Neue Zeiten - 1990 etc.. Stefan Koenig
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Название: Neue Zeiten - 1990 etc.

Автор: Stefan Koenig

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Zeitreise-Roman Band 7

isbn: 9783753185569

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СКАЧАТЬ und die beiden Damen verschwanden.

      Sobald sich die Tür hinter den beiden geschlossen hatte, sagte der Patient: „Ich habe starke allergische Reak­tionen gegen Wiederholungstäter, oder tue ich Ihnen etwa Unrecht, Herr Postel? Haben Sie vielleicht ehrlich das Abitur gemacht und Medizin studiert und promoviert und, und, und …?“

      Postel fiel es wie Schuppen von den Augen. Er hatte sich von der Berufsbezeichnung »Jurist« täuschen lassen. »Jurist« klang so neutral, so nach Syndikus-Anwalt. Aber natürlich – auch wenn man bei der Strafjustiz in Norddeutschland tätig war, konnte man ja diese Berufsbezeichnung angeben. Vor Postel auf dem Behandlungs­stuhl lag niemand anderes als Dr. Ortmann, der sich einst um die Ahndung seiner frühen Hochstapeleien gekümmert hatte. Erkannt hatte Postel ihn unter anderem deshalb nicht, weil er bislang ein Toupet getragen hatte.

      Eigentlich sollte Richtern und Staatsanwälten aus Gründen der Wahrheit das Tragen von Toupets untersagt werden, dachte Postel. Ein Berufsstand, der so stark der Wahrheitsfindung verpflichtet ist, sollte mit einer wandelnden Unwahrheit, einer ständigen Täuschung, wie sie ein Toupet nun einmal darstellt, nichts zu tun haben. Dieser Gedanke half ihm in der konkreten Situation allerdings nicht weiter.

      Postel überlegte hin und her, wer von ihnen beiden in der misslicheren Lage sei – der Staatsanwalt, fixiert auf dem Behandlungsstuhl und schon um 60.000 Mark erleichtert, auf der Suche nach einem dynamisch-jüngeren Aussehen und nun vielleicht gezwungen, die näheren Umstände von Postels Enttarnung in öffentlicher Hauptverhandlung zu bekunden. Oder er, Postel, als neu entdeckter falscher Arzt.

      Da ihm in diesem Moment sowieso alles gleichgültig war, sagte er ganz ruhig: „Nach dieser Art von Allergien habe ich nicht gefragt. Mich interessiert nur, ob Sie das von uns verwendete Anästhetikum vertragen. Ich spritze im Übrigen hervorragend und vergleichsweise schmerzfrei. Wenn Sie jedoch eine Betäubungsspritze durch unseren Herrn Dr. Warga wünschen, lässt sich das ohne weiteres arrangieren. Er stünde in fünf Minuten zur Verfügung.“

      Dr. Ortmann sah aus seiner fixierten Liegeposition leicht gequält zu Postel auf.

      Postel wich seinem Blick nicht aus. „Sie können natürlich einen Skandal machen“, sagte er, „mich anzeigen und dann vor Gericht gegen mich aussagen. Ich würde in einem Prozess sowieso schweigen und könnte Ihnen daher ein Erscheinen als Zeuge nicht ersparen. Ob Ihr Auftritt sich vor Ihrer Heimatpresse, vor Ihrer Dienststelle wirklich geheim halten ließe, kann ich selbstverständlich nicht garantieren. Immerhin haben meine Prozesse stets einige Aufmerksamkeit gefunden.“

      Da Dr. Ortmann noch immer nichts erwiderte, holte Postel nach einer kurzen Pause zum letzten Schlag aus: „Wie ich hier aus Ihren Unterlagen ersehe, haben sie heute Morgen 60.000 Deutsche Mark eingezahlt. Die Dame im Sekretariat hat schon geflucht, weil »der Jurist aus Norddeutschland« in kleinen Scheinen, in 10ern, 20ern, 50ern und 100ern gezahlt hat und sie fast eine halbe Stunde mit Nachzählen beschäftigt war. Stammt das direkt aus dem Sparstrumpf? Oder hat Ihnen das ein Bekannter geliehen oder zahlt Ihre Bank Darlehen dieser Größenordnung in so winziger Stückelung aus? Ich will da nichts unterstellen. Ich frage ja nur.“

      „Na, Postel, treiben Sie es nicht zu bunt. Sie sind schneller im Gefängnis, als Sie glauben“, sagte der Staatsanwalt mit quäkender, um Entschlossenheit bemühter Stimme.

      „Dr. Ortmann, darf ich Ihnen einen Vorschlag zur Güte machen? Ich kündige meinen Job hier noch heute und Sie lassen sich von Dr. Warga spritzen. Wir beide haben uns hier nie gesehen. Was halten Sie davon?“

      Nach außen hin belehrend und großzügig, aber eigentlich mit spürbarer Erleichterung in der Stimme antwortete der Staatsanwalt: „Uns Strafjuristen kommt es schließlich aufs Ergebnis an. Wenn ich Sie wirklich zur Beendigung dieser strafbaren Tätigkeit bewegen kann, dann lässt sich Ihr Vorschlag schon hören. Spritzt denn Dr. Warga gut und hat er wenigstens Medizin studiert?“

      „Er ist ein echter und erfahrener Arzt. Als Kettenraucher zittert er natürlich manchmal beim Ansetzen der Spritze, und das kann vorübergehend ein bisschen weh tun. Aber darüber sind wir uns ja wohl einig: Wer Gerechtigkeit will, muss dafür auch Opfer bringen.“

      „Also gut, Postel“, sagte Dr. Ortmann. „Holen Sie mir den Warga. Wenn ich heute Abend dieses Etablissement verlasse, will ich Sie hier nicht mehr sehen. Und im Übrigen: Glauben Sie ja nicht, dass Sie mich mit dieser blöden Kunsthaargeschichte irgendwie erpressen können. Da ich Sie nun wirklich rein außerdienstlich hier angetroffen habe, bin ich nicht verpflichtet, Sie anzuzeigen, und werde es auch nicht tun. Wenn Sie aber Ihr Wort nicht halten, dann gnade Ihnen Gott!“

      Wahlsieger & Kunsthaar & Barschel

      Werden die Wahlsieger ihr Wort halten oder wird Gott ihnen gnädig sein müssen? Aus der Wahl geht überraschend die CDU-Ost als großer Sieger hervor. Sie allein konnte ohne ihre Partner der »Allianz für Deutschland« über 40 Prozent der Stimmen gewinnen. Die Bürgerrechtsparteien und die SPD-Ost werden vernichtend geschlagen. Die PDS erringt mit 16 Prozent mehr Stimmen als alle Parteien der Bürgerrechtsbewegung zusammen und nur fünf Prozent weniger als die SPD. Otto Schily von den Grünen hält stumm eine Banane in die Kameras, als er gefragt wird, warum die DDR-Bürger sich so entschieden hätten. Der konservative Westberliner Ex-Bürgermeister Eberhard Diepgen dagegen jubelt laut: „Das bedeutet das Ende der DDR.“

      Die DDR endgültig abzuschaffen und zuvor die Einheit auszuhandeln, fällt nun dem CDU-Spitzenkandidaten und Wahlsieger Lothar de Maizière zu. Noch vor Kurzem, bei seinem ersten Besuch in Bonn im Januar, stand er vor der Parteizentrale und wartete vergeblich darauf, dass man ihn einließ. Erst Fritz Holzwarth, ehemals Bürochef von Heiner Geißler und jetzt Abteilungsleiter für Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik der CDU, wird auf ihn aufmerksam und bittet ihn herein. Er wird letztlich der Mentor von de Maizière, schreibt dessen Reden, stimmt die Strategie ab, sortiert jene Berater aus, die der konservativen Parteipolitik zuwiderlaufen. Holzwarth selber spricht über seine Rolle im Wahlkampfteam von Lothar de Maizière nicht öffentlich. Der westdeutsche CDU-Einfluss soll verborgen bleiben.

      Inzwischen laufen die heimlichen Deals zwischen Ex-SEDler Edgar Most von der DDR-Staatsbank und dem finanzkapitalistischen Headquarter, der Deutschen Bank. Auch zwischen dem Allianz-Konzern und der Staatlichen Versicherung der DDR wie auch zwischen zig anderen westdeutschen Großunternehmen und den noch »Volkseigenen« Betrieben werden stillschweigend Deals abgeschlossen.

      Solche Deals sollte eine Treuhandanstalt eigentlich verhindern, doch die nimmt erst einen Tag nach der Wahl ihre Arbeit auf. Drei Tage zuvor hat sie überhaupt erst ihr Statut erhalten. Chef der Treuhand wird Peter Moreth von den Liberal-Demokraten der DDR. Er ist als stellvertretender Ministerpräsident an den Runden Tisch abgeordnet und kennt von daher Gebhardt und seine „Volkseigentümler“. Ihre sozial gerechte und ökono­misch berechtigte Idee ist akzeptiert. Jetzt geht es um die Umsetzung.

      Moreth soll nun die Treuhand aus dem Boden stampfen. Die Fachleute dazu holt er aus den Ministerien für Industrie und Wirtschaft sowie aus der Plankommission. Noch braucht die Treuhand wenig Platz und kommt in ein paar Räumen im Außenhandelsministerium unter. Von der Öffentlichkeit wird die neue Behörde, die das Volkseigentum dem Volk erhalten soll, kaum beachtet.

      Im Kunsthaar-Institut schaut der Staatsanwalt Dr. Ortmann drohenden Blickes zum entlarvten Hochstapler auf. Postel schüttelt ihm die Hand und sagt zum Abschied ganz fürsorglich: „Bitte denken Sie daran: das implantierte Kunsthaar nie föhnen, sonst ist es futsch und die sauer ersparten 60 Mille gleich mit. Also, alles Gute, Dr. Ortmann!“

      Unter dem Vorwand, indisponiert zu sein, bittet Postel seinen Kollegen Dr. Warga, an seiner Stelle die Behandlung von Dr. Ortmann zu übernehmen. Dann verlässt СКАЧАТЬ