Название: Neue Zeiten - 1990 etc.
Автор: Stefan Koenig
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Zeitreise-Roman Band 7
isbn: 9783753185569
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„Sind Ihre Eltern denn schwierig?“, fragte er voller Anteilnahme.
„Ja, um ehrlich zu sein. Sie hätten es vermutlich gern, wenn ich anders wäre. Ich bin ihnen irgendwie zu frei. Sie finden es nämlich ein bisschen verfrüht, dass ich in meinem Alter schon eine eigene Wohnung habe.“
„Mit Mitte Zwanzig ist es für eine Frau doch Zeit, sich ein eigenes Nest zu bauen“, bestätigte er sie.
„Woher wissen Sie mein Alter?“
„Ich habe es geschätzt.“
„Treffer! Gut geschätzt. Ich habe gehofft, etwas älter zu wirken.“
„Wir unterhalten uns auf gleichem Level, wo ist das Problem?“
Sie lächelte ihn an und ihr Lächeln, so schien es ihm, hatte dieses Mal etwas an sich, was er so schon lange nicht mehr wahrgenommen hatte. War es ein verführerisches Lächeln?
Dann wich ihr Lächeln einem ernüchterten Gesichtsausdruck und sie fuhr fort: „Nach Meinung meiner Eltern vergeude ich mein Talent, wenn ich bei Fiona Geschirr spüle, wie sie sich ausdrücken. Ginge es nach ihnen, dann sollte ich irgend so einen reichen lokalen Honoratiorensohn heiraten und in einem großen protzigen Haus mit Dallas-Säulen davor und drinnen drei Badezimmern meine Kinder großziehen.
„Sagen sie das?“
„Das müssen sie nicht sagen, das weiß ich auch so.“
„Vielleicht wünschen sie sich einfach nur das Beste für Sie und wissen nicht, wie sie es ausdrücken sollen.“
„Oh nein, meine Mutter weiß immer, was sie sagen soll, normalerweise in vier Variationen, die alle auf dasselbe hinauslaufen – dass ich mein Leben vergeude.“
„Mal abgesehen vom männlichen Honoratiorennachwuchs, der von Beruf Sohn ist, gibt es denn jemanden, den Sie mögen?“ Er fragte behutsam, nicht aufdringlich, eher interessiert.
„Nein. Wie ich schon sagte, das Kapitel Männer ist für mich abgeschlossen.“
„Das ist aber schade. Es soll ein paar ganz nette geben.“ Er hatte ein schönes Lächeln, leicht ironisch, mit einem verschwörerischen Augenzwinkern.
„Das Risiko will ich lieber nicht eingehen. Ich bin sicher, Sie wissen, was ich meine.“
„Und ob ich das weiß.“ Einen kleinen Moment überlegte er, und dann erzählte er ihr die ganze Geschichte von Svea. Er erzählte alles aus einer lange zurückliegenden Zeit, lange bevor er ein Star des US-Showbiz geworden war. Er erzählte auch von seiner langjährigen Arrestierung wegen Desertation und von der anschließenden, so vergeblichen Rettungsaktion von Svea. Er erzählte von all den Freunden, mit denen er sie gesucht und schließlich tot aufgefunden hatte. Dabei erwähnte er auch den Namen »Quiny«.
Mara horchte auf. „Woher stammte Quiny?“, fragte sie.
„Sie war eine Deutsche, sehr nett, sehr hübsch, sehr klug. Ein Arbeitermädchen, wie sie immer betonte. Aber auch sie hatte nach ihrer Ansicht nicht die richtigen Eltern. Sie hätten ihre Tochter fördern sollen. In der damaligen Zeit hätte Quiny eine Chance gehabt, das Abitur zu machen und eine Universität zu besuchen. So aber brachte sie es nur zur Kindergärtnerin.“
„Aber das ist doch ein sehr wichtiger und ausfüllender Beruf“, wandte Mara ein.
„Das habe ich ihr auch immer gesagt.“ Stephen Carry schaute Mara erwartungsvoll an, als habe sie noch etwas zu bemerken.
Und genauso war es. „Ich kenne auch eine Quiny. Doch hier bei uns nennen sich viele so, und es wird unter all den Tausenden gewiss nicht deine Quiny sein.“
„Woher kennst du sie?“
„Sie arbeitet aushilfsweise bei uns im Hotel. Aber sie ist keine Deutsche, obwohl sie auch Deutsch spricht. Sie spricht sogar spanisch. Und sie ist mit einem Iren verheiratet. Am Wochenende, bevor du abreist, hat sie Dienst und du wirst sie kennen lernen. Sie ist wie jene Quiny, die du kennst, hübsch, nett, klug und in deinem Alter.“
„Meine Quiny war einmalig.“
„Unsere Quiny ist auch einmalig, glaube mir.“
Die DDR-zieht`s ins Blaue
„Das wäre einmalig, Herr de Maizière!“, ruft Holzwarth aus. Noch am Vorabend des Wahltages hatten sich weder der Ost-CDUler Lothar de Maiziere noch sein Bonner CDU-Manager Holzwarth vorstellen können, dass der christdemokratische Spitzenkandidat tatsächlich Ministerpräsident der DDR werden könnte. Doch das ist nach dem deutlichen Wahlergebnis keine Frage mehr. An dem Anwalt führt kein Weg vorbei, auch wenn der Bundeskanzler ihn noch immer nicht ganz ernst zu nehmen scheint.
De Maizière mag Kohl ebenfalls nicht. Als der bescheidene, fast asketische Ostdeutsche Helmut Kohl zum ersten Mal trifft, beobachtete er verwundert, wie der Bundeskanzler zwölf Stück Kuchen verschlingt.
Mit Hilfe von Holzwarth und anderen Bonner CDU-Strategen schmiedet de Maizière Pläne für die Währungsunion und die Einheit. Da sich die Koalitionsverhandlungen als äußerst kompliziert erweisen, führt die Regierung des PDS-Politikers Modrow die Amtsgeschäfte weiter und kontrolliert damit auch die Treuhand.
Anfang April arbeiten 72 Mitarbeiter in der Zentrale gegenüber der Russischen Botschaft Unter den Linden. Die 15 Außenstellen sind nur spärlich besetzt. Betrieb für Betrieb sollen die Mitarbeiter der neuen Behörde die sozialistischen Wirtschaftseinheiten in Gesellschaften mit beschränkter Haftung, also in GmbH-Unternehmen, umwandeln. Die erste Bestandsaufnahme ergibt 7.894 Volkseigene Betriebe, die auf einen Schlag in Kapitalgesellschaften umgewandelt werden sollen.
Für Detlef Scheunert brechen neue Zeiten an. Alle seine Kollegen, die bis dahin ihren Posten nicht verlassen haben, verfassen mit ihm gemeinsam einen Bericht, der dem zukünftigen neuen Herren einen Überblick über die chaotischen Zustände in vielen volkseigenen Kombinaten geben soll. Die Vorlage trägt Scheunerts exakte Handschrift. Seine Tugenden: Preußisch-sozialistische Korrektheit. Pflichtbewusstsein. Bürgerliche Ordnung in einer Zeit der Unordnung.
Der Wahlsieger hat fast vier Wochen gebraucht, um die Partner seiner Regierungskoalition auf ein Programm festzulegen. Er hat eine große Koalition mit der SPD, der »Allianz« und liberalen Parteien gebildet. Als erstes werden die vielen Ministerien, die für die DDR-Industrie zuständig waren, zu einem einzigen Wirtschaftsministerium zusammengeschmolzen. Aus der zentralistisch-sozialistischen Plan-Struktur wird ein superzentralistisch-kapitalistisches Einheitsministerium. Wie im Westen, so nennt man es auch hier jetzt einfach »Wirtschaftsministerium«. Chef des neuen Ministeriums wird Gerhard Pohl, CDU-Mitglied, Volkskammermitglied schon unter der SED, ehemals in einem Feintuchwerk in der Lausitz als Ingenieur und stellvertretender Leiter tätig.
Scheunert rechnet täglich mit seinem Rauswurf, schließlich ist er Offizier der Nationalen Volksarmee und noch immer СКАЧАТЬ