Название: Deutsches Sagenbuch - 999 Deutsche Sagen
Автор: Ludwig Bechstein
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783742749215
isbn:
und dorthin ward Herrn Attichs Töchterlein
gebracht. Im Bayerlande aber war ein Bischof mit
Namen Erhardus, der hörte im Traume eine Stimme:
Mache dich auf gen Palma in das Stift, dort findest du
ein blindes Mägdelein, das sollst du taufen und Ottilia
heißen. Erhardus folgte ohne Weilen der Stimme des
Herrn, so er im Traume vernommen, zog gen Palma
in das Stift und fand das Kind und taufte es und segnete
es, und siehe, da gingen über der Taufe dem
Kinde die Augen auf, und ward sehend. Und Ottilia
blieb im Frauenmünster zu Palma, erwuchs darinnen
züchtiglich, erlernte die Orgel schön zu spielen, der
Blumen zu pflegen und ihrer Pflichten treulich zu
warten. – Herr Attich aber ward vom Himmel heimgesucht,
daß er Reue und Leid fühlte ob seines von
ihm verstoßnen Kindes willen, und es trieb ihn zu
einer Pilgerfahrt nach Welschland, sein Kind zu suchen,
und da er der Tochter Aufenthalt erfahren, zog
er des rechten Weges und hörte nun in Andacht das
Wunder, das mit ihr sich begeben, und führte sie zurück
nach Hohenburg und an das Herz ihrer Mutter.
Glanz und Reichtum umgab das holde fromme Kind,
aber das alles lockte sie nicht, und auch als der Ruf
ihrer Schönheit und Lieblichkeit sich in der Gegend
verbreitete und Freier angezogen kamen, die gern um
ihre Hand werben mochten, zeigte sie sich allen abgewendet,
wollte allein des Heilands Braut sein. Da nun
unter diesen Freiern ein reicher Graf des Gaues war,
so gelobte Herr Attich diesem sein Kind zum Ehegenoß
und gebot Ottilien, sich nicht länger zu weigern.
Das erschreckte die fromme Jungfrau gar sehr, sie
suchte Trost und Rettung im Gebet und fand endlich
einen Ratschluß, welcher kein anderer war als schnelle
Flucht. Da nun der Bräutigam am Morgen angeritten
kam, war die Braut abhanden und nirgend zu finden.
Boten ritten und liefen wohl im Vogesengebirge
umher und auf und ab all um den Rhein, und keiner
fand Herrn Attichs Tochter, bis nach dreien Tagen
endlich die Kunde kam, Ottilia sei in einem Schifflein
über den Rhein gefahren, mutterseelenallein, und
mochte wohl ein Engel ihr Ferge gewesen sein. Da
forschten nun ihr Vater und der Graf gar fleißig nach
ihr und waren weit aus und kamen bis gen Freiburg
im Breisgau, und als sie dort im Tale ritten, sahen sie
auf einmal auf einer Bergeshöhe die Jungfrau wandeln
und sprengten eilend hinan. Wie nun Ottilia ihre ihr
schon nahen Verfolger erkannte, erschrak sie heftig
und rief den Himmel um seinen Schutz an, und da sie
an eine Felswand kam, die ihre Schritte gänzlich
hemmte, da tat vor ihr die Wand sich auf und schloß
sich wieder hinter ihr zu. Aus dem Felsen aber rieselte
alsbald ein klarer Wasserquell, und die Verfolger
standen davor und wußten nicht, wie ihnen geschehen
war.
Nun begann Herr Attich, aufs neue in sich zu
gehen, seufzte nach der Tochter, blieb an der Quelle
und rief dem starren Fels das Gelübde zu, wenn Ottilia
wieder zu ihm komme, so wolle er an diesen Ort
eine Kapelle bauen und aus seiner Burg ein Kloster,
und das mit reichem Gut begaben. Solches alles geschah,
und der Brunnen aus dem Fels ward der Ottilienbrunnen
geheißen und übte wundersame Kraft an
kranken Augen. Ottilia aber wurde Äbtissin des neuen
Klosters, pflegte und heilte Kranke, ward ein Schutzengel
des ganzen Gaues, ließ an den Bergesfuß noch
ein Kloster, Niedermünster, bauen, und als sie endlich
sanft und selig verschieden, ist sie heilig gesprochen
worden und ward die Patronin der Augen und von
Augenleidenden insonderheit angerufen.
36. Vater und Sohn
Es war ein Graf im Oberelsaß, Herr Hug von Egisheim,
dem gebar sein Ehegemahl einen Sohn, der
ward Bruno genannt in der heiligen Taufe. Aber ein
böser Argwohn umdüsterte des Grafen Herz, als sei
das Söhnlein nicht sein eigen, und da befahl er einem
Knecht, daß er es hinaustrage in den Wald, es töte
und ihm sein Herz, der Tat zum Zeugen, darbringe.
Den Knecht aber jammerte des unschuldigen Kindleins,
und konnte solchen Mord nicht über das eigene
Herz bringen. Er gab das Kind in sichere Hut, erlegte
ein Rehkälbchen und brachte dessen Herz seinem
grausamen Herrn. Der Knabe erwuchs und kam weit
hinweg, die Jahre vergingen, und über den alten Grafen
kam die Reue, denn es war ihm klar und offenbar