfert und bietet sie nun irgendeinem x-beliebigen Bildungsträger an, egal, ob man dort über das Know-how und die zahlreichen Kapazitäten verfügt, die man für diese komplexen Lehrgänge benötigt“, hatte ich geantwortet.
Dann hatte ich mit einem Bildungsträger in NRW telefoniert, den ich vor drei Jahren auf dem Flur des Offenbacher Amtes kennen gelernt hatte. Er hatte damals ein Bündel Geldscheine gezückt und Andeutungen gemacht, die mich irritiert hatten. Der verschmitzte Geschäftsführer war dennoch nicht zum Zug gekommen.
Jetzt erklärte er, er würde sich nicht auf diese Maßnahme bewerben, denn es sei klar, dass man mit einem Stundensatz von fünf Mark keine vernünftige Maßnahme durchführen könne. Damit sei gerade mal ein Englisch-Sprachkurs finanzierbar. Er hätte bereits mit dem Offenbacher Amt telefoniert. Man habe ihm 7,80 DM angeboten, aber unter 8,50 DM würde er es nicht verantworten wollen.
Ob er das vor Gericht bezeugen würde, hatte ich gefragt.
„Aber sicher doch! Es ist die Wahrheit. Was ist daran problematisch?“
Problematisch war es nun für das Amt, denn bei uns war man nicht bereit gewesen, auch nur einen Pfennig über fünf Mark hinauszugehen. Alles war dokumentiert. Man wollte uns übervorteilen, wollte uns gegenüber anderen Trägern benachteiligen, wollte uns finanziell in die Enge treiben, wollte uns austrocknen und damit etwas Innovatives beseitigen, was einem nicht ins konservative Amtskonzept passte. Man wollte uns ruinieren. Dagegen hatte ich zum Schutz unserer gemeinnützigen СКАЧАТЬ