Название: Neue Zeiten - 1990 etc.
Автор: Stefan Koenig
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Zeitreise-Roman Band 7
isbn: 9783753185569
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„Das beruht wohl auf Gegenseitigkeit“, sagte Mara. „Nun entlasse ich Sie in die irische Freiheit und gehe einkaufen. Die Rückfahrt bekomme ich hin. Irgendjemand fährt schon nach Honeybridge zurück.“
„Ich gehe aber gerne einkaufen und würde mich freuen, Sie begleiten zu dürfen“, bot John an.
Er beobachtete mit Interesse, mit welchem Geschick Mara mit dem Gemüsehändler, dem Metzger, Käsehändler und Bäcker feilschte. Als alles bezahlt und eingepackt war, traten sie aus der Markthalle hinaus in die verregnete Kälte.
Mara war ihm sehr dankbar. „Ohne Sie wäre ich aufgeschmissen gewesen. Tausend Dank! Genießen Sie noch Ihren Tag.“ Sie ging auf eine Telefonzelle zu.
„Wohin gehen Sie?“, fragte John, „mein Auto steht dort hinten“, und er zeigte in die entgegengesetzte Richtung.
„Ich rufe einen früheren Nachbarn an, der hier wohnt, und werde ihn bitten mich zurück zu fahren.“
„Das kommt nicht in Frage“, sagte John entschieden. „Ich fahre Sie zurück. Wenn ich aber ehrlich bin, so könnte ich nach unserem Einkaufsbummel schon wieder eine Tasse Kaffee vertragen“, gestand er.
Sie schaute ihn lächelnd an. „Na gut, Sie haben gewonnen. Gehen wir dort drüben in das Café.“
„Lassen Sie uns erst die Einkäufe ins Auto bringen“, meinte John. „Dort bleiben sie kühl, und dann gehen wir für eine Viertelstunde auf einen Kaffee ins Warme.“
Im Café setzten sie ihre Unterhaltung fort. Mara erzählte, dass sie fast einmal nach New York geflogen wäre, um ihren Onkel und Fiona zu besuchen, aber dann hatte sich leider dieser schreckliche Unfall ereignet, bei dem ihr Onkel ums Leben gekommen war. Sie erzählte von ihrer Ausbildung im schönen und friedlichen Dublin, von ihren Verwandten im nordirischen Belfast, wo immer noch Gewalt das zivile Leben bestimme und erst vor Kurzem ein IRA-Anschlag und die britische Reaktion darauf zwölf Tote gefordert habe.
Sie sprach von ihrer Hoffnung auf ein geeintes und vom Königreich unabhängiges Irland. Doch das friedliche Dublin, wo sie drei Jahre gewohnt hatte und das zweifellos schön sei, war ihr zu laut und zu geschäftig erschienen. Da hatte sie das Heimweh nach den Klippen von Honeybridge und dem Meer gepackt. Ohne Fiona hätte sie hier jedoch nirgendwo Arbeit gefunden. Und dann fügte sie noch hinzu, dass dieser Ort ihrer Ansicht nach etwas Heilendes und Spirituelles an sich habe, das helfe, jeglichen Schmerz im Herzen zu lindern.
„Ich glaube, ich verstehe, was Sie meinen“, sagte John. „In der kurzen Zeit, in der ich hier bin, spüre ich bereits, wie ruhig und ausgeglichen ich werde.“
„Ja, das Leben ist hier gewiss sehr anders als das, was Sie gewohnt sind“, meinte Mara.
„Ganz anders“, erwiderte er, ohne darauf näher einzugehen, welche Art Leben er führte.
„Bei sich zu Hause können Sie wahrscheinlich nicht einfach ins nächstbeste Café gehen und völlig normal eine Tasse Kaffee ordern …“
John sah sie scharf an. „Wie meinen Sie das?“, fragte er nach einem kurzen zögerlichen Moment.
Postel fliegt auf
In der Zwischenzeit war Gert Postels Arbeit als selbsterfundener Dermatologe insgesamt recht angenehm und kurzweilig verlaufen. Dreimal pro Woche spritzen brachte ihm monatlich 16.000 DM. Er arbeitete eine Zeit lang auch in Thessaloniki mit Patienten, die ihren gesamten griechischen Familienanhang mitbrachten. Da »Mutti«, die Frau des Haarinstitut-Besitzers, das ölige Essen der Griechen nicht mochte und zu Hause blieb, durfte Mandy im Hotelzimmer des Chefs übernachten. Abends, nach getaner Arbeit, veranstaltete er jedes Mal mit der ganzen Belegschaft eine große Sause in gemütlichen Restaurants. Überhaupt war er hier und in Abwesenheit von »Mutti« immer sehr aufgeschlossen. Vielleicht tat Mandy dazu ihr übriges. Wahrscheinlich war es auch die phantastische Tatsache, dass hier die Einkünfte der Landessitte entsprechend als vollständig steuerfrei galten.
Zurück in Deutschland, ließ sich einmal ein berühmter Unterhaltungskünstler in einem Hamburger First-Class-Hotel unter großer Geheimhaltung Haare implantieren. Nur wenige Haare – und auch nur an einer bestimmten Stelle seines Kopfes. Der berufsmäßige Spaßvogel blieb während der ganzen Behandlung sehr ernst.
Medizinisch hatte sich Postel im Institut bisher nichts zuschulden kommen lassen. Er führte sogar eine spritzige Innovation ein, die die Implantation schmerzfreier und das Nachspritzen überflüssig machte. Er verdoppelte einfach das zu spritzende Anästhetikum.
Doch heute – es ist der Tag vor der entscheidenden Wahl in der DDR – läutete sein abruptes letztes Stündlein in diesem außerordentlich lukrativen Implantations-Institut. Und das kam so: Einmal hatte der Chef im Zuge der beängstigenden Expansion seines Unternehmens einen Unternehmensberater engagiert, der nach einer Analyse der Personalkosten vorschlug, Postels Honorar dem des Dr. Warga anzugleichen. Das bedeutete de facto, dass Postel in Zukunft nur noch 9.000 Mark im Monat verdienen sollte. Nun war auch das immerhin noch eine schöne Summe Geldes, und er hätte sich damit durchaus auch abfinden können.
Doch da war noch ein anderer Aspekt dieses Vorschlags, nämlich die darin enthaltene Abwertung von Postels Persönlichkeit. Das konnte der Hochstapler nicht verkraften. Es ist tatsächlich so, dass es mit dem Selbstbewusstsein dieser Art Persönlichkeiten nicht zum Besten bestellt ist. Ihr hochgemutes, scheinbar selbstsicheres, manchmal auch herrisches Auftreten ist nicht Ausdruck eines ebensolchen Charakters. Vielmehr ist ihr wahres Ich zuweilen kleinlaut, ängstlich und vollkommen unfähig, Aggressionen anderer länger auszuhalten. In solchem Fall blieb Postel nur die Pose des beleidigten Rückzugs. Alles andere konnte er sich nicht leisten. Zurückschlagen konnte er nur, wenn er das sichere Gefühl hatte, über genügend und über stärkere Bundesgenossen zu verfügen.
Schon wenn er eine Situation nicht genau einschätzen konnte, zog Postel sich lieber zurück. Sein oberstes Prinzip war es, unter allen Umständen irgendwelche demütigende Situationen zu vermeiden. Einen Tag, nachdem er von den Gehaltskürzungsplänen erfahren hatte, geschah etwas, das ihn endgültig davon überzeugte, es sei klüger die Institutstätigkeit so schnell wie möglich zu beenden.
Am frühen Vormittag wurde er gerufen, um einen Patienten lokal zu betäuben, von dem er durch einen kurzen Blick in die Patientenakte wusste, dass es sich um einen Juristen aus dem norddeutschen Raum handelte. Im Institut war es üblich, dass die Implanterinnen, bevor sie dem Arzt Bescheid sagen, den Patienten bereits auf dem Stuhl fixiert, die Kopfhaut mit Alkohol desinfiziert und das Spritzbesteck samt den Ampullen bereitgelegt haben.
Gert Postel, angetan mit Haube, Mundschutz und Arztkitte, betrat also in Begleitung von Mandy und ihrer Kollegin den Behandlungsraum. Er sah einen Glatzkopf von hinten im Behandlungsstuhl, stellte sich halb seitlich vor ihn, ergriff seine auf der Armlehne liegende Hand, schüttelte sie und sagte: „Ich bin Dr. Postel; ich werde jetzt bei Ihnen eine lokale Betäubung durchführen. Sind Sie allergisch gegen irgendetwas?“
Der Patient erwiderte überraschend: „Kann ich mit Ihnen einen Moment unter vier Augen sprechen?“
Postel hatte ein ungutes Gefühl, weil ihm die Stimme irgendwie bekannt vorkam und weil der Patient ihn, den vermeintlichen Arzt, unter Weglassung des Doktortitels angesprochen hatte. Gleichwohl antwortete Postel СКАЧАТЬ