Название: Deutsches Sagenbuch - 999 Deutsche Sagen
Автор: Ludwig Bechstein
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783742749215
isbn:
wachsen Gras, und werden stehen Bäume, und werden
liegen große Felsen, und wird nichts mehr zu sehen
sein von Häusern und Gassen, Mauern und Türmen.
Und wenn ich nochmal werde kommen wieder, wird
hier doch nichts mehr zu sehen sein von Gras und
Kräutern, Bäumen und Steinen, sondern als nur
Schnee und Eis, und wird liegen, als so lang ich noch
muß wandern. – Und alles ist so in Erfüllung gegangen,
wie der laufende Jude gesagt hat, der wandern
muß bis an der Welt Ende, weil er unsern Heiland auf
seinem Todesgange nicht Ruhe vor seiner Haustüre
vergönnt hat, und wird allemal, wenn er hundert Jahre
alt geworden, wieder so jung, wie unser Heiland war,
da er nach Golgatha wanderte.
Tiefer drunten im Vispertale, wo man von oben
herein in das Nicolaital eingeht, liegt ein Dorf unterm
Weißhorn, das heißt Täsch, und über Täsch rechter
Hand lag auf sonniger Matte noch ein Dorf gleichen
Namens, da stand einmal eine reiche Bäuerin, die
hatte überm Feuer einen Kessel mit Anke (Rahm),
den sott sie, und sollte gute Butter geben. Da kam ein
armer alter Mann herein und bat, sie möge ihm doch
ein Weniges von ihrer Anke zur Speise geben, ihn
hungere gar sehr. Geh weg, du Lump! sagte die Frau,
hier ist nichts übrig für solche Stromer. – O Bäuerin!
sprach der Mann, hättest du mir etwas gegeben, so
hätt' ich deinen Kessel segnen wollen, daß er nimmermehr
leer geworden, so aber sei verflucht mit dem
ganzen Dorfe! – Und da krachten alsbald droben der
Cimagipfel und das Mittaghorn zusammen und schütteten
Fels auf Fels herunter, und der ganze Ort wurde
unter Trümmern begraben, und blieb nichts mehr
sichtbar als die Fläche des Kirchenaltars, und über
diesen fließt jetzt ein Bächlein aus dem Praborgne-
Gletscher, der das Dorf überdeckt, herunter nach
Täsch durch die Felsenschluchten in die Visp.
19. Mutter Gottes am Felsen
Unterhalb Täsch, wo das Dorf St. Nicolaus das Nicolaital
beschließt oder dem, der im Gebirg von unten
heraufkommt, eröffnet, hebt sich hoch über St. Nicolaus
der Räti mit einer schroffen Felswand gegen das
Tal; an dieser Wand steht ein kleines Muttergottesbild
von Stein. Früher stand es unten am Weg, da
flehte einer zu ihm, blieb aber unerhört, da griff er, als
er wiederkam, hin und warf das Bild mit Unrat, und
da weinte das Bild. Dennoch warf er's noch einmal,
da hob sich das Bild hoch hinauf an die Felswand,
dort stand's nun, und niemand konnt' es erlangen. Den
Talleuten jammerte das, sie hatten das Bildchen lieb
gehabt und es sehr verehrt und mochten's gar zu gern
wieder herunter haben. Aber der Felsen an jener
Wand war gar zu steil, keiner vermochte daran emporzuklimmen,
und keine Leiter reichte zu solcher
Höhe. Darauf wurden sie in St. Nicolaus Rates einig,
sie wollten's von oben versuchen, und eine Schar erkletterte
den Rätigipfel, und sie hatten sich Merkzeichen
gemacht, und gerade über dem Bilde wurde nun
an starken Seilen ein Mann hinabgelassen, der sollte
es heraufholen. Schon war der Mann fast am Bilde, er
sah es schon stehen, da sah er, wie das Seil immer
dünner wurde, wie ein Bindfaden, und dachte, daß es
nicht halten werde und er jämmerlich in den tiefen
Abgrund stürzen, und schrie: Zieht auf, zieht auf, der
Strick wird dünne! – Sie ließen ihn aber noch immer
weiter herab, jetzt war er am Bilde, jetzt hätt' er's nehmen
können, aber da war das Seil dünn geworden wie
ein Haar, und er schrie nochmals: Um Gottes willen,
zieht auf, sonst bin ich verloren! – Da zogen die Männer
ihn hinauf, und je weiter er aufwärts kam, je dikker
und stärker wurde wieder der Strick. Da nahmen
die Leute von St. Nicolaus wahr, daß das Bild am
Fels und nicht in einer Kapelle stehen wollte, wie
jenes auf dem Milzeberg im Frankenlande auch nicht
in einer Kapelle blieb, sondern auf seinem Felsblock
am Wallfahrerweg seinen Stand behauptete.
Kapitel 3
20. Das Paradies der Tiere
Hoch droben auf dem Matterberge ist eine Stelle, die
aber keiner oder doch gar selten einer finden kann, die
hat der laufende Jud nicht mit verwünschen können,
weil sie von Gott gefeit ist vom Anbeginne; da ist
kein Schnee und kein Eis, da ist Sonne und Freude,
Wonne und Weide, da quillt erst eigentlich mit leisem