Rasante Zeiten - 1985 etc.. Stefan Koenig
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Название: Rasante Zeiten - 1985 etc.

Автор: Stefan Koenig

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Zeitreise-Roman

isbn: 9783750237100

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СКАЧАТЬ und Kohleöfen beheizt. Es war uns wegen der Kleinkinder zu riskant. Später rief Oma Greta an und sagte, sie hätte extra ordentlich eingeheizt. Aber aufgeschoben, war ja nicht aufgehoben. Und die eingeheizten Öfen würden den beiden lieben Alten gewiss nicht schaden.

      Geburtstagsmäßig war die Verschiebung nicht schlimm, denn auch eine Woche später war wieder ein Jahrestag fällig. Noch immer herrschte eine Kälteperiode, aber diesmal waren es nur minus zwei Grad, und alles war gut vorbereitet und wieder ordentlich vorgeheizt.

      „Onkel Armin wird sechzig. Da solltet ihr schon mal kommen. Außerdem haben Irmgard und Armin Luca noch nie gesehen. Kommt ihr also?“, meinte Oma Greta.

      „Na gut“, hatte Emma geantwortet.

      Geburtstags- und andere Feiern waren gewissermaßen fränkische Bürgerpflicht, und dies insbesondere im unterfränkischen Grafenrheinfeld, südlich von Schweinfurt, wo eines der neuesten Kernkraftwerke am linken Mainufer lag. Seit 1982 war es in Betrieb und fuhr jährlich allergrößte Summen an Gewerbesteuer in die Gemeindekasse ein. Von diesem Zeitpunkt an fielen städtische Feiern immer etwas größer als anderswo aus.

      Ja, seitdem blühte das Städtchen auf. Straßen und Wege, Parks und Parkplätze, Häuser und Schulen, wie auch der Kindergarten, wurden förmlich vergoldet – ein regionaler Geldsegen durch atomar erzeugte Energie. Sogar eine Krabbelstube wurde eingerichtet. Den Rathausvorplatz krempelten die Ratsherren völlig um und gestalteten ihn nach modernsten Gesichtspunkten. Eine Bibliothek entstand, wie es in dieser Ausstattung und Güte keine einzige Stadtteilbibliothek in der Millionenstadt Berlin gab. Die Kraftwerksmanager wurden im Rathaus wie Könige empfangen.

      Der Werksarzt hatte seine Praxis genau neben dem Häuschen meiner Schwiegereltern. Sein Berufsgeheimnis bewahrte ihn vor jenem schlechten Ruf, den das Atomkraftwerk schon bald nach Inbetriebnahme bei den wenigen kritischen Gegnern hatte. Ich sollte diesen speziellen Arzt und die vielen individuellen gesundheitlichen Katastrophen aus dem Landkreis später noch näher kennen lernen. Es war der Beginn meiner Anti-AKW-Einstellung.

      Doch nun war erst einmal ein ganzes Städtchen mit einem Schlag korrumpiert. Alle Ängste, Sorgen und Bedenken waren weg gekauft worden. Man sah, verblendet, nur noch das glänzende Gold. Der bedrohlich wirkende Zwei-Türme-Bau trat in den Hintergrund. Tagsüber waren sie unnahbar für jeden Fremden. Nachts war das Werk bewacht und beleuchtet wie ein unheimliches, gefährliches Straflager, aus dem rabiate Gefangene ausbrechen und Mord und Totschlag verüben könnten.

      Irgendwie war es auch so. Da waren gefährliche Uran- und Plutoniumatome konzentriert, waren gefangen in einer Reaktionskette, aus der sie, wenn sie ausbrechen könnten, Tod und Verderben über die Umwelt bringen würden.

      „Natürlich muss man so etwas ordentlich bewachen!“, sagte Emmas Onkel Armin, ein gestandener SPD-Mann, als ich mich mit ihm an seinem Geburtstag kurz über Neuigkeiten aus dem AKW unterhielt. „Aber heute, mein lieber Stefan, trinkst du erst mal einen Jägermeister. Prost!“

      Er hielt mir ein Schnapsgläschen hin, an dem ich vorsichtig nippte, nachdem ich auf seinen Sechzigsten angestoßen hatte.

      Über sieben Brücken musst du gehn, sieben lange Jahre überstehn. Was den siebenjährigen Bau des Kernkraftwerks anging, lag der Song daneben – oder eben der Bau lag neben den Intentionen des Liedes. Die Technologie affinen Sozialdemokraten hatten den sieben lange Jahre dauernden Bau ebenso politisch unterstützend begleitet wie die sowieso am Tropf der Energiekonzerne hängenden Christsozialen. Spenden und Männerfreundschaften taten ihr Übriges. Ich kannte ja bereits Armins Einstellung, der, wie alle anderen aus der Verwandtschaft, froh war, dass sich im fränkischen Armenhaus eine so moderne und sichere Großindustrie hatte ansiedeln lassen.

      „Wir können doch froh sein!“, hatte er damals in der Bauphase gesagt, als Emma und ich unsere Bedenken gegen diesen bedrohlichen Atombau äußerten. „Das schafft Arbeitsplätze und dann sprudeln Einkommens- und Gewerbesteuern. Die Bayerwerk AG zahlt zudem hohe Löhne. Die Kaufkraft wird steigen und damit der Konsum und der allgemeine Reichtum in diesem Ort!“

      „Ich zweifle an der Sicherheit einer solchen Hochrisikotechnologie“, hatte ich gesagt.

      „Stefan, das ist Hysterie, glaub mir. Es gibt kein Risiko!“

      „Eine Studie des Bundesamts für Strahlenschutz hat etwas anderes aufgezeigt. Die Häufigkeit kindlicher Tumore im Umfeld von Atomkraftwerken in Bayern weist eine statistisch signifikante Erhöhung von zwanzig Prozent über dem Durchschnitt auf. Das ist doch mehr als bedenklich“, antwortete ich.

      „Aber wer sagt denn, dass die Atomstrahlung die Ursache ist? Es gibt so viele andere Umweltbelastungen, an denen es liegen könnte.“

      Onkel Armin stellte sich also schlafend. Da habe ich mich an das afrikanische Sprichwort erinnert aus meiner Zeit als 68er-Demonstrant gegen Krieg und Notstandsgesetze, für Aussöhnung mit dem Osten und für soziale Gerechtigkeit und an meine oft gescheiterten Versuche, Mitstreiter zu gewinnen: »Es ist schwer jemanden zu wecken, der sich schlafend stellt«.

      Ich fragte mich: Stellte sich der kluge SPD-Onkel nur schlafend, oder befanden er und sein Umfeld sich bereits durch Abhängigkeit von den medialen Schlafmitteln im Tiefschlaf und wachten nur kurz auf, um ärgerliche Störungen abzuwehren?

      Onkel Gerhard war ein etwas kritischerer Geist, auch SPD-Mitglied, aber später, als der Atommeiler lange schon in Betrieb war, arg zweifelnd, ob nicht doch etwas an den Gerüchten dran sei, denen zufolge immer mehr Leukämie-Erkrankungen in der Gegend auftraten.

      „Es sind ja nicht nur Gerüchte“, meinte er. „Ich selbst kenne Leute, deren Familienmitglieder Leukämie bekommen haben. Und die Leute sind sich sicher – wie auch ich mit meiner bisherigen Lebenserfahrung sagen kann –, dass es hier in der Gegend noch nie so viele Leukämieerkrankungen gab wie seit der Inbetriebnahme des Atomkraftwerks.“

      Ilse, die ältere Schwester von Emma, und ihr Mann Toni waren „pro AKW“. Ilse hatte dort als ungelernte Kraft einen der begehrten Arbeitsplätze in der Küche ergattert, und Toni gehörte im Kraftwerk als festangestellter Elektromeister zu einer der bestbezahlten Arbeitskräfte. Sie konnten sich schon zwei Jahre nach Arbeitsaufnahme im Atomkraftwerk ein eigenes Haus in der Nähe der Schwiegereltern leisten, und dies trotz der in den letzten Jahren in die Höhe geschossenen Immobilien- und Grundstückspreise im plötzlich hochbegehrten Grafenrheinfeld.

      In dieser eiskalten Februarnacht überkam unseren fünf Monate alten Luca ein heftiger Krupp-Husten-Anfall. Erst hustete er langanhaltend, dann krächzte er, dann schnappte er nach Luft, sein Gesichtchen wurde dunkelrot und wir befürchteten das Schlimmste. Es war zirka 23 Uhr. Emma und ich zogen uns eilig an, und ich klingelte mitten in der Nacht Sturm in der neben uns gelegenen Praxis des AKW-Doktors, die in sein Privathaus integriert war. Es war klar, dass der Arzt Tag und Nacht für eventuelle Kraftwerks-Zwischenfälle parat stehen musste.

      „Herr Schmidt, es tut mir leid, aber unser Kleiner hat einen Krupp-Anfall und wir haben nichts dabei.“

      „Wo ist er denn?“

      Dann kam auch schon meine Frau mit dem warm eingewickelten, nach Luft ringenden, röchelnden Luca im Arm.

      „Kommen Sie rein!“

      Dr. Schmidt untersuchte ihn kurz, aber gründlich, zog eine Spritze auf und sagte: „Das Kortison muss jetzt sein. Es wird dem Kleinen sofort Erleichterung verschaffen.“

      Wir warteten bei ihm noch einige Minuten bis Luca wieder entspannt atmete und selig und erschöpft in Emmas Arm weiterschlief. Dann entließ uns Dr. Schmidt mit den Worten, СКАЧАТЬ